Als hätten sie sich abgesprochen, veröffentlichten auch die Dresdner Statistiker am Dienstag, 3. März, ihre Bevölkerungsprognose. Auch in der Landeshauptstadt geht es munter weiter mit dem Bevölkerungswachstum. 585.000 Einwohner prophezeien die Statistiker der Stadt bis 2030. Dass sie nicht mutig über die 600.000 gehen, liegt am deutlich geringeren Wanderungsgewinn gegenüber Leipzig.

Während in Dresden tatsächlich ein positiver Wanderungssaldo von 6.000 die Norm ist, sind es in Leipzig seit 2011 um die 10.000. Und eigentlich ist man hier wie dort ein bisschen ratlos. Denn so dynamisch hat keine der in den letzten Jahren vorgestellten Prognosen die Entwicklung vorausgesagt. Auch nicht in Dresden: das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) genauso wenig wie das Landesamt für Statistik – beide lagen am gründlichsten daneben. Auch was die Leipziger Zahlen betrifft. Etwas besser schätzten noch die Bertelsmann-Studie von 2011 und die eigene Dresdner Studie von 2012. Die Stadt sah sich aber im Herbst 2014 genötigt, die Werte deutlich nach oben zu korrigieren. Die Ergebnisse dieser Korrektur stecken jetzt im vorgelegten Bericht.

Im Grunde kann man sagen: In Deutschland wurde die Rolle der Großstädte als Transformatoren der gesellschaftlichen Entwicklung völlig unterschätzt. Man hat weder die Rolle der Hochschulen noch die der Infrastrukturen richtig gewürdigt, nicht den Beitrag der größeren Anteile höherer Schulabschlüsse und der Rolle der Metropolen als Clusterzentrum für moderne Unternehmen. In der sächsischen Regierung will man den Trend bis heute nicht akzeptieren, versucht sich mit Sparen hier und Geldverteilen dort irgendwie aus der Schlinge zu ziehen, um ja nicht anzuerkennen, dass moderne Landesstrukturen auf die drei Metropolknoten hin gedacht und gestärkt werden müssen. Wenn die Netzknoten funktionieren und vor allem durch moderne Verkehrsstrukturen auch in ihre Region vernetzt sind, dann ziehen sie die Städte in ihrem Umkreis mit.

Genauere Erhebungen, aus welchen kleinräumigen Regionen die Zuwanderer nach Dresden oder Leipzig kommen, gibt es nur bedingt. Aber dass die jungen Leute, die in die Großstadt ziehen, vor allem kompakte und funktionierende Strukturen suchen, das ist selbst innerhalb des Stadtgebietes nachweisbar. Auch in Dresden bevorzugen sie die innerstädtischen Quartiere. Es ist tatsächlich nicht nur die Großstadt, die anzieht, sondern die City.

In Dresden praktisch dasselbe Bild: Die innerstädtischen Quartiere wachsen am stärksten. Karte: Stadt Dresden
In Dresden praktisch dasselbe Bild: Die innerstädtischen Quartiere wachsen am stärksten. Karte: Stadt Dresden

Womit nicht der alte Stadtkern gemeint ist, sondern der hochkompakte Kern von oft gründerzeitgeprägten Stadtquartieren mit Nähe zu Kultur, Ausbildungsstätten, Parks, Wasser, Spielplätzen, Kitas und Schulen. In Leipzig ist das nun seit über zehn Jahren ein mehr oder weniger von den Statistikern grün gefärbter Ring um die Innenstadt. Selbst Quartiere, die schon seit 1996 wachsende Bewohnerzahlen aufweisen wie das Zentrum Süd und die Südvorstadt, wachsen weiter.

Wobei eines auffällt: In den alten Vorstädten ist geradezu ein kleiner Bauboom ausgebrochen. Hier entstehen immer neue Lückenbebauungen im höherpreisigen Segment, für die sich sogar Mieter finden in Leipzig.

Gleichzeitig verwandeln sich die Westvorstadt, das Waldstraßenviertel, das Grafische Viertel oder das Musikviertel immer mehr in Viertel der Gutbetuchten. Ein leiser Prozess, der – anders als einzelne Projekte in Plagwitz oder der Südvorstadt – kaum Gegenproteste aufruft, weil er nicht als Verdrängungsprozess oder tatsächliche Gentrifizierung erlebt wird, sondern als Stabilisierungsprozess von Quartieren, die eher nicht als schicke, junge Wohnviertel erlebt werden. Hier waren auch kaum jene so wichtigen Pioniere ansässig, die mit Kultur, Kunst und mutigen Geschäftsideen erst Leben in die Bude gebracht haben. Das ist viel eher in den Vierteln der Fall, die jetzt tatsächlich an der Spitze der Leipziger Bevölkerungsentwicklung rangieren.

Und da hat 2014 ein Ortsteil die Spitze übernommen, der endgültig klar macht, dass der Osten kommt: Volkmarsdorf lag bei der Bevölkerungsentwicklung mit 10,7 Prozent Zuwachs eindeutig an der Spitze, gefolgt von Altlindenau (+6,9 %), Neulindenau (+5,2 %), Anger-Crottendorf (+5,0 %) und – willkommen im Bund – Mockau-Süd (+4,5 %).

Dass gleich fünf Ortsteile in Ost, West und Nord in dieser Wachstumszone liegen, zeigt auch, wie stark das Wachstum mittlerweile das ganze innere Stadtgebiet erfasst hat. Die sechs Ortsteile mit Bevölkerungsschwund liegen alle am Stadtrand, sind ländlich geprägt und strukturschwach. Noch ein deutliches Zeichen dafür, dass junge Menschen, wenn sie umziehen, vor allem intakte und kompakte Strukturen suchen. Da, wo alles, was man braucht, auch fußläufig erreichbar ist.

Die meisten innerstädtischen Quartiere legten 2014 ein Wachstum von 3 Prozent und drüber hin. Drumherum gibt es einen blassgrünen Gürtel, wo es 1,5 bis 3 Prozent aufwärts ging. Das kennzeichnet zum Beispiel die ganzen Ortsteile links und rechts der Georg-Schumann-Straße, wo Leipzigs Stadtplaner gerade wieder demonstrieren, wie schwer es ihnen fällt, lebendige Ortsteilstrukturen zu schaffen.

Und die frohe Botschaft aus dem Westen: Auch Grünau wächst wieder – zwischen 0,2 und 2,5 Prozent. Nur in der neuen Eigenheimsiedlung Schönau ging es mit 4,2 Prozent noch stärker in die Höhe.

Dunkelgrün: Die am stärksten wachsenden Ortsteile in Leipzig 2014. Karte: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen
Dunkelgrün: Die am stärksten wachsenden Ortsteile in Leipzig 2014. Karte: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen

Eigentlich alles sehr anschauliche Prozesse. Nur hatten die Statistiker das so einfach nicht auf dem Schirm. “Unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen fällt es auch Prognoseexperten schwer, verlässliche Langzeitfaktoren zu benennen, um die Entwicklung der Bevölkerung vorherzusagen”, schreibt Andreas Martin, nennt aber das Erreichen der 600.000er-Marke “nur eine Frage der Zeit”. Dann werde sich das Wachstum wohl abschwächen.

Doch dann schaut man sich den Lebensbaum an, den er auf Seite 7 in seinen Beitrag eingebaut hat, und man sieht, dass gegenüber 2000 nicht nur bei den 50-Jährigen ein Zuwachs zu sehen ist, sondern – besonders massiv bei den 30-Jährigen. Und das sind genau die Jahrgänge, die derzeit die Kinder kriegen (das erste im Schnitt mit 31, das zweite mit 35), die aber auch die wirtschaftliche Entwicklung tragen. Und das heißt dann wohl, dass es in den nächsten Jahren noch mehr Kinder geben wird.

Und ein Ende der ignoranten Landes- oder Bundespolitik, die beide noch immer so tun, als hätte sich in Deutschland seit 1950 nichts geändert, ist auch nicht in Sicht. Es werden also noch mehr Leute aus den ländlichen Regionen in die Großstädte strömen und hier die wirtschaftliche Entwicklung noch weiter forcieren. Mal ganz zu schweigen von den Flüchtlingen, die in Deutschland eigentlich dringend gebraucht werden, wenn das Land nicht vergreisen soll.

Und so nebenbei schaukeln sich die Mieten hoch auf ein Niveau, das die Leipziger so noch nicht kennen.

Dazu kommen wir morgen an dieser Stelle.

Den Statistischen Quartalsbericht bekommt man für 7 Euro in gedruckter Form beim Amt für Statistik und Wahlen.

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