André Schollbach ist noch recht jung im Amt des kommunalpolitischen Sprechers der Linksfraktion im Sächsischen Landtag. Deswegen wird er wohl noch eine Weile lang schöne ministerliche Belehrungen bekommen auf seine Anfragen. Das Wörtchen "arm" existiert ja in der modernen Statistik nicht mehr wirklich. Man ist einfach nicht mehr arm in Deutschland, bestenfalls "armutsgefährdet".

Es gibt Statistiker, die regelrecht stolz sind auf diese Worterfindung. Denn wenn jemand nur gefährdet ist, in Armut zu stürzen, dann ist er ja nicht wirklich arm. Da kann er sich ja auch noch an echten Reichtümern freuen – viel freie Zeit zum Beispiel, oder die Freude an den kleinen Dingen des Lebens. Oder was dann eben noch übrig bleibt.

Natürlich geht es bei der Definition von “Armutsgefährdung” eher darum, den Anteil von Menschen zu ermitteln, die eigentlich nicht von ihren Einkünften leben können, ohne auf Wesentliches zu verzichten. Die Schwelle wird – so klärt Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) den fragenden Linken auf – berechnet, indem man 60 Prozent des Einkommensmedians nimmt. Mit der Definition arbeitet auch die OECD. Und damit nicht die Lebensverhältnisse in der reichen Schweiz mit denen in Sierra Leone verglichen werden, wird in der Regel ein nationaler Median genommen.

In Deutschland aber sind besonders pfiffige Statistiker unterwegs. Die berechnen zum deutschen Einkommensmedian immer auch noch welche für jedes einzelne Bundesland und – Gipfel der Narretei – für jede Kommune. Das Ergebnis ist: Wer nach deutschem Maßstab schon tief in Armut steckt, ist es nach den extra errechneten Werten für Sachsen oder Leipzig noch lange nicht.

Und so liefert Barbara Klepsch dem neugierigen Linken auch nur die Armutsgefährdungsquoten für Sachsen. Zum Einordnen liefert sie ihm auch die Bezugsgrößen für die Bundesrepublik und die anderen Bundesländer mit. So galt in Deutschland 2013 als “armutsgefährdet”, wer weniger als 892 Euro hatte im Monat, in Westdeutschland sogar 923.

Aber da das sächsische Lohnniveau 20 Prozent unterm Bundesdurchschnitt liegt, legt auch der Median der Einkommen in Sachsen entsprechend tiefer. Und die “Armutsgefährdungsschwelle” logischerweise auch. 2013 lag sie bei 775 Euro.

Das muss man wissen, wenn man dann die Armutsgefährdungsquoten für Sachsen liest. Auf den ersten Blick geht es dem Freistaat geradezu blendend: Nur 11,9 Prozent der Sachsen lebten demnach 2013 in Armut. Nur zum Vergleich: Der bundesdeutsche Wert lag bei 16,1 Prozent.

Die Quote am Landesmedian gemessen führt also in die Irre. Auch wenn die Tabelle natürlich etwas zeigt, was man hinter der “Armutsgefährdung” gern versteckt: Dass einige Bevölkerungsgruppen nach wie vor besonders von Armut betroffen sind. Und damit sind nicht die jungen Leute unter 25 Jahren gemeint, von denen viele noch kein eigenes Einkommen haben, sondern – allen voran – zum Beispiel die Erwerbslosen. Es gilt  – auch für 2013 – “Hartz IV ist Armut per Gesetz”. 54 Prozent der Erwerbslosen hatten ein monatliches Einkommen unter 775 Euro.

Und die zweite Gruppe, die auffällt, sind die Alleinerziehenden (ein(e) Erwachsene(r) mit Kind(ern). Von ihnen gelten 32 Prozent als arm. Ein Wert, der sich seit 2005 nicht groß verändert hat. Hingegen bei Zwei-Personen-Haushalten mit Kindern ist die Armutsgefährdung seit 2005 sichtlich gesunken. Für Paare mit Kindern hat sich die Erwerbslage in den vergangenen zehn Jahren also verbessert, für Alleinerziehende eher nicht.

Ganz sachte steigen dafür die Werte an einer anderen Stelle: bei den Rentnern. Von 5,5 auf 6,9 Prozent. Wenn man nur die über 65-Jährigen nimmt, liegt die Steigerung seit 2005 von 4,3 auf 5,5 Prozent. Hier sind eben noch nicht all jene erfasst, die mit Abschlägen in die Frühverrentung geschickt wurden, und auch noch nicht die vielen Frauen, die mit 60 in ihre zum Teil sehr zusammengeschrumpfte Rente gehen. Das niedrige sächsische Lohnniveau wirkt sich bis in die Rentenbezüge hinein aus und es ist absehbar, dass gerade hier die Prozentzahlen steigen werden.

Was für ein Unfug die Anwendung einer eigenen sächsischen Armutsgefährdungsquote ist, zeigt der Vergleich wieder mit der bundesdeutschen Ebene. Denn da gelten 15 Prozent der über 65-Jährigen als arm. Indem man in Sachsen mit dem deutlich niedrigeren Landesmedian rechnet, rechnet man sich auch die Verhältnisse schön. Aber 775 Euro im Monat sind nun einmal deutlich weniger als 892 Euro. 120 Euro mehr im Monat entscheiden nun einmal auch darüber, was vom Lebensabend eigentlich noch zu erleben ist.

Tatsächlich liegt die Quote der Armutsgefährdung in Sachsen nach bundesdeutschem Maßstab bei 18 Prozent (und damit weiterhin in der Spitzengruppe der Länder). 730.000 Einwohner des Freistaats gelten offiziell als armutsgefährdet.

Was dann ungefähr die Antwort auf Schollbachs Frage wäre, die ihm Barbara Klepsch tatsächlich nicht beantwortet hat.

André Schollbachs Anfrage zur Armut in Sachsen als pdf zum Download

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