LeserclubEs war eine der wichtigsten Analysen zum Zustand unserer Demokratie, die Harald Trabold im Herbst 2014 mit "Kapital Macht Politik" vorlegte. Sein Fazit war recht deutlich: Wir sind auf keinem guten Weg. Hinter dem heutigen Lobgesang auf unsere Demokratie haben sich längst die Strukturen einer Plutokratie ausgebildet. Können wir unsere Demokratie überhaupt noch retten? Und wenn ja: Wie?

Die Summe, die Harald Trabold zieht, nachdem er die Mechanismen der Machtübernahme durch das Große Geld in den Staaten des Westens analysiert hat, ist in seinem Buch auf Seite 387 nachzulesen: “Wenn die in diesem Buch beschriebenen Entwicklungen so weitergehen wie bisher, dann werden die meisten westlichen Demokratien sich in nochmals drei bis vier Jahrzehnten in demokratisch legitimierte Plutokratien umgewandelt haben.”

Wir sind auf direktem Weg dahin. Und wer keine Tomaten auf den Augen hat, sieht, wie das Große Geld sich Macht kauft und zunehmend die politischen Führungspositionen besetzt. Das beste Beispiel sind die USA, bei denen sich Trabold gar nicht so sicher ist, ob für dieses einstige Vorbild der westlichen Welt nicht längst der Titel Plutokratie zutrifft. Selbst die FAZ, eher bekannt als Stimme des Big Business in Deutschland, hat am 10. Januar 2014 verblüfft festgestellt, dass man eigentlich kaum noch eine Chance hat, Mitglied im US-Kongress zu werden, wenn man nicht mindestens Millionär ist. Im Senat ist die Sache noch etwas schärfer – haben die Kongressmitglieder im Schnitt 1 Million Dollar Vermögen, sind es bei den Senatoren 2,7 Millionen.

Wahlen werden fast nur noch mit richtig viel Geld gewonnen. Parteien und Kandidaten, die nicht die Spendentöpfe des Großkapitals anzapfen können, haben keine Chancen. Deswegen sprechen politische Beobachter auch gern vom Ein-Parteien-System in den USA – man hat nur noch die Wahl zwischen zwei verfeindeten Parteiflügeln.

So weit ist man in Europa (noch) nicht.

Aber im Kapitel “Auf dem Weg in die Plutokratie?” benennt Trabold einige der Mechanismen, mit denen sich die Großkonzerne direkten Zugriff auf Macht und Gesetzgebung verschaffen. Stichworte sind: Privatisierung von Politikfeldern, Ratingagenturen (und damit Kontrolle der Politik durch die Finanzmärkte), die “feindliche Übernahme” von staatlichen Regulierungsbehörden, Politik durch operative Stiftungen, private internationale Schiedsgerichte (das heißeste Thema in der TTIP-Diskussion)…

Aber auch die anderen Kapitel seines Buches schildern solche Instrumente der Machtübernahme – etwa das Kapitel “Die Zähmung der vierten Gewalt”. Ja, das sind die Medien. Und anders, als einige Demonstranten in Sachsen glauben, hat die Sache nichts mit Gleichschaltung zu tun, sondern mit der zunehmenden Erpressung und Instrumentalisierung der Medien durch die, die die Werbebudgets verwalten oder selbst da und dort Miteigentümer sind. Mal zu schweigen davon, dass die großen Medien in Deutschland auch allesamt großen Konzernen gehören, die über die Berichterstattung ihre Interessen bedienen. Und zwar nur ihre. Schön, dass das zumindest als verstörend auffällt.

Was auch ein Grund dafür ist, dass über die eigentlichen Angriffe auf die Demokratie eher nicht berichtet wird: den ausufernden Lobbyismus – nicht nur in Brüssel -, die Anstellung tausender Entsandter aus Unternehmen in Ministerien und Ämtern, die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft in den Aufsichtsräten, die Co-Autorenschaft großer Konzerne an vielen Gesetzen, ihr massives und geldwertes Pressing, wenn es um neue Gesetze in ihrem Sinn geht (und immer wieder gegen eine Regulierung der Märkte).

Und dass dieses Wirken so getarnt nicht mehr passiert, wie es die Akteure gern hätten, das haben mittlerweile nicht nur die Meinungsforschungsinstitute gemerkt, die gern von Wahl- oder Parteienmüdigkeit sprechen.

Denn wirklich demokratiemüde sind die Bundesbürger ja nicht, auch wenn sie immer seltener zur Wahl gehen, “weil das nichts mehr bringt und nichts ändert”.

Sie sind nur zutiefst frustriert und sehen immer seltener Sinn darin, Parteien zu wählen, deren Spitzenvertreter noch während ihrer Amtszeit daran arbeiten, schnellstmöglich in die “freie Wirtschaft” zu wechseln, was eine richtige Verharmlosung des Vorgangs ist: Sie gehen fast alle in die Lobbyvertretungen der Wirtschaft und wechseln damit die Seiten. Und sie nehmen ihr Wissen mit, wie man auf politische Prozesse in Deutschland Einfluss nimmt.

Und wie ist das mit der Jugend?

Immerhin hat auch Leipzigs politische Führungsriege gemerkt, dass 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution auch in Leipzig so einiges nicht stimmte mit der gelebten Demokratie. 2010 erschreckte dann auch noch die “Shell-Studie” die Stadt, die gerade so schön 20 Jahre friedliche Demokratie gefeiert hatte. Wie sehr, das ist auch 2015 noch nachzulesen in der neuen Vorlage der Leipziger Stadtverwaltung zur Vorbereitung der nächsten Demokratiekonferenz 2015:

“Das Verhältnis von Jugendlichen zur institutionalisierten Politik ist durch eine ausgeprägte Zurückhaltung bzw. Ablehnung der konventionellen Formen wie Wahlen, Parteien, Gewerkschaften und verwandten politischen Institutionen bestimmt. Die Demokratie als Staatsform wird, wie Studien immer wieder bestätigen, anerkannt. In ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung, vor allem als Parteiendemokratie, stößt sie jedoch insbesondere bei jungen Menschen auf Desinteresse oder sogar Ablehnung. Die 16. Shell-Jugendstudie (2010) und die Untersuchung ‘Jugend in Sachsen’ (2013) untermauern diese Wahrnehmung und enthalten zu dieser Thematik umfangreiche empirische Befunde. – Demnach sind die jungen Menschen keineswegs grundsätzlich desinteressiert und unengagiert. Sie sind zu einem hohen Prozentsatz durchaus bereit, sich außerhalb der konventionellen demokratischen Formen politisch und gesellschaftlich zu engagieren, insofern folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind.”

Und da kam so ein Zipfel dessen zum Vorschein, was auch die Älteren bemängeln, wenn sie denn mal zum Zustand unserer heutigen Demokratie befragt werden. Nur dass die jungen Leute recht deutlich wurden im Benennen dessen, was ihnen an der politischen Wirklichkeit fehlt und was sie erwarten, wenn sie denn mitmachen wollen. Oder sollen, wie es ja zuweilen auch gefordert wird.

Die Voraussetzungen:

  • Sie werden mit Fragen aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt konfrontiert.
  • Sie fühlen sich mit ihrem Anliegen von der Erwachsenenwelt ernstgenommen.
  • Ihr Engagement führt in überschaubarer Zeit zu sichtbaren Erfolgen.

Man kann hier den Bezug zur “Erwachsenenwelt” weglassen, denn für die Älteren trifft das genauso zu. Sie haben ja genauso frustriert zur Kenntnis zu nehmen, dass die deformierte Politik, die sich immer mehr als Dienstmagd “der Wirtschaft” versteht, die “unmittelbare Lebenswelt” der Wahlbürger kaum noch wahrnimmt, schon gar nicht in Politik umsetzt. Oder gar “in überschaubarer Zeit zu sichtbaren Erfolgen” führt.

Was Gründe hat. Damit werden wir uns in dieser Serie ausführlich beschäftigen.

Angefangen mit den ersten zwingenden Schritten, die getan werden müssten, um den Einfluss des Großen Geldes auf die Politik erst einmal einzudämmen.

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