Dass da gewaltig was schief liegt im innerdeutschen Finanzausgleich - das war das Thema im vergangenen Jahr und wird es auch in der nächsten Zeit bleiben. Bis geklärt ist, wie der Finanzausgleich unter den Bundesländern künftig organisiert wird. Dazu gibt es einige Vorschläge. Einer kam noch vor Weihnachten aus Halle. Der war nicht ganz neu. Den hatte das Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) schon einmal präsentiert. Wenn der Wettbewerb unter den Bundesländern schon nicht funktioniert, dann hilft nur eins: noch mehr Wettbewerb.

Nicht der einzige Fall, in dem das noch vor wenigen Jahren echt realitätsnah arbeitende Institut mittlerweile in den Wettbewerb der Wettbewerbspropagandisten eingetreten ist. Nach über 40 Jahren neoliberaler Sichtverengung in den Wirtschaftswissenschaften, fällt auch den Leuten, die in diesen Denkmustern aufgewachsen sind, nichts anderes mehr ein als das Rezept: Noch mehr von der Medizin, dann wird der Gaul gesund.

Der Gaul aber krankt daran, dass die derzeitigen Sieger im Rennen um die höchsten Steuereinnahmen ein System infrage stellen, das in der Bundesrepublik bislang dafür gesorgt hat, dass es keine sterbenden und zurückgelassenen Regionen gibt – wie in Italien den Mezzogiorno. Der Finanzausgleich unter den Ländern hat bislang einigermaßen dafür gesorgt, dass Menschen im Saarland, in Berlin, Hessen, Niedersachsen und Thüringen alle einigermaßen gleiche Lebensbedingungen vorfanden, die wichtigsten Infrastrukturen finanziert werden können und diese Bundesländer auch dazu beitragen können, die nötigen Zukunftsinvestitionen vorzunehmen. Insbesondere die bayrische CSU stellt den Ausgleich aber seit einiger Zeit massiv infrage, breitbrüstig, auch mit erheblicher Arroganz. Man will die höheren Steuereinnahmen gern allein behalten.

Warum nicht, meint nun der IWH-Juniorprofessor Dr. Martin Altemeyer-Bartscher. Und empfiehlt statt des auf Ausgleich bedachten Länderfinanzausgleichs einen, der auch noch den Wettbewerb verschärft.

Ende des Jahres 2019 tritt das Finanzausgleichsgesetz außer Kraft. Dann ergebe sich, so stellt er fest, eine historische Chance, die Reibungsverluste im gegenwärtigen Ausgleichssystem durch eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu verringern.

Ein aktuell viel diskutierter Vorschlag sieht vor, die Steuerautonomie der Länder durch die Einführung einer flexiblen Ländersteuer zu erweitern.

IWH-Finanzwissenschaftler Martin Altemeyer-Bartscher habe – so vermeldet das IWH – die Auswirkungen einer solchen Ländersteuer analysiert. Sein Fazit: Durch eine flexible Ländersteuer könnten schwerwiegende Fehlanreize im Länderfinanzausgleich kompensiert werden, selbst dann, wenn der Finanzausgleich mit hoher Ausgleichsintensität weitergeführt würde.

Der Vorschlag einer flexiblen Ländersteuer läuft darauf hinaus, den Ländern ab dem Jahr 2020 das Recht einzuräumen, einen Zu- bzw. Abschlag auf bestimmte Steuerarten – geeignet wären, so Altemeyer-Bartscher, die Einkommen- und die Körperschaftsteuer – zu erheben.

Ein Zuschlagsrecht für die Länder könnte die Lücke schließen, die durch das Inkrafttreten der Schuldenbremse auf Länderebene zu Beginn des Jahres 2020 entstehe: Dann sei den Ländern die Möglichkeit der Defizitfinanzierung als finanzpolitisches Gestaltungsinstrument genommen. Durch die öffentlich deutlich sichtbare Festlegung von Steuerabschlägen oder zumindest nur moderaten Zuschlägen könnten die Landesregierungen eine hohe Standortattraktivität erreichen.

Er führt also Wettbewerbs-Boni in den Finanzausgleich ein, diskutiert aber nicht, wer dann Zuschläge auf die Einkommensteuer einführen muss und wer die Gnade der höheren Steuereinnahmen hat und Abschläge gewähren kann. Denn Zuschläge müssten ja genau die Länder verlangen, die sowieso schon in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Und das betrifft natürlich die jetzigen Empfängerländer. Sie haben keine Spielräume, Abschläge zu gewähren und damit – was ja der versteckte Sinn des Vorschlags ist – vielleicht potente Unternehmen aus anderen (Bundes-)Ländern abzuwerben und damit dann vielleicht ihre Steuereinnahmen wieder zu verbessern.

Die mit einer Reduktion des Steuerzuschlags verbundenen Einnahmeausfälle könnten dann durch eine Intensivierung der Steuerprüfung auf unauffällige Art und Weise kompensiert werden, macht Altemeyer-Bartscher noch den Gegenvorschlag, ohne weiter zu diskutieren, dass die meisten Bundesländer gerade bei den Steuerbehörden in den letzten Jahren drastisch Personal eingespart haben und gar nicht mehr die Kapazitäten haben, die Steuerprüfung zu intensivieren.

Altemeyer-Bartscher: Dieser Effekt könnte den Fehlanreizen für die Länder entgegenwirken, die dadurch entstehen, dass durch gute Landespolitik erzeugte Steuermehreinnahmen im aktuellen System des Länderfinanzausgleichs größtenteils nicht im eigenen Landeshaushalt verbleiben, sondern an finanzschwächere Länder umverteilt werden.

Womit er gleich zwei falsche Denkmuster einführt: Das eine ist die Behauptung, dass höhere Steuereinnahmen durch „gute Landespolitik“ entstehen. „Gute Landespolitik“ kann bestenfalls für ausgeglichene Haushalte sorgen. Die Höhe der Steuereinnahmen aber hängt eindeutig von der Ansiedlung umsatzstarker Unternehmen ab (Körperschaftssteuer) und (Schöne Grüße nach Halle an der Saale!) vom regionalen Einkommensniveau (Einkommenssteuer). Der Länderfinanzausgleich richtet sich nicht nach der absoluten Höhe der Steuereinnahmen (vielleicht sagt das mal jemand dem Junior), sondern nach der Steuerkraft der einzelnen Bundesländer. Was genau jene Länder natürlich in die Pflicht nimmt, die durch glückliche Umstände höhere Einkommen und damit eine höhere Steuerertragskraft haben.

Durch den Länderfinanzausgleich wird nicht die Qualität der Haushaltsführung belohnt oder bestraft, sondern die unterschiedliche Steuerertragskraft der Bundesländer ein wenig ausgeglichen.

Die Vermutung einiger Aus-dem-Bauch-heraus-Politiker ist: Weil die Geberländer auf die Weise Geld bekommen, lassen sie die Steuerprüfung schleifen. Und weil die Geberländer Geld geben müssen, lassen sie die Steuerprüfung ebenfalls schleifen.  Ob das wirklich so ist und welches „Anreizproblem“ da existiert, hat hingegen noch niemand wirklich aufgearbeitet. Aber man behauptet es einfach mal.

Und dann stellt er doch noch beiläufig fest: Die Lösung des Anreizproblems – aus der Sicht von Altemeyer-Bartscher „eine wesentliche Reduktion der Ausgleichsraten des Finanzausgleichs“ – werde dagegen in den Reformverhandlungen wohl nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Denn das Anreizproblem sind nun einmal nicht die Höhen der Ausgleichsraten, sondern die fehlende Vergleichbarkeit der Steuererfassungen.

Fest steht – und das akzeptiert auch Altemeyer-Bartscher irgendwie: Schon eine geringe Absenkung der Ausgleichsintensität könnte die finanzschwachen Länder erheblich treffen und dadurch den in der Schuldenbremse ab dem Jahr 2020 vorgeschriebenen flächendeckenden strukturellen Ausgleich der Landeshaushalte gefährden.

Der Anreiz “flexible Ländersteuern” würde den Effekt, der jetzt schon zu Verwerfungen im Länderfinanzausgleich führt, wohl noch verschärfen. Potente Bundesländer würden ihre Standortposition noch verstärken, indem sie mit Abschlägen auf Einkommens- und Körperschaftssteuern locken, während Bundesländer mitten in einer tief greifenden Transformation – wie NRW – Zuschläge verlangen müssten. Denn wenn die Geberländer Abschläge gewähren, sinken logischerweise die Steuereinnahmen bei ihnen und ihr Beitrag zum Länderfinanzausgleich sinkt. Die Lasten werden also umverteilt nach dem seit 20 Jahren in Deutschland vorherrschenden Prinzip: von den Schultern der Starken auf die Rücken der Schwächeren.

Damit wäre der Weg, in Deutschland ein Mezzogiorno entstehen zu lassen , erst recht eröffnet.

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