Seit über einem Jahr schwelt in Leipzig die Diskussion um den Wohnungsmarkt. So dissonant, dass man meinen könnte, dass die Diskutanten in zwei völlig unterschiedlichen Städten leben müssen. Wahrscheinlich ist es auch so. Denn wo Leipzigs Verwaltung sagt, da sei noch gar kein Problem, mussten 2014 gleich mal 1.500 Haushalte feststellen, dass sie mit dem Problem auf der Straße stehen.

Und das hat eben nicht nur mit einem sich verengenden Wohnungsmarkt und dem Anziehen des Mietniveaus zu tun. Es hängt vor allem daran, dass sich in einigen Bevölkerungsgruppen der Stadt Armut verfestigt hat und zum Dauerbegleiter im Alltag geworden ist. Und wenn die paar Kröten, die man zum Leben bekommt, alle sind, dann kommt es ganz schnell zur Stromabschaltung oder – wie Susanne Schaper, die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, jetzt bei der Landesregierung abgefragt hat – zur Räumungsklage.

Das ist gar kein neues Thema für Leipzig. Etwas verschämt kam es schon in den Sozialreports bis 2012 vor. Viel zu weit hinten in dem dicken Buch. 2013 entschloss sich das Sozialdezernat, das Thema Wohnen und bedrohtes Wohnen weiter vorn im Report zu platzieren – auf Seite 26. Der Bericht für 2013 ist bislang der jüngste, der vorliegt. Der 2014-er steckt noch irgendwo in der Pipeline.

Aber schon 2013 war zumindest im Sozialdezernat klar, dass der Leipziger Wirtschaftsaufschwung an den wirklich Armen und Bedürftigen in der Stadt komplett vorbei geht. Sie profitieren auch nicht vom Einkommenszuwachs und hängen in der Regel – wie das auch schon vor der Schröderschen “Agenda 2010” und dem 2005 eingeführten “Hartz IV” war – am Tropf der staatlichen Hilfen. Die Stadt greift ein, wenn Menschen von Wohnungsverlust bedroht sind. Im Grunde müsste die Zahl der bedrohten Haushalte sinken im Lauf der Zeit, aber wo die Decke zu kurz ist, ist sie zu kurz. Wenn die Einen mit viel Aufwand erst einmal wieder gerettet sind vor der Obdachlosigkeit, flattert den Nächsten eine Räumungsklage ins Haus.

Und der Verdacht liegt so weit weg nicht, dass “Hartz IV” das Problem nicht gelöst, sondern verschärft hat. Denn bis 2007 sanken die Zahlen der Räumungsklagen in Leipzig. Lagen sie 2004 (dem Jahr vor Einführung von “Hartz IV”) noch bei 1.273, so sanken sie bis 2007 auf 943. Aber schon ab 2008 zogen die Zahlen kräftig an, stiegen auf 1.081, übertrafen 2011 die 1.200er-Marke (1.210) und schon im Folgejahr die 1.300 (1.306). Und 2014 nun lagen sie endgültig deutlich über den Vor-“Hartz IV”-Werten. Das hat nun die Anfrage von Susanne Schaper ergeben.

Mit 1.530 Räumungsklagen wurde in Leipzig  2014 ein neuer Spitzenwert verzeichnet, so bestätigt es Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf die Anfrage von Susanne Schaper hin. Sie hatte die Regierung auch nach den Räumungsklagen gefragt, die speziell mit Mietschulden begründet wurden. Aber das sei ein zu hoher Arbeitsaufwand, teilte ihr Gemkow mit.

Aber man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass Mietschulden der häufigste Grund für die bei den 25 sächsischen Amtsgerichten gezählten Räumungsklagen waren – 5.531 an der Zahl. Und man geht auch nicht allzu fehl, die steigenden Mieten in den drei Großstädten als zweite wichtige Ursache zu identifizieren. Denn der größte Teil der Räumungsklagen wurde eindeutig in den Amtsgerichten Leipzig (1.530), Dresden (1.125) und Chemnitz (460) registriert.

Leipzig sticht, wie man sieht, deutlich heraus. Und der straffe Anstieg der Räumungsklagen deutet auch darauf hin, dass eben nicht die ganze Stadtgesellschaft unter dem da und dort spürbar steigenden Mietniveau leidet, sondern der Leidensdruck wieder bei denen zuerst in geballter Form auftritt, die zuvor gerade so mit ihren Silberlingen über den Monat kamen, für die aber schon ein kleines Plus bei Kalt- oder Warmmiete das ganze Kartenhaus der knappen Haushaltsgelder zum Einsturz bringt.

Wenn die zuständigen Ämter von der Notlage erfahren, werden sie in der Regel tätig. Für 2013 lässt sich zum Beispiel sagen, dass es ihnen in über 400 Fällen gelang, eine Räumung der Wohnung zu verhindern. In über 800 Fällen aber kam es zur Räumung und die Stadt war in der Regel bemüht, für die Betroffenen Ersatz- oder Übergangswohnungen zu finden. Aber auch das wird schwerer, je mehr sich der Leipziger Wohnungsmarkt verdichtet. Am baldigen Bau von preiswerten Sozialwohnungen geht kein Weg vorbei. Und der Blick in die Statistik der von Wohnungslosigkeit Bedrohten zeigt eben auch, dass die Gruppe der Betroffenen längst da ist.

Die Kleine Anfrage von Susanne Schaper zu Räumungsklagen 2014.

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