Die Welt brennt. Statt die Feuer zu löschen und eine konstruktive Politik hinzubekommen, ist der Westen mit seinen eigenen, hausgemachten Problemen beschäftigt, diskutiert über Grexit und Brexit, als könne sich Europa auch nur ein einziges "fallengelassenes" Land leisten. Die Krisen der Welt spiegeln sich auch in der Leipziger Bevölkerungsentwickung von 2014.
Andreas Martin hat das für den jüngsten Quartalsbericht der Stadt Leipzig ausgewertet. Nicht nur junge Ausbildungswillige aus Mitteldeutschland kommen jedes Jahr nach Leipzig. Auch wenn sie einen gehörigen Anteil am Leipziger Bevölkerungswachstum haben. Zwischen 6.000 und 7.000 von ihnen ließen in den vergangenen Jahren auch die Zahl der Einwohner ohne Migrationshintergrund steigen, wie das im Statistikerdeutsch heißt. 492.133 waren das am Jahresende 2014. Der ganze große “Rest” von den im Melderegister gezählten Leipzigern sind also Menschen mit Migrationshintergrund.
59.738, um genau zu sein, über 10.000 mehr als 2012. Auch das trägt zum Leipziger Bevölkerungswachstum bei. Wobei viele dieser Menschen längst eingebürgert sind. Nur ihr Geburtsort im Ausland macht sie noch als Leipziger mit Migrationshintergrund kenntlich.
37.391 Menschen aus der Migrantengruppe sind amtlich als Ausländer registriert, nicht ganz 6.000 mehr als zwei Jahre zuvor.
Dabei sieht man die meisten Leipziger mit Migrationshintergrund im Stadtbild gar nicht mehr, weil sie sich nicht von den anderen Einwohnern unterscheiden. Die größte Migrantengruppe kommt aus der Russischen Föderation. Mit 7.382 Angehörigen ist diese Gruppe eindeutig die größte vor den Polen (3.542) und den Ukrainern (3.196), gefolgt von Vietnamesen (3.029) und Rumänen (2.106).
Aber die akuten Krisen der Welt werden natürlich erst sichtbar, wenn man auf die konkreten Entwicklungen im Jahr 2014 schaut. Ganz besonders deutlich wird es bei den neu registrierten Flüchtlingen, die 2014 in Leipzig ankamen. Und aus der Liste der Länder, aus denen diese Menschen kamen, kann man quasi eine Liste der aktuellen Krisenländer erstellen. Am stärksten vertreten unter den Flüchtlingen waren die Syrer mit 25 Prozent und die Tunesier mit 23 Prozent. Man vergisst ja bei dem Drama, das sich derzeit in Irak und Syrien abspielt, dass der gesamte so genannte Arabische Frühling eine ganze Reihe instabiler Länder zurückgelassen hat, in denen teilweise – wie im Irak – extremististische Gruppen versuchen, die Macht zu erlangen und die labilen politischen Verhältnisse zu destabilisieren.
Das lässt sich auch an den anderen Gruppen ablesen, aus denen Flüchtlinge nach Leipzig kamen: Libyer, Somali, Eritreer, Kosovaner, Afghanen. Aber auch Russen, Serben, Inder und Georgier landeten als Flüchtlinge in Leipzig.
Wenn deutsche Innenminister beginnen, bestimmte Länder dieser Welt für “sichere Herkunftsländer” zu erklären, heißt das noch lange nicht, dass die Konflikte in diesen Ländern tatsächlich beendet sind und nicht trotzdem Tausende Menschen gezwungen sind, aus unmenschlichen Verhältnissen zu fliehen.
Und nicht jeder Migrant, der nach Leipzig kommt, ist ein Flüchtling. Auch das ist wichtig zu betonen. Denn wenn bestimmte Migrantengruppen wachsen, kann das auch heißen, dass sie aufgrund geltender Freizügigkeitsregeln innerhalb der EU das Recht haben, auch in Sachsen nach Arbeit zu suchen. Das trifft auch auf die Rumänen zu, deren Gruppe 2014 am zweitstärksten wuchs nach der der Syrer. Aber auch die Zahl der Polen, Russen, Italiener und Vietnamesen wuchs. Was nicht immer Einwanderung als Ursache hat – viele dieser Neuleipziger werden auch in Leipziger Krankenhäusern zur Welt gekommen sein.
Eher ist erstaunlich, dass die Zahl der Griechen (+ 89) und Spanier (+116) nicht stärker wächst, als sie es 2014 tat. Vielleicht sind Städte im Osten Deutschlands aus ihrer Perspektive etwas weniger interessant als die im Westen – für Reisewillige aus Osteuropa dafür umso interessanter. So wuchs nicht nur die Gruppe der Polen (+ 403) und Tschechen (+77), sondern auch die der Ungarn (+173). Eigentlich eine Entwicklung, die die Leipziger Wirtschaft freuen sollte, denn damit kommen auch junge Arbeitskräfte.
Der statistische Effekt: Die zumeist jungen Zuwanderer haben auch 2014 das Leipziger Durchschnittsalter von 43,4 auf 43,2 Jahre gesenkt. Und weil die Zuwanderer zumeist jung sind, bekommen sie auch Kinder, die den Altersdurchschnitt weiter senken.
Ein Ergebnis das für die Kita- und Schulpolitik eminent wichtig ist: 17 bis 18 Prozent der Leipziger von 0 bis 18 Jahre haben einen Migrationshintergrund. Darauf muss mit gut aufgebauten Integrationsprogrammen reagiert werden, damit diese jungen Menschen nicht mit Schulende in das riesige Loch “nicht ausbildbar” fallen.
Die Zahlen sagen aber auch, dass es bei den 10,8 Prozent von Leipzigern mit Migrationshintergrund langfristig nicht bleiben wird. Daran ist aber nicht die Einwanderung schuld, sondern die niedrige Geburtenrate in Sachsen und Leipzig. Mit 1,4 Kindern pro Frau ist sie einfach zu niedrig, um auch nur den Bevölkerungsstand zu halten. Leipzig würde sich binnen weniger Jahre selbst in eine überalterte, kinderarme Stadt verwandeln, wenn es keine Zuwanderung im derzeitigen Maß gäbe. Es ist nur an der Zeit, dass diese Entwicklung nicht mehr wie ein Fatum behandelt wird, sondern alles getan wird, die Neuankömmlinge zu integrieren und zu einem echten Bestandteil der Stadtgesellschaft zu machen.
Und man sollte wohl auch aufhören zu hoffen, die Krisen in Afrika und dem Nahen Osten würden sich in ein paar Jahren wieder beruhigen und man könnte die Flüchtlinge einfach wieder zurückschicken – die Länder dort sind nachhaltig destabilisiert. Syrien und Nordirak sind auch noch völlig vom Krieg versehrt. Eine kluge und humane Integrationspolitik in Sachsen ist überfällig.
Man bekommt den Quartalsbericht in gedruckter Form für 7 Euro im Amt für Statistik und Wahlen.
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