In Nachschlagewerken stehen, wenn es mal nicht um Sachsens Gloria, sondern seine Größe geht, Zahlen wie diese 18.420,15 Quadratkilometer in Wikipedia. Dort hat man sich die Zahl vom Bundesamt für Statistik besorgt. Das ist die offizielle Bodenfläche für das Jahr 2013. Das steht doch eigentlich fest, oder? Doch jüngst staunten auch die L-IZ-Leser nicht schlecht, als eine Ministerantwort verriet: Seit dem Jahr 2000 ist Sachsen immerfort gewachsen.

Es war die Antwort von Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt, der dem Grünen-Abgeordneten Wolfram Günther Auskunft gab zur Entwicklung von Landwirtschaftsfläche und versiegelten Böden in Sachsen. Ein nicht ganz unwichtiges Thema, denn wenn ein Land fortwährend wertvolle Ackerböden versiegelt und verbaut, vertilgt es auf Dauer seine Lebensgrundlagen. Und in Sachsen liegen einige wertvolle Böden, um die es ganze Nationen beneiden. Und sie werden künftig dringend gebraucht, wenn der Klimawandel weitere Ackerflächen in den südlichen Ländern vernichtet. Da zählt jede Krume.

Aber so nebenbei lieferte Thomas Schmidt als Rechengrundlage auch die Bodenflächen von Sachsen mit, wie sie die Statistiker seit 2000 erfasst haben. So als braver Bewohner eines als stabil geltenden Landes nimmt man ja an, die Zahl steht einmal fest, da ändert sich nichts. Wie sollte es auch? Sachsen liegt ja nicht am Meer, da nagt also kein Sturm an den Ufern. Es liegt auch in einer vulkanisch nicht allzu aktiven Zone, so dass irgendwo neue Inseln auftauchen könnten. Also müsste ja die Bodenfläche stabil bleiben.

Aber der Blick auf die Zahlen zeigt: Sachsen wächst.

Die ganze Zeit schon. 2000 war es nur 18.412,95 Quadratkilometer groß (oder, wie sich das in einer Mitteilung des Landwirtschaftsministers gehört: 1.841.295 Hektar). Im nächsten Jahr war es schon 27 Hektar größer, im Folgejahr kamen weitere 11 Hektar dazu. Und so geht das fort. Jahr um Jahr wächst die Fläche des Freistaats. Mal um 64 Hektar wie 2003, mal um 85 wie 2004, mal um 138 wie 2008. Seitdem hat sich das Flächenwachstum wieder verlangsamt: 2011 kamen noch 12 Hektar dazu, 2012 waren es 19 und 2013 dann 14 Hektar.

Als würde die Staatsregierung die ganze Zeit über fleißig Land kaufen. Wäre ja eine Idee. Auch so kann man irgendwann ein großes Bundesland werden, wenn man den finanziell etwas klammeren Bundesländern nebenan einfach jedes Jahr ein paar Felder oder Fußballfelder abkauft. Oder man tauscht mit den Nachbarländern Land, gibt den Tschechen zum Beispiel ein schönes Stück Wald und bekommt dafür drei schöne große Wiesen. Oder man tauscht mit den Polen ein paar hübsche Flussauen an der Neiße.

Natürlich wollten wir wissen, was da los ist, haben uns ans Statistische Landesamt gewandt und gefragt, ob Sachsen vielleicht geologisch heimlich vor sich hin wächst. Kann ja sein. Der Himalaya wächst ja auch, warum sollte da nicht auch das Erzgebirge wachsen? War zwar etwas mit Schalk gefragt, aber wir bekamen trotzdem den freundlichen Hinweis, dass man davon auch im Statistikamt in Kamenz noch nichts gehört hätte. Die Zahlen stimmen freilich, aber man sei nicht dafür verantwortlich. Für das Ausmessen der Bodenfläche in Sachsen ist der Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen (GeoSN) zuständig.

Also fragten wir dort an, natürlich etwas ernsthafter. Denn natürlich hat man schon so eine Vermutung, wie das sein könnte mit den Zahlen. Denn wir haben ja auch schon ein paar Mal über die frühen Landvermessungen in Sachsen und anderswo berichtet (ein Stichwort wäre Friedrich Gauß). Landvermessung ist keine Kunst, sondern eine Wissenschaft, die sich in den letzten 200 Jahren immer mehr verfeinert hat. Jüngst erst ging ja die Geschichte vom Nullmeridian in Greenwich durch die Presse, von dem man bislang felsenfest annehmen durfte, dass ausgerechnet der ja nun millimetergenau richtig liegen muss, denn alle anderen Meridiane beziehen sich ja auf diese von den Engländern festgelegte Linie.

Denkste: Er liegt um 102 Meter daneben.

Aber das konnte man erst mit den heutigen Möglichkeiten der satellitengestützen Erdvermessung herauskriegen. Die Erde ist eben doch keine ganz runde Kugel, sondern eher eine Art ausgebeulter alter Fußball.

Und so ähnlich ist es auch in Sachsen, teilt uns nun Barbara Wolters, Referentin Öffentlichkeitsarbeit im GeoSN, mit.

“Veränderungen unterworfen ist der mathematisch bestimmte Flächeninhalt, abgeleitet aus dem Liegenschaftskataster als Summe der Fläche von aktuell mehr als 2,7 Millionen Flurstücken. Und das hat folgende Ursachen: In den Jahren 1835 bis 1843 wurden in Sachsen im Ergebnis einer landesweiten Vermessung für die Steuererhebung in 3.373 Dörfern und 143 Stadtfluren insgesamt 1.779.710 Flurstücke in Katasterkarten erfasst. Für jedes Flurstück wurden die Flächengröße in Acker und Quadratruten und die Nutzungsart ermittelt. Die Fläche wurde in die Flurbücher amtlich übernommen.”

Aber elektronische Messgeräte oder gar Satelliten gab es damals natürlich noch nicht. Man reiste noch mit der Kutsche durchs Land. Die erste richtige Eisenbahnstrecke zwischen Leipzig und Dresden wurde gerade gebaut.

Wie arbeiteten also die damaligen Vermesser?

“Die Berechnung des mathematischen Flächeninhalts der einzelnen Flurstücke erfolgte nach grafischen Maßen, die mit Zirkel und Maßstab den Katasterkarten entnommen wurden”, erklärt Barbara Wolters. “Heute können Experten eine Fläche im Gelände anhand von bestimmten Koordinaten zentimetergenau berechnen. Wenn z.B. eine Katastervermessung beantragt wird, bestimmen sogenannte öffentlich bestellte Vermessungsingenieure die Koordinaten der Grenzpunkte. Dabei berichtigen die Vermesser auch die Größenangabe der Fläche eines Flurstücks im Liegenschaftskataster, weil sie sie heute exakter ausmessen können.”

Und wenn da ein paar Zentimeter dazu kommen, sind das bei einem Flurstück schnell mal ein paar Quadratmeter. Und wenn auf diese Weise jedes Jahr ein paar tausend Flurgrundstücke neu vermessen werden, summiert sich das Ergebnis dann auch schnell mal auf mehrere Hektar. Die tatsächliche Bodenfläche ändert sich nicht. Nur die nun genauer ermittelte Größe nimmt zu. Bis auf weiteres.

“Ist dieses einmal erfolgt, bleibt der Flächeninhalt für das betreffende Flurstück dann auch bei späteren Messungen gleich”, schreibt Barbara Wolters. “Dieser Zustand ist aber längst noch nicht für alle Flurstücke erreicht. Da sich die statistischen Flächenangaben von Gemarkungen, Gemeinden, Landkreisen und letztlich des ganzen Freistaates Sachsen nach dem Liegenschaftskataster richten, wird es auch in Zukunft scheinbare Zuwächse oder Verluste geben. – Es ist also kein mathematischer, sondern ein messtechnischer Effekt. Diese Veränderungen sind auch in allen anderen Bundesländern zu beobachten.”

Der Wert wird immer genauer

Je mehr Flurstücke also genau vermessen wurden, umso stabiler wird dann auch der endgültige Flächenwert für das Land. Irgendwann wird es auch keine Zuwächse mehr im Hektarbereich geben, vielleicht nur noch Schwankungen im Quadratmeterbereich.

Es ist trotzdem erstaunlich, wie allein durch diese genaueren Nachmessungen ein Bundesland wie Sachsen binnen 13 Jahren um 720 Hektar “wachsen” kann. Die 720 Hektar kann man halt nur nirgendwo besichtigen. Sie liegen quasi als Schnipsel in allen neu vermessenen Flurstücken.

Auch in Leipzig übrigens. Aber darauf wird man nicht unbedingt aufmerksam, wenn das Amt für Statistik und Wahlen das jährliche “Statistische Jahrbuch” herausbringt, denn da stehen meistens nur die 10-Jahres-Vergleiche, die vor allem durch die Eingemeindungen 1999 / 2000 und den Grundstückstausch im Norden beeinflusst sind. Man muss also mehrere Jahrbücher nebeneinander legen, um zu sehen, dass auch Leipzigs Bodenfläche Jahr um Jahr ein wenig wächst.

Für 2013 merkt das “Jahrbuch 2014” zum Beispiel 29.738,7 Hektar an. Tatsächlich ist es der Vermessungswert des GeoSN aus dem Jahr 2012: 29.738,6597 Hektar waren es genau. Oder 297,4 Quadratkilometer. Und wer sich in Leipzig umschaut, sieht ständig irgendwo Leute mit orangenen Jacken herumlaufen, die irgendetwas vermessen. Auch 2013 “wuchs” Leipzig auf die Weise auf 29.738,7190 Hektar. Sind zwar bloß “schlappe” 593 Quadratmeter mehr. Aber ein kleines Häuschen könnte man auf der Fläche schon bauen – wenn man sie hätte.

Seit 2008 ist Leipzig nach Auskunft des GeoSN von 29.735,8467 auf 29.738,7190 Hektar gewachsen. Es sind also im Lauf der fünf Jahre knapp drei Hektar dazugekommen. Parallel hat sich die Zahl der Flurgrundstücke erhöht – von 101.037 auf 106.475.

Das Land wird also immer genauer vermessen, aber es geht nicht auf wie Hefeteig. Es kann sogar passieren, dass die Zahl wieder schrumpft. Denn nicht immer sind die genauen Flurflächen etwas größer als die im 19. Jahrhundert vermessenen. Es kann auch passieren, dass sie sich als etwas kleiner erweisen.

Die Anfrage von Wolfram Günther zum Flächenverbrauch in Sachsen.

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