Demnächst bekommt die Ratsversammlung wieder eine dieser Vorlagen zur Information vorgelegt, die wie die Erfolgsberichte eines Konzerns aussehen, aber tatsächlich nur vom Drama einer völlig introvertierten Bürokratie erzählen: Es ist die Zielabrechnung des Jobcenters Leipzig für 2015. Hosianna, könnte man auch drüberschreiben.

Gänsefüßchen nicht zu vergessen. Denn die wesentlichen Ziele wurden auch 2014 nicht erreicht. Und die Ziele, die erreicht wurden, waren nicht das, als was sie in der bürokratischen Beschönigung erscheinen.

Im Grunde schließt das Jobcenter jedes Jahr zwei Zielvereinbarungen ab. Eine mit dem Bund und eine mit der Stadt. In beiden geht es eigentlich um dasselbe: Die Senkung der Ziffern, Zahlen und Ausgaben. Man geht mit den vielen Menschen, die in Leipzig auf Unterstützung angewiesen sind, wie mit Plangrößen um. Die in diesem Fall einfach zu verringern sind, indem man sie irgendwie in den Arbeitsmarkt hineindrückt. “Integration” heißt das.

Am Ende zahlt vor allem die Stadt Leipzig drauf, weil das Ganze nicht funktioniert. Vier Ziele hat man mit der Stadt vereinbart. Zwei sind eigentlich nicht wirklich schwer erreichbar: die Vermittlung von 80 jungen Leuten ins Projekt Joblinge (hinter dem auch die Leipziger Wirtschaft steht) und seit 2014 neu dazugekommen “Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheine für Coaching Marktersatz”. Das klingt schrecklich, beschreibt aber etwas, von dem der Laie eigentlich dachte, dass das im Jobcenter Leipzig seit 2005 zum ganz normalen Service gehört.

In der Vorlage ist es so beschrieben: “Den Teilnehmern von  Marktersatzmaßnahmen soll bereits vor Beendigung der Maßnahme mit Hilfe eines Coachings umfassende Hilfe im bevorstehenden Bewerbungsprozess gegeben werden.  Die intensive Unterstützung soll dabei die Chancen auf die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt erhöhen. Da der Unterstützungsbedarf der jeweiligen  Teilnehmer sehr unterschiedlich ist, sollten die entsprechenden Coaches mit Hilfe von individuellen Aktivierungsgutscheinen, die bei verschiedenen (zertifizierten) Trägern eingelöst werden können, vom Teilnehmer selbst ausgewählt werden.”

Ziel waren 180 solcher Scheine. 232 wurden ausgeteilt.

Die eigentlichen “Ziele” hat Leipzig verfehlt

Aber das war trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn tatsächlich haben alle “Maßnahmen” und “Integrationen” nichts geholfen, den manifesten Berg an Leipziger Leistungsempfängern zu senken.

Auf 40.500 wollte man die Zahl der Bedarfsgemeinschaften drücken. Kleine Enschränkung: Bedarfsgemeinschaften mit Leistungen für Unterkunft und Heizung (LUH). 42.098 hat das Jobcenter 2013 gezählt (offizielle Zahl der Bedarfsgemeinschaften zum Jahresende: 42.478). Es war trotzdem kühn, so eine Abnahme zu prognostizieren. Sie trat auch nicht ein. Das Ziel wurde krachend verfehlt.

“Für die Begrenzung der Anzahl an Bedarfsgemeinschaften mit Anspruch  auf Leistung für Unterkunft und Heizung wurde von der Stadt Leipzig ein  Erwartungswert von 40.500 im Jahresdurchschnitt formuliert. Mit den vorliegenden Daten vom Oktober 2014 wird das Jahresendziel noch nicht erreicht. Bis zum Dezember 2014 wird sich die Zahl erfahrungsgemäß weiter verringert haben, den Erwartungswert jedoch voraussichtlich knapp verfehlen.”

Tatsächlich wurden im Dezember 2014 in Leipzig 41.847 Bedarfsgemeinschaften gezählt. Geht man davon aus, dass tatsächlich rund 400 keinen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung haben, dann kann von einem “knappen Verfehlen” keine Rede sein. Dann standen zum Jahresende rund 41.450 Bedarfsgemeinschaften mit LUH in der Bilanz.

Was nicht nur für die Betroffenen ein Drama ist, sondern auch für die Stadt, deren Verwaltung nun seit über fünf Jahren glaubt, sie könne die Zahl der Bedürftigen einfach durch administrative Auflagen drücken. Das funktioniert aber nicht. Denen, die aus verschiedensten Gründen und aufgrund von Handicaps wie höherem Alter, fehlender oder falscher Qualifikation in “Betreuung” des Jobcenters sind, sind die meisten Türen in den ersten Arbeitsmarkt verschlossen. In den letzten Jahren haben sie fast alle im besten Fall das Rein-Raus-Spiel mit befristeten Arbeitsverträgen erlebt, Saisonarbeitsverträgen zumeist, mit denen das Jobcenter einige Unternehmen in der Region mit billigen Arbeitskräften versorgte. Oft genug so schlecht bezahlt, dass die “Integrierten” nicht mal aus der Unterstützungsleistung des Jobcenters gehen konnten.

Ergebnis: Die Stadt hat bei “Leistungen für Unterkunft und Heizung” nicht das gespart, was sie eigentlich wollte. Mit 146,2 Millionen Euro hat sie gerechnet, 150,7 Millionen sind es geworden.

Das Jobcenter versucht die Gründe zu beschreiben: “Der  kommunale  Erwartungswert für die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung konnte nicht erreicht werden. Trotz der sehr  guten Integrationsergebnisse wurde der erwartete Wert um 3,1 % überschritten, das waren Mehrausgaben in Höhe von 4,5 Millionen Euro. Einer der Gründe ist, dass selbst durch eine erfolgreiche Integration in den ersten Arbeitsmarkt,  auf Grund der teilweise geringen Haushaltseinkommen bzw. der Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft, keine Beendigung des SGB  II-Leistungsbezuges erreicht wird.”

So deutlich hat das Jobcenter Leipzig bislang noch nicht formuliert, dass die meisten Jobs, in die sie ihre Schützlinge “integrieren” konnte, nicht mal so gut honoriert wurden, dass sie den Leistungsbezug beenden konnten. Die Menschen blieben – trotz Arbeit – Jobcenter-Kunden. Das erhöht ganz bestimmt das Selbstbewusstsein und hebt die gute Stimmung.

Tatsächlich schwebt ja über den Köpfen der Verwalter immer dieser Traum, mit einer Perfektionierung der Arbeitslosenverwaltung könnten sie endlich mit dem Berg der Bedürftigen aufräumen. Gar den Berg der Langzeitbedürftigen abschmelzen. Auch dazu gab es eine Zielvereinbarung – nicht mit der Stadt, aber mit dem Bund. So irgendwie zumindest.

Wer lange darbt, fliegt irgendwann aus der Statistik

In der Zielbeschreibung klingt das so: “Hierbei wird die Anzahl aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (eLb) ab dem 17. Lebensjahr erfasst, die in den letzten 24 Monaten mindestens 21 Monate im Leistungsbezug standen. Die Veränderung bemisst sich am Jahresdurchschnitt bezogen auf das Vorjahr. Für die Verringerung der Anzahl Langzeitleistungsbezieher muss die Integration in den ersten  Arbeitsmarkt so erfolgen, dass der Lebensunterhalt ohne den Bezug von zusätzlichen SGB II – Leistungen gedeckt werden kann.”

Von 38.140 im Jahr 2013 wollte man die Zahl auf 37.567 senken. Geschafft wurden 36.966.

Im Zielbericht des Jobcenters klingt das wie ein Erfolg. Aber die Zahlen beziehen sich nun einmal auf die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Die sank aber 2014 von 52.864 auf 51.935. Und dieses Abschmelzen geht fast komplett auf das Ausscheiden von älteren Arbeitsuchenden aus der Jobcenterstatistik zurück. Jedes Jahr “verschwinden” auf diese Weise zwischen 900 und 1.300 erwerbsfähiger Leistungsbezieher aus der Leipziger Statistik. Durch die jungen Arbeitsuchenden (U 25) wird das aber nicht wieder aufgefüllt, weil diese Arbeitsuchenden – oft auch trotz geringer Qualifikation – gesucht und gebucht werden.

Das heißt: Der größte Teil des Abschmelzens der Langzeitbezieher geht nicht auf verbesserte “Integrationen” zurück, sondern auf simple Alterseffekte.

Aber den Bund interessieren am Ende nur die Zahlen, keine Schicksale. Wenn die ausgezahlten “Leistungen für Lebensunterhalt” sinken, freut sich irgendein Sachbearbeiter in Nürnberg. Mit 179,130 Millionen Euro Ausgaben hatte man 2014 gerechnet, 178,518 wurden es am Ende. “Tatsächlich wurden 2014 insgesamt 178,518 Millionen Euro ausgegeben”, schreibt das Jobcenter. “Gegenüber dem Prognosewert entspricht das einer Einsparung von 0,612 Millionen Euro.”

Ach ja? Wir glauben das an dieser Stelle nicht. Denn natürlich werden in den “Zielvereinbarungen” die Sanktionen niemals erwähnt, die in Sachsens Jobcentern mit steigender Konsequenz gegen Klienten ausgesprochen werden, die gegen die so gern beschworene “Prozessqualtät” rebellieren und sich verweigern. Das heißt: Fast die Hälfte der “eingesparten” 612.000 Euro entfallen auf die Sanktionen gegen rund 2.600 Leipziger Jobcenter-Kunden.

Bürokratie senkt keine Arbeitslosigkeit

Tatsächlich erzählt auch diese Informationsvorlage des Jobcenters sehr verklausuliert, aber unübersehbar davon, dass die ganzen Zielvereinbarungen nichts sind als ein bürokratischer Verwaltungsakt, der den Betroffenen nicht die Bohne hilft, wieder ein selbstständiges, unabhängiges Leben zu führen.

Tatsächlich zeigt der Versuch, die Zahlen durch vermehrte Verwaltungsanstrengungen zu drücken, keinen Erfolg. Was übrigens in den Leipziger Arbeitsmarktzahlen von Anfang 2015 noch deutlicher wird. Die meisten der vor allem langzeitig Betroffenen prallen am real existierenden Leipziger Arbeitsmarkt einfach ab. Ihre Chancen auf eine “Rückkehr” sind gleich Null.

Da hilft auch alle Selbstbeweihräucherung der verantwortlichen Politiker nichts. Und dass man 2013 gar daran ging, die wenigen vom Jobcenter geförderten Arbeitsverhältnisse komplett zu streichen, war schlicht der Gipfel der Unbegreiflichkeit. Irgendwie hat man das mittlerweile wohl auch auf Amtsebene begriffen. In der den Stadträten vorgelegten “Begründung” steht nun zumindest der Satz: “Für sehr arbeismarktferne Langzeitarbeitslose wird ab dem Jahr 2015 das Bundesprogramm ‘Chancen eröffnen – soziale Teilhabe sichern, Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit’ umgesetzt. Mit öffentlich geförderten Arbeitsplätzen und sozialer Teilhabe sollen Menschen gefördert werden, die bisher nicht vom Aufbau der Beschäftigung und der konjunkturellen Entwicklung am 1. Arbeitsmarkt profitiert haben.”

Das ist zwar wieder nur Marketing-Gesülze, das den Kern des Problems nicht mal berührt. Aber es ist zumindest verklausuliert die Einsicht, dass die Abschaffung der ABM ein gequirlter Unfug war.

Zielabrechnung 2014 des Jobcenters Leipzig.

Begründung zur Ratsvorlage zur Zielabrechnung des Jobcenters.

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