Es gibt ein Thema in der "Bürgerumfrage 2014", das besonders Finanzbürgermeister Torsten Bonew interessiert, den Verantwortlichen fürs 1.000-Jährige: Wie sehr identifizieren sich die Leipziger eigentlich mit dem Stadtjubiläum der 1.000 Jahre Ersterwähnung? 2013 war es ja so, dass fast die Hälfte der Leipziger noch nicht mal was davon gehört hatte.

47 Prozent der damals Befragten antworteten, sie hätten von der 1.000-jährigen Ersterwähnung noch nie was gehört. Was verständlich ist: Leipzig ist ja nun eine Stadt, die aus einem Jubiläum ins andere fällt. 2012 waren es Thomaner, Thomasschule und Thomaskirche, die mit großem Tamtam ihr 800-Jähriges feierten, 2013 war erst Wagners 200. Geburtstag dran, dann böllerte 200 Jahre Völkerschlacht. 2014 sollte eigentlich mit ganz großem Tamtam aus Anlass von 25 Jahre Friedliche Revolution das Freiheits- und Einheitsdenkmal eingeweiht werden. Das Lichtfest mit Ringwanderung fand statt – die Denkmalweihe fiel aus.

Und wenn man die Leipziger trotzdem nach der Friedlichen Revolution gefragt hätte, hätten wohl auch die meisten gesagt: Kenn ich. Da war der eifrige Bischof Thietmar von Merseburg noch weit weg.

Das hat sich geändert. Auch schon im Herbst 2014, als die Bürgerumfrage stattfand. Immerhin hatten schon die ersten Plakatkampagnen die Leipziger erfreut – auch die eher wilden mit “Likezig” und so. Es sprach sich herum, dass Leipzig nun auch endlich in den Kreis der erwachsenen Städte aufgenommen würde. Denn unter 1.000, das kann ja jeder. Wer aber 1.000 Jahre durchhält mit allem Drumunddran, der darf feiern.

Ist nur die Frage: Wie? – Das große Plus der Veranstalter: Sie haben von Anfang an versucht, das Fest aus der üblichen Mottenkiste herauszuhalten, keinen altbackenen Kostümumzug mit Winkewinke-Tribüne zu machen, kein großes Volksbesäufnis, auch wenn man dann auf den Marathon des “längsten Bürgerfestes der Welt” nicht ganz verzichten wollte.

Aber der Sternenmarsch “Lipsias Löwen”, bei dem die Stadt sich mutig mit der Theatergruppe Titanick zusammentat, stand in der “Bürgerumfrage 2014” nicht zur Bewertung. Ganz bescheiden fragte man die Leipziger, ob ihnen das gewählte Motto gefällt. Wem es entfallen sein sollte: “1.000 Jahre Leipzig. Wir sind die Stadt”, heißt es. Und es bestätigt sich, was schon bei der Vorstellung dieses Slogans vor zwei Jahren auffiel: Er wirkt zwar jung und hell wie Margarine, spricht aber nicht wirklich junge Leute an.

Das hat sich auch nach einem Jahr Wahrnehmung im Straßenraum nicht wirklich geändert, auch wenn die Zustimmungswerte in den jüngeren Jahrgängen etwas gestiegen sind. Fanden 2015 noch 51 Prozent der Leipziger den Slogan gut bis sehr gut und 33 Prozent sagten “teils / teils”, während 16 Prozent ihn gar nicht toll fanden, so fanden 2014 immerhin 55 Prozent der Befragten die junge Dame mit dem Zeigefinger gut, unter der eigentlich nicht stehen dürfte “Wir sind die Stadt”, sondern “Du bist die Stadt”. Die Lösung des Themas ist also irgendwo im Ungewissen hängen geblieben. Mancher interpretiert es auch als mutlos und fragt sich: Wer ist denn wir? Seid ihr das oder dürfen wir auch mitmachen?

Das Unbehagen ist bei einem Teil der Befragten durchaus geblieben: 28 Prozent kreuzten 2014 “teils / teils” an, 17 standen zu ihrem “Gefällt mir nicht”.

Damit kann man leben. Eine Stadt besteht nun einmal aus vielen Wir (was jeder Anhänger eines Fußballclubs bestätigen wird), und manche fühlen sich dazugehörig – und andere nicht.

Augenscheinlich ist das Gefühl der Älteren, dazuzugehören, wesentlich stärker als bei den jüngeren Leipzigern: 63 Prozent der über 65 Jahre alten fand den Slogan im Jahr 2013 gut. 2014 waren es zwar immer noch 63 Prozent, dafür waren die Zustimungswerte der Jüngeren etwas gestiegen. Bei den 18- bis 34-Jährigen zum Beispiel von 46 Prozent Zustimmung im Jahr 2013 auf 51 Prozent – ebensoviel übrigens wie bei den 35- bis 49-Jährigen. Das sind die beiden Altersgruppen, in denen die Zurückhaltung am größten blieb, neben 27 Prozent “teil / teils”-Haltungen auch 22 bis 23 Prozent “gefällt mir nicht”.

Was natürlich die Frage aufwirft: Hat nun die Plakatkampagne dafür gesorgt, den Bekanntheitsgrad des Jubiläums zu erhöhen? Oder haben das andere geschafft – zum Beispiel die vielen Presseberichte?

Das beantwortet die “Bürgerumfrage 2014” nun nicht. Sie bestätigt nur, dass die Kenntnis dieses durchaus einmaligen Leipziger Jubiläums im Verlauf eines Jahres deutlich gewachsen ist. Sagten 2013 noch 53 Prozent der Befragten, dass sie von dem Jubiläum schon mal was gehört haben, waren es 2014 schon 71 Prozent, ein hoher Wert, der vor allem durch die höheren Jahrgänge in die Höhe getrieben wurde. Bei den Senioren zum Beispiel stieg der Kenntnisstand von 74 auf 84 Prozent. Bei den jungen Leuten (18 bis 34 Jahre), ging der Wert immerhin von 30 auf 51 Prozent nach oben. Natürlich kann das mit dem Thema zu tun haben: Die große Neigung, Jubiläen und Geburtstage zu feiern, wie sie fallen, und vor allem auch mal in Äonen zu denken, das ist wohl eher Sache der höheren Lebensalter. Als junger Mensch feiert man die Party, wenn sie sich bietet. Und 1.000 Jahre wirken da noch eher wie das Problem der alten Leute.

Die Leipziger Statistiker werten die jungen Leute deswegen als “die größten Kritiker” der ganzen Idee. Auch wenn der Wert derer, die den Slogan “Wir sind die Stadt” schlecht fanden, von 20 auf 23 Prozent gestiegen ist – ist das wirklich Kritik in dem Sinn? Wer jung ist, hat wohl einfach nicht das Bedürfnis, immer und überall dazugehören zu müssen und alles knorke zu finden, was Jubiläumsverantwortliche so auf die Beine stellen. In 50 Jahren, wenn das 1.050-Jährige ansteht, werden sie selbst die Mehrheit sein.

Und dann wird es für die kommenden Statistiker bestimmt spannend zu sehen, ob sie dann auch zu 63 Prozent alles toll finden oder noch kritischer sind. Oder ob sie einen ganz anderen Slogan hinkriegen.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar