Früher mal, so um 1990 rum, versprachen diverse Politiker in Ost wie West, es würde 15 Jahre dauern, dann wäre nicht nur die Deutsche Einheit vollzogen, sondern es wären auch die Lebensverhältnisse angeglichen. Wie jeder weiß, war das 2005 ganz und gar nicht der Fall, da führte man lieber "Hartz IV" ein. Mit dramatischen Folgen bis heute. Aber jetzt sind ja schon 25 Jahre herum.
Und die Gelegenheit haben Sachsens Landesstatistiker natürlich genutzt, um mal wirklich zu gucken, wie sich die Sache entwickelt hat. Denn am Ende dreht sich alles um eine funktionierende und tragende Wirtschaft, die ordentlich bezahlte Beschäftigung bietet.
“Im Jahr 2014 hatten 2,02 Millionen Erwerbstätige ihren Arbeitsplatz im Freistaat Sachsen, das waren reichlich 9.000 Personen bzw. 0,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Das aktuelle Ergebnis entspricht gleichzeitig dem höchsten Stand nach dem Jahr 1991. Der bisher niedrigste Stand bei der Erwerbstätigkeit war 1993 zu verzeichnen”, teilte das Landesamt für Statistik am Donnerstag, 22. Oktober, mit.
Die Zahlen sprechen also für eine späte, aber seit 2010 spürbare wirtschaftliche Stabilisierung des Freistaats auf einem etwas tieferen Niveau als 1990. Die großen Entlassungswellen gab es ja 1991 und 1992. Von 1995 bis 2000 gab es zwar ein kleines Beschäftigungsfeuerwerk – aber das wurde vor allem durch die Bauwirtschaft getragen. In einem großen Maß war das damals ein von außen induzierter Boom (ja, da gehört auch die “Boomtown” Leipzig hinein), als mit gigantischen Fördermitteln von Bund und EU vor allem dringende Infrastrukturmaßnahmen finanziert wurden – vom Autobahnbau über die ersten großen Schienenprojekte bis hin zur Erneuerung von Stromnetzen, Wasserversorgung oder dem kompletten Umbau der Energiewirtschaft. Auch die großen Abschreibemodelle für Büroneubauten und Altbausanierungen sorgten dafür, dass Sachsen ein Tummelplatz der Baukräne und der kleinen und großen Baufirmen wurde. Seit 2000, dem Ende dieses Feuerwerks, hat sich die Zahl der Beschäftigten in der Baubranche quasi halbiert.
Das war seinerzeit auch in Leipzig spürbar: Die Bauwirtschaft wurde lange Zeit als Motor des Wirtschaftsaufschwungs begriffen, bis dann mit Beginn des Jahrtausends die Ernüchterung einsetzte, dutzende “Wohnparks” auf einmal halbfertig stehen blieben, geplante Mega-Einkaufscenter in der Schublade blieben und die riesigen Büroparks in großen Teilen leerstanden. Man hatte viele Objekte hingestellt, ohne einen Inhalt zu haben.
Deswegen war die Depression, die eigentlich schon vor 1998 den Osten wie den Westen erfasste, nichts anderes als das gewaltige Loch, in das man sehenden Augens hineingefahren war, nachdem die Anschubfinanzierung der Deutschen Einheit verbraten war und alle Beteiligten auf einmal feststellten: Naja, wenn die Leute keinen Job haben und kein eigenes BIP produzieren, dann ist das ja alles irgendwie für die Katz.
Bekanntlich stritt sich die Deutsche Politik sieben Jahre lang darüber, wie man da wieder rauskäme und die vom frühen Soli verkaterten Unternehmen wieder anfangen könnten, nachhaltiger zu wirtschaften. Die Ideen waren ja bekanntlich die alten neoliberalen Waschrezepte, die 1985 und 1990 kein Mensch kaufen wollte. Nach 1998 wurden sie von Politikern und Verbänden wie heiße Ware angedient und dann mit Gerhard Schröders “Agenda 2010” auch noch in Gesetze gegossen.
Was dann ab 2006 zumindest die Statistik der Erwerbstätigen kräftig aufhübschte. Denn als erwerbstätig wurde und wird ja jeder gezählt, der auch nur einen Euro für die Stunde bekommt.
Erst seit 2014 ist das anders. Denn jetzt verschwinden so langsam all die marginalen Beschäftigungen wieder aus der Statistik, die das Ganze seit 2006 künstlich aufgebläht haben.
Die Landessstatistiker aus Kamenz beschreiben es so: “Die derzeitige Entwicklung in Sachsen war von einem Anstieg der Zahl der Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte um 1,4 Prozent geprägt. Diesem Anstieg stand ein Rückgang bei den marginal Beschäftigten um 3,8 Prozent gegenüber – damit repräsentierte diese Personengruppe zuletzt rund zehn Prozent aller Erwerbstätigen.”
Das darf man sich wirklich auf der Zunge zergehen lasen: 10 Prozent der erwerbstätigen Sachsen waren bis 2014 nur marginal beschäftigt. Dazu kamen dann noch etliche Zeitarbeiter und Beschäftigte in befristeten Jobs. Doch das sieht man natürlich alles nicht, wenn man nur die bloße Erwerbsstatistik sieht. Die bunten Balken sehen stabil aus, auch wenn sie zu 10 bis 20 Prozent nur aus Watte bestanden. Mit dem verheerenden Effekt, dass die meisten dieser “Beschäftigten” nicht aus den Transferleistungen der Jobcenter heraus kamen und so wenig verdienten, dass sie auch keine Lohnsteuern zahlten.
Was dann 2014 betrifft, wird der andere Effekt wieder sichtbar, wenn in einem Land wie Sachsen der aufgeblasene Sektor der marginalen Beschäftigung zurückgebaut wird und die Wirtschaft die neuen Vollzeitstellen eben nicht mit Langzeitarbeitslosen besetzt, sondern mit ehemaligen Marginalen und Selbstständigen.
Was in der Statistik der sozialversicherungpflichtig Beschäftigten noch deutlicher wird, denn deren Zahl stieg 2014 in Sachsen von 1,484 auf 1,511 Millionen. Das ist der höchste Wert – nicht seit 1992, sondern seit 2001. Womit noch einmal sichtbar wird, wie massiv seit Ende der 1990er Jahre vollbezahlte Arbeitsplätze in alle möglichen prekären Beschäftigungsangebote umgewandelt wurden.
Dass seit 2010 immer mehr Sachsen tatsächlich wieder vollwertige Jobs bekommen, merkt sogar der Finanzminister, denn die Steuereinnahmen des Freistaats steigen nun seit fünf Jahren stärker, als es Prof. Georg Unland (CDU) zu prophezeien wagt. Selbst Kommunen wie Leipzig merken das, auch wenn sie nur einen winzigen Bruchteil an den Einkommenssteuereinnahmen bekommen.
Und der Abbau der marginalen Beschäftigung macht sich natürlich auch in den Branchen unterschiedlich bemerkbar. “Nach Branchen zeigt die aktuelle Entwicklung einen deutlichen Anstieg der Erwerbstätigenzahl im Produzierenden Gewerbe und ein eher verhaltenes Wachstum im Dienstleistungsbereich”, stellen die Landesstatistiker fest. Dienstleistungsbereich – das umfasst auch wieder die Zeitarbeit. Auch Zeitarbeiter haben ganz gute Chancen, in Festanstellung zu kommen, wenn der Fachkräftebedarf so hoch bleibt, wie er derzeit in Sachsen ist.
Die Rückschau ist dafür ein bisschen deprimierender: “Eine langfristige Analyse für Sachsen zeigt den Verlust von reichlich zehn Prozent der Erwerbstätigen gegenüber dem Jahr 1991 und macht den Strukturwandel innerhalb der sächsischen Wirtschaft deutlich. Der Anteil der Dienstleistungsbereiche an allen Erwerbstätigen erhöhte sich von rund 55 Prozent im Jahr 1991 auf bis zu 71 Prozent am aktuellen Rand. Gleichzeitig verringerte sich der Anteil des Produzierenden Gewerbes an der Gesamtwirtschaft von rund 42 Prozent 1991 auf aktuell 27 Prozent.”
Da wird sichtbar, wie sehr Sachsen noch 1990 und 1991 von Industrie geprägt war. Bekanntlich wurde das Meiste in den Folgejahren abgewrackt und die Zahl der Beschäftigten in der Industrie hat sich halbiert. Was da seit 2010 wächst, sind ja in der Regel die Neugründungen oder Neuansiedlungen aus der Zeit nach der “Wende”, oft genug auch die, die erst nach 2000 in Sachsen Fuß fassten – man denke an die Leipziger Ansiedlungen von Porsche und BMW, die erst seit 2005, 2006 dafür sorgen, dass das Automotiv-Cluster bei Leipzig wächst.
Ergebnis: “Im Vorjahresvergleich lag Sachsen etwas unter der bundesweiten Entwicklung, in Deutschland erhöhte sich die Erwerbstätigenzahl im Jahresdurchschnitt um 0,9 Prozent. Während die fünf neuen Länder ein geringfügiges Plus um 0,1 Prozent verzeichneten, erfolgte in den alten Ländern (ohne Berlin) ein Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen um ein Prozent.”
Die Prozentzahl zum Vorjahresvergleich steht gleich am Anfang des Artikels: 0,5 Prozent. Sachsen wächst – trotz akutem Nachwuchsmangel – deutlich stärker als die anderen ostdeutschen Flächenländer. Außer Berlin. Und da sind wir wieder bei der Entwicklung, die auch im Osten die künftigen Metropolstrukturen herauskristallisieren lässt: Berlin ist als Metropole so ein Kristallisationskern und in Sachsen sind es vor allem Leipzig und Dresden. Und wenn die Landesregierungen in Dresden, Erfurt und Magdeburg ein bisschen wirtschaftliche Cleverness besäßen, würden sie alle Adern, Netze und Verbindungen in diese mitteldeutschen Kristallisationskerne stärken, um auch die eher peripheren Wirtschaftsstandorte an die Pumpe zu hängen.
Aber das alte Denken in der Größe wettinischer Kleinfürstentümer dominiert leider Regierungen und Parlamente. Was eben am Ende nur eine 0,5 oder 0,1 Prozent bedeutet, wo eigentlich auch eine 0,9 oder 1,5 stehen könnten.
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