Es ist schon so: Mit viel Rücksichtnahme können Leipziger, die mit ihrem Einkommen am Existenzminimum kratzen, nicht rechnen. Die halbe Stadtgesellschaft ist regelrecht trunken vom Wachstum der Bevölkerung, des Arbeitsmarktes, der Wirtschaft und der Einkommen. Die sind gestiegen 2014. Aber davon profitierten nicht alle.

Dass die Einkommen in Leipzig seit 2008 endlich wieder steigen, hat nur zum Teil mit der wirtschaftlichen Erholung der Stadt zu tun und dem Anstieg der Erwerbstätigkeit. Bis heute ist der Leipziger Arbeitsmarkt stark von marginalen und flexiblen Arbeitsverhältnissen geprägt, von Leiharbeit und von Aufstockern. Erst seit 2014 geht die Zahl der marginal Beschäftigten (und der Selbstständigen) in Sachsen deutlich zurück. Das hat vor allem damit zu tun, dass der Arbeitsmarkt mittlerweile in weiten Teilen ausgehungert ist und die Unternehmen ihren Fachkräftebedarf verstärkt aus dem Reservoir der marginal Beschäftigten und Selbstständigen decken. Und das auch schon vor Einführung des Mindestlohns.

Das hat unter anderem den Effekt, dass die Gruppe der Leipziger, die mit weniger als 600 Euro Einkommen im Monat auskommen muss, im Jahr 2014 geschmolzen ist – statt 15 Prozent sind es nur noch 12 Prozent der Befragten, die sich dieser Einkommensgruppe zugeordnet haben.

Natürlich scheitern wir hier jetzt am Zeitvergleich. Denn 2008, als der Anstieg der Einkommen in Leipzig begann, haben Leipzigs Statistiker noch eine andere Messgröße verwendet: 700 Euro als Maßstab. Aber immerhin ordneten sich damals noch 27 Prozent der Leipziger dieser niedrigsten Einkommensgruppe zu.

Doch die Wanderung der vormals marginal Beschäftigten in höhere Einkommensgruppen hat nicht dazu geführt, dass die Gruppe der Leipziger Normalverdiener (von 600 bis 1.600 Euro) gewachsen ist. Sie war mit 59 Prozent im Jahr 2014 ebenso groß wie im Vorjahr. Aber die seit 2008 verstärkt durchgesetzten Tarifforderungen der Gewerkschaften haben dazu geführt, dass die hohen Einkommensgruppen in Leipzig gewachsen sind. Die Gruppe der Leipziger, die ein Einkommen von 1.600 bis 2.300 Euro hatten, wuchs um einen Prozentpunkt auf nunmehr 19 Prozent, und auch bei den Einkommen über 2.300 Euro wuchs die Gruppe der Bezieher – in diesem Fall sogar deutlich – von 8 auf 11 Prozent. Und besonders profitiert von den Tarifzuwächsen haben, so stellen die Leipziger Statistiker fest, die 35- bis 49-Jährigen, also insbesondere die Altersgruppe, die schon eine gesicherte Anstellung und eine etablierte Familie hat. Ihr Monatseinkommen stieg im Schnitt von 1.464 auf 1.600 Euro.

Damit setzt sich der Trend fort, der seit 2008 zu beobachten ist: dass auch die Durchschnittseinkommen insgesamt steigen. Vorher war es so, dass die Durchschnittseinkommen der Leipziger tendenziell sogar gesunken sind. Doch die Stabilisierung des Leipziger Arbeitsmarktes ab 2008 wirkt sich zumindest bei den Durchschnittseinkommen aus, die 2014 von 1.152 Euro weiter auf nunmehr 1.207 Euro kletterten.

Das zeigt sich auch bei den Haushaltseinkommen. Hier wird ebenso deutlich, wie sehr sich Ehe und Partnerschaft positiv auf den Geldbeutel auswirken – man wirtschaftet nicht nur gemeinsam und hat in einem gemeinsamen Haushalt auch noch Einspareffekte, man hat dadurch auch mehr Freiräume, seine Verdienstmöglichkeiten zu erhöhen. Ergebnis: Paare mit Kindern sind mit 3.118 Euro Monatseinkommen derzeit die Champions unter Leipziger Haushalten, gefolgt von Paaren ohne Kinder mit 2.547 Euro. Alleinerziehende müssen mit 1.555 Euro über die Runde kommen. Für Alleinstehende wird das Single-Dasein hingegen zum Handicap.

Wobei die Frage ist: Sorgt das miserable Einkommen dafür, dass diese Einzelhaushalte mit lächerlichen 1.199 Euro über die Runden kommen müssen oder sorgt das Single-Dasein dafür, dass sie die schlechter bezahlten Jobs bekommen?

Der niedrige Wert kommt nicht allein deshalb zustande, weil hier auch noch die jungen Menschen in Studium und Ausbildung mit dabei sind. Sie machen auch nur wieder einen Bruchteil der enormen Zahl von über 162.000 Leipziger Ein-Personen-Haushalten aus (Zahl von 2013). Und die Haushalte der alleinstehenden Rentner wurden in der “Bürgerumfrage 2014” ebenfalls extra erfasst – sie mussten mit 1.126 Euro im Monat auskommen.

Womit sich eigentlich ein ganz besonderes Leipziger Problemfeld abzeichnet: die enge Verflechtung von Single-Dasein, niedrigem Einkommen und den dadurch drastisch reduzierten Chancen zur Gründung einer Familie. Denn anders, als es die wertkonservativen Traumtänzer der Republik gern behaupten, sind Ehe und Partnerschaft in erster Linie keine Frage der Moral oder gar der Religion, sondern des Geldes. Wer ganze Jahrgänge von Menschen – was ja seit 1990 der Fall war – in die Spirale prekärer, flexibler und schlecht entlohnter Beschäftigungen schickt, der nimmt ihnen die reelle Basis für Familiengründungen. Und das war und ist auch eine der Hauptursachen für die niedrige Geburtenrate.

Für die Betroffenen ein Teufelskreis: Menschen mit höheren Einkommen haben bessere Chancen zur Gründung eines Familienhaushalts, der die Chancen deutlich erhöht, in Jobs mit noch höheren Einkommen zu kommen. Was übrigens auch noch bei einem anderen Effekt sichtbar wird: bei der wöchentlichen Arbeitszeit.

Denn wer Jobs mit hohem Einkommen hat, arbeitet auch in Leipzig länger als der Durchschnitt. Wobei die Leipziger sowieso schon länger arbeiten als der durchschnittliche Bundesbürger – der geht nämlich schon nach 35,5 Stunden Wochenarbeitszeit nach Hause, der Leipziger muss für seine Kröten 38 Stunden auf Arbeit ausharren.

Aber die gutverdienenden Leipziger (ab 2.000 Euro im Monat) bleiben auch schon mal 42 Stunden auf Arbeit. Zum Beispiel auch, um das Geld für die Familie zu verdienen, nach wie vor die Hauptaufgabe des Mannes. Väter von Kindern bis 15 Jahre erreichen im Schnitt 41 Wochenstunden auf Arbeit, Mütter kommen auf 35 Stunden, sind also doch eher in Teilzeitjobs, die ihnen ermöglichen, sich um die Logistik der Kinder zu kümmern.

Wobei 16 Prozent der Leipziger sogar länger als 43 Stunden in der Woche arbeiten. Am längsten übrigens die Selbstständigen, die man in Leipzig eigentlich Selbstausbeuter nennen müsste.

Ein eigenes Thema? Machen wir morgen an dieser Stelle weiter.

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