Noch vor wenigen Jahren, da war Leipzig im Süden ein bisschen grün, in der Mitte, in Schleußig noch. Und das war's. Da zogen die jungen Leute hin, da gab's die Geburten, da wuchs die Stadt. Am Rand war's knallrot, weil nicht nur die Dörfer schrumpften, sondern auch die Plattenbaugebiete. Im neuen Quartalsbericht der Stadt sieht das völlig anders aus.

Martin U. Steinert hat sich für den neuen Quartalsbericht Leipzigs Bevölkerungswachstum mal auf Ortsteilebene angeschaut. Und zwar für den Zeitraum 2009 bis 2014. Das sind ja die Jahre, in denen die Entwicklung den Planungen der Leipziger Stadtverwaltung völlig davonlief. Es sind die Jahre, in denen der Leipziger Westen in den Fokus der jungen Leute geriet, die nach Leipzig zogen. Da war noch richtig viel Platz zum Wohnen, Ausprobieren, Lernen. In einem rasanten Tempo füllten sich Plagwitz, Lindenau und Leutzsch. Sie waren noch nicht mal fertig damit, da sprang der Funke auf den Osten über, erfasste Volkmarsdorf und Reudnitz.

Die Bilanz, die Steinert ziehen kann, ist natĂĽrlich auch nur eine vorläufige: 53 Leipziger Ortsteile hatten in den vergangenen fĂĽnf Jahren ein Bevölkerungsplus, nur zehn haben Bevölkerung verloren. Und die Wachstumsstärksten liegen alle im GĂĽrtel um die Innenstadt herum. Die Hitliste, die Steinert aufmacht, lautet: Altlindenau – mit einem Plus von 3.180 Einwohnern, Reudnitz-Thonberg mit 2.970, Plagwitz mit 2.823, Volkmarsdorf mit 2.183 und selbst die SĂĽdvorstadt, die schon 2009 zu den beliebtesten Wohnquartieren gehörte, ist weiter gewachsen um 2.111 Einwohner.

Verloren haben eher Ortsteile wie Schönau, Paunsdorf und Mölkau. Ein Grund waren sogar noch abgerissene Wohnblöcke – wie in Schönau. Die Verantwortlichen werden sich heute in den Hintern beiĂźen, dass sie nicht gewartet haben, denn das alles wird jetzt gebraucht. Auch die groĂźe Plattenbausiedlung GrĂĽnau wird in den nächsten Jahren wieder Einwohnerzuwächse verzeichnen. In GrĂĽnau-Mitte und Lausen-GrĂĽnau ist das schon längst der Fall. Bei den jungen Bewohnern sind auch GrĂĽnau-Ost und GrĂĽnau-Nord schon auf dem Weg. Die Zeiten, dass die Plattenbausiedlungen gemieden wurden, sind vorbei. Das gilt auch fĂĽr Schönefeld-Ost und Mockau-Nord.

Eher werden heute die Wohnsiedlungen in Lützschena-Stahmeln und Plaußig-Portitz gemieden. Warum, das kann Steinert zwar nicht aus seinen Statistiken herauslesen, aber mögliche Antworten wären die extreme Randlage, aber auch die hohe Lärmbelastung auch durch Fluglärm. Und diese Siedlungen erweisen sich als wenig kompatibel mit den Erfordernissen für Familien und Erwerbsleben. Denn die benötigen eine verdichtete Stadt mit laufnahen Versorgungsangeboten.

Es soll zwar nach wie vor die Liebhaber des eigenen Häuschens im GrĂĽnen geben, aber das ist nicht das Modell der Stadt der Zukunft. Das finden die alten und neuen Leipziger viel eher in dichten Stadtquartieren wie in der SĂĽdvorstadt, Plagwitz oder Alt-Lindenau – das spezielle Ortsteilflair natĂĽrlich mit eingeschlossen.

Und eine nicht zu unterschätzende Rolle dürfte die Erschließung mit einem möglichst barrierearmen ÖPNV spielen. Denn wenn das Lebensmodell junger Familien ohne eigenen PKW auskommen will, dann braucht es bestenfalls S-Bahn und Straßenbahn in Wohnortnähe. Etwas, was in Burghausen, Mölkau und Miltitz so nicht gegeben ist.

Was dann die nächste Entwicklung in Gang bringt, nämlich die Verteilung von Kindern und Jugendlichen im Stadtgebiet. Denn die tauchen logischerweise dort vermehrt auf, wo junge Leute vor ein paar Jahren ihren Hausstand begründet haben. Dort verjüngt sich die Wohnbevölkerung entsprechend rapide. Das Ergebnis: Eine Stadt, die bis ungefähr 2005 im Durchschnitt immer älter wurde, verjüngt sich wieder. Und in den Stadtvierteln in der Mitte umso stärker. Der Ortsteil mit der größten Verjüngung der letzten fünf Jahre ist Zentrum-Ost. Das ist das Grafische Viertel, das so ganz still und leise zu einem der beliebtesten Wohnviertel in Zentrumsnähe geworden ist.

Insgesamt hat Steinert 33 Ortsteile ausgemacht, die sich in den letzten fĂĽnf Jahren verjĂĽngt haben. Erstaunlicherweise ist sogar Gohlis-Nord darunter, einer der eigentlich “ältesten” Leipziger Ortsteile. Aber wenn hier der Altersdurchschnitt um 2,3 Jahre sinkt, bedeutet das eben auch, dass eine ganze Menge junger Leute dort hingezogen sein mĂĽssen.

Der jüngste Leipziger Ortsteil ist übrigens Lindenau mit einem Durchschnittsalter von 34,8 Jahren, gefolgt von Schleußig (das den Titel vor zwei Jahren noch hatte) mit 35,6 Jahren und Neustadt-Neuschönefeld mit 36,1. Die im Durchschnitt ältesten Ortsteile sind gar nicht überraschenderweise die großen Neubausiedlungen mit ihrer hohen Wohnstabilität: Grünau -Ost mit 54,6 Jahren, Schönefeld-Ost mit 54,1 Jahren oder Heiterblick mit 52,3 Jahren.

Aber auch hier wird das Problem der Eigenheimsiedlungen sichtbar: Sie überaltern mit der Zeit, gerade wenn die Kinder wegziehen und die einstigen Gründer im eigenen Haus alt werden. Das wird in Grünau-Siedlung sichtbar (Durchschnittsalter 53,2 Jahre), aber auch in Mölkau (51,3 Jahre) oder auch Burghausen-Rückmarsdorf (49 Jahre). Es sind auch die nach 1990 entstandenen großen Eigenheimsiedlungen, die am deutlichsten gealtert sind in den letzten Jahren.

Aber davon lässt sich eine wie Dr. Ruth Schmidt, die Leiterin des Leipziger Amtes für Statistik und Wahlen, nicht beirren. Denn wenn die Kinder das Leben im Eigenheim der Eltern nicht fortsetzen, dann wird das Haus eben irgendwann an neue Besitzer verkauft. Ob das im Leipziger Norden so funktioniert, ist noch offen. Im Stadtgebiet selbst funktioniert das. Das Beispiel ist Marienbrunn, das ja immerhin vor Kurzem seinen 100. Geburtstag feierte. Und augenscheinlich findet dort gerade ein Generationenwechsel statt: Die alten Besitzer ziehen aus, jüngere Käufer übernehmen die Häuser, der Altersdurchschnitt sinkt wieder. Wenn auch noch sachte von 50,4 auf 49,5 Jahre.

Womit man beim Problem der Eigenheimsiedlungen selbst wäre. Sind sie denn nicht eigentlich ein Fremdkörper in der Stadt? Viel zu ausufernd, um die kompakten Vorzüge der Stadt abzubilden?

Um dieses Thema kĂĽmmern wir uns morgen an dieser Stelle.

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