Es ist schon erstaunlich, was einer wie Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e. V. (BIAJ) herausfindet, wenn er sich mal hinsetzt und nachrechnet. Denn die Überstülpung der westdeutschen Vorstellungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie verändern sogar den Ausbildungsstand und die ostdeutschen Länder scheinen sich ans negativere West-Niveau anzupassen.

“Der Vergleich der drei Altersgruppen in 2014 (Auswertung der Ergebnisse des Mikrozensus) zeigt u. a. eine deutliche negative Annäherung der in der Altersgruppe 50 bis 59 Jahre deutlich niedrigeren Anteile der Bevölkerung ohne beruflichen Ab­schluss in den ostdeutschen Ländern an die höheren Quoten in Westdeutschland. Lediglich in den Ländern Rheinland-Pfalz (sehr geringfügig), Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg war der Anteil der Bevölkerung ohne beruflichen Abschluss in der Altersgruppe 30 bis 39 kleiner als in der Altersgruppe 50 bis 59 Jahre”, schreibt Schröder.

Im Osten war es bislang eigentlich selbstverständlich, dass man einen ordentlichen Berufsabschluss braucht, wenn man sein Leben selbst gestalten will. Das galt auch für Frauen, die einerseits dringend als Arbeitskräfte in der DDR-Wirtschaft gebraucht wurden, für die das eigene Einkommen aber auch Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und eine Ecke mehr Selbstbewusstsein war.

Davon ist noch viel lebendig im Osten. Und noch haben sich die sechs neuen Bundesländer nicht ganz dem westdeutschen Trend ergeben, dass Frauen auf eine eigene Berufsqualifikation verzichten und sich darauf verlassen, als Hausfrau durchs Leben zu kommen. Teilweise ist das auch wirtschaftlich nicht drin, denn das gezahlte Lohnniveau auch in den meisten Männerberufen reicht nicht aus, um davon Frau und Familie mitzuernähren. Das Modell des Ein-Verdiener-Haushalts ist auch im Westen rückläufig. Nicht überall gleichermaßen, aber etwa in Baden-Württemberg unübersehbar.

Anderswo scheint wieder ein Trend vorzuherrschen, dass jüngere Altersjahrgänge einen höheren Prozentsatz von Menschen aufweisen ohne Berufsabschluss. Da Schröder keine Ausweisung nach Geschlecht vorgenommen hat, ist nicht unbedingt klar, ob es tatsächlich nur ein weibliches Phänomen ist oder sich hinter den auch im Osten steigenden Zahlen nicht das Dilemma einer verkorksten Bildungspolitik abzeichnet.

Denn bei den heute 50- bis 60-Jährigen liegt die Quote der Personen ohne Berufsabschluss im Osten nur zwischen 3,2 Prozent in Sachsen und 5,6 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern.

In den westdeutschen Bundesländern liegen die Quoten hingegen zwischen 12,9 Prozent in Schleswig-Holstein und 23,1 Prozent im Hamburg. Eine mögliche Interpretation wäre auch der unterschiedliche Migrantenanteil in den Bundesländern, was das Phänomen der hohen Zahlen fehlender Berufsabschlüsse als Ergebnis einer Integrationspolitik beschreibt, die gerade Frauen aus Familien mit Migrationshintergrund eine Berufskarriere verwehrt.

So betrachtet, müsste Schröders Analyse natürlich noch deutlich verfeinert werden, weil sich mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Phänomene überlagern. Aber die steigenden Zahlen bei jüngeren Ostdeutschen könnten auch darauf hindeuten, wie schwer es gerade jungen Leuten mit schlechten Schulabschlüssen fällt, im Lauf der nächsten Jahre noch einen qualifizierten Berufsabschluss zu erwerben. Aus diesem Blickwinkel wäre der drastische Anstieg auf 7,2 (Thüringen) bis 11,8 Prozent (Brandenburg) von Personen ohne Berufsabschluss bei den 30- bis 40-Jährigen ein echtes Alarmzeichen. Dann hätte Brandenburg zwar fast bayerisches Niveau (Bayern: 12,2 Prozent), aber das klingt eher nicht nach gut versorgten jungen Schönheiten, die an der Seite eines reichen Vielverdieners nun einfach nur schön sein müssen. Das klingt eher nach dem Ergebnis einer Bildungsreform in den 1990er Jahren, die ihren Namen einfach nicht verdient hat und auch damals schon nicht zeitgemäß war.

Auch Brandenburg hat weitgehend das selektive westdeutsche Bildungssystem übernommen, das gerade Kinder aus bildungsfernen Familien frühzeitig aus dem Rennen schmeißt und zu Bildungsverlierern macht. Die einstige Polytechnische Oberschule der DDR, die vor allem aus ideologischen Gründen bekämpft wurde, war von der Struktur her hingegen eine moderne Schule mit starkem Praxisbezug (selbst zur tristen Arbeitswelt der DDR), gemeinsamem Lernen bis zur 8. Klasse und dem Anspruch, möglichst alle Kinder zum Abschluss der 10. Klasse zu bringen.

Dass sich die Bundesrepublik ein Bildungssystem leistet, das 10 Prozent aller Schüler für den Arbeitsmarkt praktisch chancenlos macht, gehört zu den Skurrilitäten der Entwicklung. Noch halten die ostdeutschen Kommunen vor allem durch eigene, der Schule nachgelagerte Angebote gegen, was die Quote der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss doch noch unter 10 Prozent senkt. Ein recht aufwändiges Reparatursystem, das aber auf Dauer nicht ausgleichen kann, was ein auf Selektion getrimmtes Bildungssystem an Folgen zeigt.

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