Es ist eigentlich egal, wer derzeit ein neues Städteranking aufstellt, ob das nun Immobilienfinanzierer sind, wirtschaftsnahe Stiftungen oder - wie am 22. Oktober - das (private) Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und die Privatbank Berenberg. Es kommt im Grunde immer das Gleiche dabei heraus. Nur die Städte erscheinen in anderer Reihenfolge.

Denn natürlich benutzen sie alle dieselben Datenquellen, zumeist die des Bundesamtes für Statistik oder – wie in diesem Ranking besonders ausschlaggebend – des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Die werden dann in der Regel in Mittelwerte umgerechnet, die dann lauter Abweichungen aufzeigen vom Gesamtmittelwert. Und dann muss man nur noch auslosen, welcher Fakt wie stark gewichtet wird – fertig der Lack.

Deswegen wird man in diesem Ranking nun keine Angaben zu Grundstücks-, Immobilien- und Mietpreisen finden. Dafür ist mal wieder die Bevölkerungsentwicklung drin, die Erreichbarkeit, die Erwerbsentwicklung, das BIP. Lauter Dinge, bei denen man beim HWWI glaubt, sie würden irgendwie die jetzige und künftige Entwicklung der Städte beschreiben oder gar Aussagen über ihre Wettbewerbsfähigkeit ergeben.

“Untersucht wurden die Städte hinsichtlich ihrer gegenwärtigen ökonomischen Leistungsfähigkeit, ihrer zukünftigen demografischen Entwicklungstendenzen sowie wesentlicher Standortfaktoren wie Bildung, Innovation, Internationalität und Erreichbarkeit (Trend-, Demografie-, und Standortindex)”, behauptet das HWWI steif und fest in seiner Pressemitteilung. Und in Leipzig jubeln ein paar Leute schon wieder: Juhu, Leipzig ist auf Rang 3 gelandet! Hinter München und Berlin und vor “Dauersieger” Frankfurt am Main. Leipzig wettbewerbsfähiger als Frankfurt, Stuttgart (5) oder Hamburg (8)? Da kichern ja die Hühner.

Bei HWWI macht man es übrigens ein wenig so wie bei der INSM: Man macht ein Ist- und ein Trend-Ranking. Gäb’s nur das Trend-Ranking, läge Leipzig sogar auf 1.

Da staunten sogar die HWWI-Rechner: “Leipzig, die sächsische Metropole mit 532.000 Einwohnern (2013), führt den Trendindex mit Abstand zu den beiden Verfolgern München und Berlin an. Bei allen drei Indikatoren ist die Stadt ganz vorne mit dabei. So konnte Leipzig mit einem Plus von 4,2 % das höchste Bevölkerungswachstum aller 30 Städte verbuchen.”

Womit dann schon mal angedeutet ist, warum Leipzig seit der letzten Rechnerei im Jahr 2013 von 12 auf 3 sprang: Es wächst einfach. Und zwar überdurchschnittlich. Es hat seit 2013 schlicht die höchste Rate beim Bevölkerungswachstum – und das wirkt sich auch bei der Beschäftigung aus: Prozentual schafft keine andere Stadt so viele neue Arbeitsplätze. Leipzig hat die höchsten (prozentualen) Zuwanderungsraten und die fünfthöchste Fertilitätsrate (mit 1,42 ist sie trotzdem noch viel zu niedrig).

Und während die Rechner aus Hamburg das Leipziger Wachstum lobenswert finden, verlieren sie eine Menge Worte über das arme Chemnitz, das im Gesamtranking einfach abschmiert auf Platz 30, wie 2013 schon. Womit wir praktisch sofort bei den Zahlen sind, die dem ganzen Klumpatsch zugrunde gelegt wurden. Die Zahlen zum Ist-Zustand sind im Wesentlichen die des Jahres 2013. Aber man hat auch Prognosen mit zugrunde gelegt, und das sind just die Bevölkerungsprognosen des BBSR, die in Sachsen schon seit ein paar Jahren für Kopfschütteln sorgen. Die frischesten Zahlen sind Neuberechnungen aus dem Jahr 2012, die auf dem Zensus 2011 aufbauen.

Und nach diesen Prognosen wird Chemnitz von den 30 untersuchten Großstädten in den nächsten Jahren am heftigsten an Bevölkerung verlieren. Die Zahlen selbst der sächsischen Statistiker seit 2014 sprechen eine andere Sprache. Auch Chemnitz wächst wieder. Nicht so stark wie Dresden und Leipzig, aber die Zuwanderung ist auch dort spürbar.

Und natürlich wirken sich diese BBSR-Berechnungen heftig aus auf die ganze Ranking-Reihenfolge, wenn man auf dieser Basis auch noch Erwerbstätigen- und Geburtenzahlen hochrechnet.

Da lohnt der Blick auf den sogenannten “Standortindex”, den HWWI und Berenberg ausweisen. Da spielen nämlich all jene Dinge eine Rolle, die auch Leipzig in den üblichen Großstadtrankings einen hinteren Platz bescheren: die enorm hohe Schulabgängerquote ohne Abschlusszeugnis, die recht niedrige Quote von Beschäftigten in Forschung und Entwicklung (F & E) und vor allem auch das niedrige Bruttoinlandsprodukt (BIP). Chemnitz übrigens als wesentlich stärkerer Industriestandort taucht bei der BIP-Entwicklung unter den 30 deutschen Großstädten auf Platz 5 auf.

Wie kann eine Stadt mit so einem hohen BIP dann im Gesamtranking so weit abschmieren? Selbst im “Standortranking” ist Chemnitz nur auf 29, Leipzig übrigens auf 27 und Dresden auf 21.

Dazu muss man sich auf Seite 46 der Studie durcharbeiten. Und die schlichte Wahrheit ist: Das ist derzeit die (wirtschaftliche) Wirklichkeit.

Hier findet man ganz andere Städte an der Spitze, nämlich all jene, die dort schon seit Ewigkeiten thronen: Frankfurt, München, Stuttgart, Düsseldorf.

Bei den F&E-Beschäftigten liegen die drei sächsischen Großstädte übrigens nicht schlecht im Vergleich: Dresden auf 3, Leipzig auf 6 und Chemnitz auf 8. Freilich ist das nun wieder ein Ranking, bei dem erstaunlicherweise Braunschweig und Aachen die Spitze anführen, deutliches Zeichen dafür, dass Forschungseinrichtungen nicht immer da sind, wo auch die industriellen Cluster sind. “Der Anteil der F&E-Beschäftigten an allen Beschäftigten gibt einen Hinweis darauf, wie ausgeprägt sich das Innovationsgeschehen in einer Stadt darstellt”, meinen die Autoren des Zahlensalats. Was so nicht ganz stimmt, denn der Prozentsatz der F&E-Beschäftigten hängt natürlich auch stark von der Gesamtgröße der Stadt und der Existenz von Hochschulen am Ort ab. Die weitergehende Diskussion, wie stark vernetzt die Forschung mit der Wirtschaft vor Ort ist, fehlt komplett.

Aussagekräftiger ist die Tabelle “Anteile der Beschäftigten in wissensintensiven Wirtschaftszweigen an allen Beschäftigten”. Da wird wirklich deutlich, ob eine Stadt schon genug Innovationspotenzial hat oder nicht. Und da findet man die sächsischen Städte deutlich weiter hinten: Dresden auf 15, Leipzig auf 18, Chemnitz auf 21. Was im Klartext heißt: Vieles, was als F&E erfasst wird, ist bislang reine Grundlagenforschung – angesiedelt in vielen Forschungsinstituten, aber noch in recht geringem Maß direkte Innovationsforschung in oder für Unternehmen.

Das heißt: Nicht der Ist-Zustand katapultiert Leipzig im HWWI/Berenberg-Ranking nach vorn, sondern vor allem das Bevölkerungswachstum verbunden mit den BBSR-Prognosen bis 2035 (die natürlich Quatsch sind, keine belastbare Statistik kann sagen, was in mehr als 5 Jahren sein wird).

Im Zusammenhang mit der extra ausgewiesenen Trend-Statistik betonen die Autoren aber auch: “Beim Vergleich des Trendindexes mit dem des Jahres 2013 muss bei der Interpretation beachtet werden, dass auch die Städte, die hohe Platzierungsverluste im Ranking hinnehmen mussten, ihre ökonomische und demografische Leistungsfähigkeit in der jüngeren Vergangenheit nicht verschlechtert, sondern verbessert haben. In Bonn, Essen, Düsseldorf, Kiel, Mannheim und Münster – mit Ausnahme von Münster und Mannheim beim Produktivitätswachstum – haben sich alle Indikatoren positiv entwickelt. Die sonstigen Städte im Vergleich waren jedoch erfolgreicher bei der Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit …”

Wahrscheinlich haben sie sich am Wort “Wettbewerbsfähigkeit” regelrecht berauscht, obwohl 90 Prozent des Rankings keine Aussagen zur Wettbewerbsfähigkeit machen, sondern nur die aktuelle Entwicklung beschreiben, wie sie ist. Und warum sie so ist, benennen die Autoren zumindest beiläufig, wenn sie schreiben: “Ökonomische Entwicklungen, die in Städten stattfinden, sind von großer Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland insgesamt. Da sich in Städten die wirtschaftlichen Aktivitäten konzentrieren, fällt ihnen die Rolle des Wachstumstreibers für ganze Regionen zu.”

Tatsächlich erlebt die Bundesrepublik gerade eine markante Ausprägung der einzelnen Metropolregionen im Land, die sich in der Regel alle auf eine oder mehrere Großstädte und ihr direktes Umfeld beschränken. Das ist der Hauptgrund dafür, dass junge Menschen derzeit massenhaft die ländlichen Räume verlassen und in die Großstädte ziehen, die ihnen höherwertige Ausbildung, bessere Infrastrukturen und bessere Erwerbsmöglichkeiten dienen.

Und Leipzig ist derzeit die Großstadt im mitteldeutschen Raum, wo das am sichtbarsten passiert – was auch mit der besseren Verkehrslage gegenüber Dresden und Chemnitz erklärbar ist. Übrigens ein Faktor, den die Autoren des Rankings auch erfasst haben. Städte, die man leichter und schneller erreichen kann, sind nun einmal beliebter bei jungen, mobilen Menschen als Städte am Rand – was übrigens Kiel in diesem Ranking richtig Punkte kostet.

Und was sagt uns das Alles nun? Nichts Neues – jedenfalls im Vergleich zu allen anderen Rankings der jüngeren Zeit. “Da hochqualifizierte Arbeitskräfte zum entscheidenden Engpassfaktor im Kampf um die Ansiedlung wissensintensiver Unternehmen werden können, ist die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit einer Stadt zunehmend davon abhängig, wie sich Städte bei dieser Beschäftigtengruppe gegenüber der Konkurrenz positionieren“, versucht HWWI-Direktor Prof. Dr. Henning Vöpel seine Sicht auf die Dinge zu formulieren.

Aber genau das beschreibt die Schwäche des Rankings, das in seiner Fixierung auf die 30 Großstädte wesentliche Faktoren der Ausbildung von Metropolregionstrukturen gar nicht erfasst. Doch diese Entwicklung ist tatsächlich der eigentliche Trend hinter den Zahlen, die HWWI in das Ranking gestopft hat. Und die Autoren betonen es ja selbst: Auch jene Städte, die scheinbar Positionen verloren haben, haben in der Regel ein Wachstum aufzuweisen. Nur wachsen die Kerne von Metropolregionen nun einmal deutlich schneller als Großstädte an der Peripherie.

Das Ranking baut also eine Fiktion auf und ignoriert die eigentlichen Veränderungen.

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Dicke Annalyse, mit vielen Füllworten und viel gesunder, zweifelnder Energie, die am Ende an der misslungenen Verlinkung zur Quelle verliert.

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