Auch der "Spiegel" griff am Freitag, 13. März, eine Meldung des ZDF auf und verwandelte sie in die Überschrift: "Griechenlands Euro-Austritt: Mehrheit der Deutschen für Grexit". Binnen zwei Wochen, so suggeriert diese Umfrage für das "ZDF-Politbarometer", sei die Stimmung in Deutschland völlig gekippt. Ach ja? Oder doch besser: Vorverurteilende Berichterstattung zeigt Wirkung. Das ZDF natürlich mit dabei.
Dass man im Deutschen Fernsehen nicht mehr differenziert oder gar Zusammenhänge erklärt oder gar die Hintergründe der eigenen, vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) praktizierten Politik hinterfragt, ist nun seit Jahren Kritikpunkt, wenn es um die Berichterstattung von ARD und ZDF geht.
Manchmal werden Dinge verständlicher, wenn man sich als Journalist einfach mal in die Lage des Anderen versetzt. In diesem Fall der neu gewählten griechischen Regierung, die dem eigenen Land wieder Luft zum Atmen und überhaupt erst einmal Spielräume für Reformen schaffen will. Das, was die Troika vorgeschlagen hat, die sich nun nicht mehr Troika nennen will, sind keine Reformen. Auch wenn das immer wieder auf dem Rezeptbuch steht, das man sich 1:1 beim IWF und seiner beliebten Schocktherapie ausgeliehen hat.
Aber nur mal so vorgestellt, es wäre der deutsche Finanzminister, der vor vier Jahren ein derart radikales Sparpaket von einem Gremium namens “Troika” hätte umsetzen müssen, während die Bonität des Landes von den Ratingagenturen in den Keller getrimmt worden wäre. Und er wäre dazu verdonnert, Rentensätze zu senken, tausende Staatsangestellte zu entlassen und wichtiges Eigentum schnellstmöglich zu verkaufen – ja, so ungefähr, wie es damals die Treuhand gemacht hatte. Und er hätte dabei mit einer massiv steigenden Arbeitslosigkeit zu arbeiten, die binnen vier Jahren von 9 auf 27 Prozent gestiegen wäre (solche Werte hatte Deutschland zuletzt 1929 in der damaligen Weltwirtschaftskrise), die Jugendarbeitslosigkeit dabei bei über 50 Prozent, die Steuereinnahmen im freien Fall, das Großkapital auf der Flucht in Steueroasen?
All das ja keine Phantasiewerte. Das ist heute in Griechenland die Realität, eine finstere Realität, in der das Land eigentlich jede Hilfe brauchen würde, um sich da herauszuarbeiten.
Und gleichzeitig würden die Gläubiger (zu denen eben auch die Troika gehört) von ihm fordern, er möge erst einmal sämtliche Kreditforderungen auf seinen Schuldenberg von 3 Billionen Euro zahlen, bevor er das Geld im Land ausgibt oder gar für Krankenhauspersonal?
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um sich vorzustellen, dass in diesem Fall in den deutschen Großstädten längst die Barrikaden brennen würden, eine Wahl würde der nächsten folgen und Polizei und Armee wären längst zu Kriseneinsätzen unterwegs.
Aber es ist wohl so: Weder der deutsche Finanzminister noch das ZDF sind noch in der Lage, sich so etwas überhaupt vorzustellen. Sich überhaupt vorzustellen, wie sich ein 11-Millionen-Einwohner-Land fühlt, das bei einem Bruttoinlandsprodukt von 180 Milliarden Euro noch immer 370 Milliarden Euro Schulden hat – obwohl sämtliche Hilfskredite der letzten Jahre zur Bedienung der Kreditschulden ausgegeben wurden.
Und man möge sich eine Bundeskanzlerin vorstellen, die zum Wohl ihres Volkes nach Brüssel reist und versucht, mit den hartleibigen Troika-Bürokraten um eine Erleichterung der Forderungen zu kämpfen, um neue Spielräume zu erreichen, damit sie den Deutschen wieder sagen kann, dass es wieder eine reelle Chance gibt, sich aus der Malaise herauszuarbeiten? Und dann nach jedem Termin mit diesen Ex-Bankern öffentlich eine Rüge zu bekommen, warum sie sich nicht an die Verträge und Abmachungen hält, zu der man sie vor vier Jahren verdonnert hat?
Oder gar noch übers Fernsehen mit geradezu persönlichen Kränkungen überschüttet zu werden – so nach dem Kauder-Prinzip: “Griechenland bekommt keine Extrawurst”. Auch das ZDF hat das Griechenland-Bashing in den letzten Wochen intensiv mitverbreitet. Samt der sehr konzertierten Polemik einiger durchaus zum Hasard entschlossenen Politiker, die Griechenland einfach mal entsorgen und aus der EU schmeißen wollen. Grexit heißt das bei denen.
Da gehen die klugen, nachdenklichen Töne unter. Oh, die findet man beim ZDF auch, wenn es tatsächlich den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras zitiert: “Griechenland hat bereits damit begonnen, seinen Verpflichtungen vom 20. Februar nachzukommen. Ich glaube, es gibt kein griechisches Problem, es gibt ein europäisches Problem, und da wir Pro-Europäer sind und zusammen in eine gemeinsame Zukunft gehen wollen, denke ich, dass wir am Ende des Tages all diese Missverständnisse lösen werden.” Oder den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz: “Jetzt ist die Zeit, dem griechischen Volk ein Zeichen der Hoffnung zu geben, nicht nur immer Umsetzung, Umsetzung, Umsetzung und Verpflichtung, Verpflichtung, Verpflichtung.”
Dumm nur, dass in der EU nicht das Parlament regiert, sondern – in diesem Fall – die EU-Finanzminister. Auch die Troika ist nicht mit Parlamentariern besetzt. Die drei Sitze für die EU hat die Kommission besetzt. Jean-Claude Juncker sitzt mit drin, EU-Kommissionspräsident und gleichzeitig im Visier der EU-Ermittler, weil sein kleines Königreich Luxemburg die größte Steuergeldminderungsmaschine auf dem Kontinent ist. Mit den von diversen Großkonzernen in Luxemburg ersparten Steuern hätte Griechenland locker seinen Haushalt sanieren können.
Doch was im ZDF zumindest noch nebeneinander steht, wird in anderen Medien schon lange nur noch einseitig behandelt. Da darf jeder, der irgendwie eine Meinung hat, draufschlagen.
Dabei zeigt schon ein Blick auf die Zahlen, dass die alten IWF-Rezepte, die die Troika in Griechenland anwendet, als wolle sie einfach nichts draus lernen, keine Wirkung mehr zeigen. Denn sie haben nichts mit den Ursachen zu tun.
Die Ursachen waren auch in Griechenland die gewaltigen Rettungspakete für die Banken, die 2007/2008 wie andere Großbanken der Welt auch zugeben mussten, dass sie sich völlig verzockt hatten mit faulen Papieren. Von 183 Milliarden Euro im Jahr 2004 (kaum mehr als im EU-Beitrittsjahr 2001) zog die griechische Staatsverschuldung bis 2011 auf 355 Milliarden an. Dann gab es den kleinen Schuldenschnitt, der den Schuldenberg auf 305 Milliarden reduzierte. Aber seitdem steigt die Schuldenlast wieder, während das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2008 und 2013 schrumpfte. Es liegt heute 20 Prozent unter dem von 2007. Wo sollen da die Raten für die Milliardenschulden herkommen?
Das braucht völlig andere Rezepte, als sie die Troika angewendet hat, die von diversen Politikern fortwährend die immer gleichen Ratschläge bekommt: Druck erhöhen!
Und diese Rufe, die von scheinbar besorgten Männern im guten Anzug vorgetragen werden, zeigen natürlich Wirkung, wenn sie jeden Tag aufs Neue und mit immer neuer Mimik vorgetragen werden. Zumindest beim deutschen Fernsehzuschauer, der nach Wochen des Trommelfeuers irgendwann das Gefühl hat: Es reicht. Die Griechen müssen raus.
Kaum ein Thema wurde in den deutschen Medien in den letzten Jahren so dauerhaft und über Monate bedient wie die griechische Schuldenmisere. Mitsamt der Predigt, die Vorgaben der Troika seien alternativlos. Sind sie aber nicht, genauso wenig wie die Besetzung des Gremiums mit Leuten, die sich schon in diversen Banken (die 2007 berühmt wurden durch ihre Zockerspiele) als Sachwalter einer dubiosen Finanzwelt “bewährt” haben. So machen Banker am Ende Politik über Staaten. Dass das Leute wie Volker Kauder nicht schlimm finden, man hat sich dran gewöhnt.
Aber mit Demokratie oder einer europäischen Solidargemeinschaft hat das nichts mehr zu tun.
Und wenn das ZDF nach Wochen dieser PR-Kampagne für die Banken und Anleger, die mit Griechenland derzeit richtig gutes Geld verdienen (der deutsche Finanzminister übrigens auch), das Volk fragt, ob die Griechen nun reif seien für den Rausschmiss aus dem Euro, dann hat das mehr als nur ein Geschmäckle. Dann zeigt es eigentlich nur, wie gehorsam die vom Rundfunksteuerzahler finanzierten Fernsehkanäle dem Marschbefehl aus den Finanzministerkabinetten folgen und die Meinungsbildung noch verstärken, als wüssten sie nicht, wie so eine Art Dauerberichterstattung wirkt.
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Zur Meinungsbildung bedienen wir, die wir nicht Vorort sind, uns der verfügbaren Medien.
Die deutschen Medien taugen hierfür kaum.
Wie das Staatsfernsehen, allen vorweg das ZDF, die Tatsachen und deren Geschichte verfälscht, konnten wir bei den diversen “Rückblicken” zur eigene Herkunft, der eigenen Heimat mit Entsetzen bestaunen.
Anregung und “eine zweite Ansicht”, vor allem aber Zahlen und Zusammenhänge geben uns unsere deutschsprachigen Nachbarländer.
Zitat:
Die Situation Griechenlands
Wer Syriza und den Entscheid, die Regierungsverantwortung in äusserst ungünstiger Konstellation zu übernehmen kritisiert, sollte sich Zeit nehmen, sich der realen Situation dieses Landes bewusst zu werden. Griechenland geht es nicht mehr einfach nur „schlecht“, das Land steckt ist in einer humanitären Krise. Fast eine Million Menschen haben seit der Krise ihre Jobs verloren (die tatsächliche Arbeitslosenquote liegt wohl bei 35%), die Jugendarbeitslosigkeit beträgt teilweise über 70%, 75’000 Unternehmen wurden geschlossen, 40% der Arbeitnehmer_innen haben keine Sozialversicherung mehr, ein Drittel der Griecheninnen und Griechen kann sich die Krankenversicherung nicht mehr leisten, ein Viertel der Bevölkerung lebt mit weniger als 500 Euro im Monat, die Einkommen sind seit 2009 um 30% zurück gegangen, über 6 Millionen (sic!) leben an oder unter der Armutsgrenze. Die Menschen sterben inzwischen, weil sie sich nicht mehr behandeln lassen können.
Seit Beginn der Krise flossen hunderten von Milliarden „Hilfszahlungen“ nach Griechenland – gesehen hat davon die Bevölkerung praktisch nichts: 77% der Rettungsgelder gehen direkt in die Taschen der Banken. Die politische und wirtschaftliche Elite Europas rettet nicht Griechenland oder die Griechen, sondern die eigenen Milliarden. So krass und dreist wie in Griechenland wird die Umverteilung von unten nach oben sonst nirgends in Europa betrieben.
http://cedricwermuth.ch/blog-ein-paar-ungeordnete-gedanken-zu-syriza/