Eine Stadt allein ist natürlich keine Metropolregion. Leipzig allein hätte es niemals geschafft, wieder aus dem Loch zu kommen, in das die Stadt nach dem Fast-Komplettverlust ihrer Industrie Mitte der 1990er Jahre gestürzt ist. Zumindest im Haus der Metropolregion Leipzig weiß man, dass Regionen nur gemeinsam auf die Beine kommen und dass dazu auch funktionierende Infrastrukturen gehören. Mancher behauptet ja gern, rund um Leipzig seine diese Infrastrukturen geradezu exzellent.

Vom Ausbaustandard her mag das stimmen. Das hilft vor allem der Logistik, sei es der stark ausgebaute Frachtflughafen, sei es das mittlerweile aus den Nähten platzende Güterverkehrszentrum, sei es der vollendete Autobahnschluss rund um Leipzig. Wer was zu transportieren hat, hat gute Bedingungen.

Dafür scheint man die andere Seite der zunehmend wieder funktionierenden Verflechtung eher nicht mitbedacht zu haben: Nicht nur Güter müssen transportiert werden, auch Arbeitskräfte müssen problemlos hinkommen, wo sie die Arbeit ruft. Doch die Zahlen aus Bürgerumfragen und “Statistischem Jahrbuch” zeigen: Die nötigen ÖPNV-Strukturen dafür hat man nicht mitgedacht, obwohl am neuen Industrie-Standort im Leipziger Norden nun seit 20 Jahren gearbeitet wird. Darauf wies auch der Ökolöwe hin, der die Leerstelle eines S-Bahn-Haltepunktes am Güterverkehrszentrum in Radefeld bemängelt. Immerhin ein Standort, an dem auch Porsche schon die Verkleinerung seines Betriebsparkplatzes planen muss, weil ihm Fläche zur Werkserweiterung fehlt. Ein Jobticket und eine verstärkte Buslinie der LVB soll helfen, wo ein simpler Haltepunkt der S5 schon Wunder tun könnte.

Aber der Vorgang erzählt auch von der Misere des Leipziger ÖPNV, der auf entstehenden Bedarf nicht mehr durch kluge Planung reagiert, sondern nur noch handelt, wenn der Druck schon da ist.

Die Einführung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes wäre eine ideale Gelegenheit gewesen, an wesentlichen Punkten schon einmal Anker zu setzen und Verbindungen zu schaffen, die geradezu zum Nutzen der öffentlichen Verkehrsmittel einladen. Angebot und Nachfrage nannte man das früher mal, bevor die unter Finanzdruck gesetzten Kommunen daraus “Nachfrage und Angebot” machten – Leistungen werden erst dann bereitgestellt, wenn sie zwingend gebraucht werden. Man gestaltet die Entwicklung nicht mehr, sondern lässt sich von der Entwicklung treiben.

Dass sich da was entwickelt rund um Leipzig, zeigt der Quartalsbericht regelmäßig mit Einzelaufsätzen zu den Berufspendlern in und um Leipzig. Jeder Wirtschaftsforscher weiß, dass eine Metropolregion sich dadurch auszeichnet, dass die Pendlerverflechtungen der Metropole(n) mit ihrem Umland immer stärker werden. Und zwar in beide Richtungen: Immer mehr Bewohner des Umlandes fahren zum Arbeiten in die von Dienstleistung geprägte Zentralstadt, gleichzeitig fahren immer mehr Großstadtbewohner täglich zur Arbeit in die Industrieparks, die schon aus stadtplanerischen Gründen am Stadtrand oder noch weiter draußen im Umland entstanden sind.

Die Zahlen für Leipzig 2013: 87.856 Menschen pendeln regelmäßig zur Arbeit nach Leipzig hinein. Eine Zahl, die ganz simpel aus der Statistik der Agentur für Arbeit ermittelt wird anhand von Wohnort und Arbeitsort. Das ist ein neuer Spitzenwert. Im Jahr 2000, als das heutige Leipzig gerade erst als Keimling zu erkennen war, lag diese Zahl noch bei 75.968. Und die Stadt hat ja nicht nur für 12.000 Einpendler neue Arbeitsplätze geschaffen (was für Leipziger Verhältnisse sowieso schon eine beachtliche Leistung ist), sie hat ja zeitgleich auch für die eigene Wohnbevölkerung neue Arbeitsplätze geschaffen. Diese Größenordnung: 30.000 Arbeitsplätze seit 2001. Könnte man sagen. Aber tatsächlich sind es 46.000 seit 2005.

Denn vorher steckte Leipzig tatsächlich noch in der alten Phase, Deutschland steckte in einer tiefen Rezession (die die Schwafler der Nation gern der rot-grünen Regierung ankreideten, obwohl sie schon in der Mitte der 1990er Jahre begann, als die Euphorie der Deutschen Einheit vorbei war, die Besitztümer im Osten verteilt und auch die Liesl in Bayern endlich spitz bekam, dass man einen wirtschaftlichen Aufbau im Osten nicht für umme bekommen würde).

Erst 2006 zeigten die Anstrengungen, in Leipzig neue industrielle Strukturen zu schaffen, Erfolg, drehte sich der seit Jahren anhaltende Beschäftigungsabbau und die Beschäftigtenzahlen stiegen auch wieder für die in Leipzig wohnenden. Dass parallel das Bevölkerungswachstum anzog, könnte man mit diesem Effekt eigentlich im Einklang sehen, denn mit der Arbeitsaufnahme bei Porsche und BMW wurde die Stadt gerade auch für junge Arbeitskräfte attraktiv. In Zahlen: von 146.264 Beschäftigten am Wohnort Leipzig stieg die Zahl von 2005 bis 2013 auf 192.924.

Insgesamt lag die Zahl der Beschäftigten schon 2005 um 42.000 höher – Leipzig bot also ebenso vielen Menschen von außerhalb Arbeit. Heute liegt die Differenz bei 37.000, was wohl auch damit zu tun hat, dass einige Pendler seitdem lieber gleich ganz nach Leipzig gezogen sind.

Aber da die Wirtschaft sich nicht nur auf Leipzig konzentriert und auch viele ehemalige Leipziger Firmen ihren Sitz ins Umland verlegt haben, stieg auch die Auspendlerzahl kontinuierlich an – von 34.067 im Jahr 2005 auf 51.790 im Jahr 2013. Die Orte, an die besonders viele Leipziger jeden Tag pendeln, sind im Grunde bekannt – das beginnt bei Schkeuditz mit der großen DHL-Frachtlogistik und hört mit Bitterfeld-Wolfen und Leuna nicht auf. Alles Orte, die gegenüber Leipzig einen ordentlichen Pendlerüberschuss haben. Aber tausende Leipziger haben ihren Arbeitsplatz auch in Halle (über 3.000), Dresden (2.470), im Landkreis Leipzig (11.546), oder im Saalekreis (2.838). Man ahnt so ein bisschen, welche Ströme sich da Morgen für Morgen aus der Stadt heraus und in die Stadt hinein wälzen. Viele mit Pkw, einige wohl auch mit der S-Bahn, wenn es die Anschlüsse und Haltepunkte gibt.

Es gibt auch nach wie vor einige tausend Leipziger, die für ihren Job in den Westen fahren – die meisten nach Bayern (2.703), Nordrhein-Westfalen (2.414) und Baden-Württemberg (1.602). Immerhin ein Fakt, den diese Bundesländer mitbedenken könnten, wenn sie mal wieder über den Länderfinanzausgleich debattieren. Und in den Zahlen sind noch gar nicht die Sachsen enthalten, die ihren Wohnsitz ganz in diese Regionen verlegt haben. Eine echte Ressource, wie nun einige mitteldeutsche Politiker für sich entdeckt haben: Die Leute könnte man doch wieder nach Hause holen, wenn bei uns die Fachkräfte knapp werden?

Also gar keine Überraschung, dass sich drei UfZ-Forscher im neuen Quartalsbericht mit dem Thema beschäftigt haben.

Dazu kommen wir morgen an dieser Stelle.

Der Quartalsbericht ist im Internet unter (http://statistik.leipzig.de) unter “Veröffentlichungen” einzusehen. Er ist für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen erhältlich. Postbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig, Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228.

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