Irgendwann fällt einem nur noch das Wort "Elfenbeinturm" ein. Dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in einem solchen Elfenbeinturm lebt, das ist bekannt. Sie vertritt die Interessen einer kleinen, sehr überschaubaren Gruppe der Highsociety in der deutschen Wirtschaft, die gern so tut, als würde sie für alle anderen Unternehmen mitdenken. Aber wie ist das mit Prof. Dr. Andreas Knabe und Prof. Dr. Ronnie Schöb, die jetzt für die INSM die nächste Mindestlohn-Studie erstellt haben?
Prof. Dr. Andreas Knabe unterrichtet an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und arbeitet auch noch für CESifo, eine Tochtereinheit des ifo Instituts. Prof. Dr. Ronnie Schöb ist an der Freien Universität Berlin angestellt und arbeitet ebenso für CESifo und das ifo-Institut Dresden. Letzterer taucht nun immer wieder als Auftragnehmer für diverse Studien zum Mindestlohn auf, weil seine Rechenmethode den Auftraggebern so gut in den Kram passt. Was dabei fehlt, interessiert zumindest bei der INSM niemanden.
Seine Lorbeeren in dieser Branche der “wissenschaftlichen” Zerpflückung des Mindestlohns hat er sich schon im Sommer verdient, als er für die sächsische FDP eine Studie erstellte, in der er anhand der vorhandenen Lohnmuster in Sachsen ausrechnete, dass wohl 1 Prozent aller Jobs in Sachsen wegfallen werden, wenn der Mindestlohn kommt. “Eingriffsintensität” ist die Kategorie, die er beharrlich verwendet. Er ermittelt, wieviele Leute aktuell weniger als die angestrebten 8,50 Euro bekommen, in welchen Branchen, mit welcher Qualifikation, in welchen Regionen. Dass diese Jobs mehr oder weniger so “verschwinden” steht eigentlich fest. Die Frage ist nur: Wohin “verschwinden” die Leute?
Die jetzt von der INSM vorgestellte Studie (sie selbst nennt es Gutachten) “Regionale und qualifikationsspezifische Auswirkungen des Mindestlohns Folgenabschätzung und Korrekturbedarf” geht nicht anders vor. Damit das Ergebnis den Lesern schmeckt, wird die Hälfte des Gutachtens einfach mal dem Lobgesang auf die gesunkenen deutschen Arbeitslosenzahlen der letzten Jahre gewidmet. Das ist ein eigenes Kapitel, das in seinen Schlussfolgerungen durchaus diskussionswürdig ist. Denn dabei versuchen ja die beiden Autoren die Schaffung von atypischen und niedrigentlohnten Jobs wieder als das deutsche Zaubermittel zu verkaufen, gerade Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen den Weg in Arbeit zu ermöglichen. Was leider in der Realität nicht so passiert, wie es eine entsprechende Studie für die INSM schon suggeriert hat.
In dieser neuen Studie wird das nun hübsch verquirlt, bekommt der Leser erst einmal das mit Tabellen und Grafiken aufgehübschte Märchen vom Arbeitsmarktzauber erzählt. Und dann kommen die Autoren ganz fix zur Bruttolohnverteilung, nach der nun – keineswegs überraschend – gerade im Osten 18 Prozent der Beschäftigten weniger als 8,50 Euro pro Stunde erhalten. Eigentlich das Ärgernis, um das es die ganze Zeit geht und das mit dem Mindestlohn ja abgestellt werden soll. Wobei ihre Grafiken auch recht deutlich zeigen, dass von niedrigen Stundensätzen vor allem Berufsanfänger betroffen sind, Niedrigqualifizierte und “ehemalige ALG-II-Empfänger”.
Und dann wird schon flott drauflosgerechnet. Die “bis zu 570.000 Arbeitsplätze”, mit denen die INSM jetzt hausieren geht, sind sozusagen das Standardergebnis, bei dem die Autoren annehmen: “Bei einem Ausgangslohn von 5,00 Euro beträgt die Lohnerhöhung 70 Prozent. Diese Lohnerhöhung führt nach dem Standardszenario zu einem Beschäftigungsrückgang von knapp 1/3 bei allen Arbeitsplätzen, bei denen bislang 5,00 Euro bezahlt wurden.”
Dieses “Standardmodell” ist keineswegs überraschenderweise das “Simulationsmodell von Knabe, Schöb und Thum (2014)”, also genau das, das besagte Herren im Sommer auch schon für die FDP entwickelt haben in Sachsen. Das Problem ist und bleibt: Wo bleiben die Umverteilungseffekte? Arbeit entsteht doch nicht einfach aus good will, sie deckt eine Nachfrage ab. Vermindert sich diese Nachfrage, wenn die Löhne in der Küche an der Spüle erhöht werden? – Eine schöne Antwort auf die Frage gab am 2. Dezember in der LVZ der Chef von Auerbachs Keller, Bernhard Rothenberger, auch wenn sich das dort alles dramatisch liest: Er muss seine Küchenzeiten verkürzen – von bislang 24 Uhr auf 22 Uhr, und die Preise auf der Karte werden sich um 10 bis 24 Prozent erhöhen.
Was ja wohl im Umkehrschluss auch heißt: Das Offenhalten der Küche bis Mitternacht hat er vor allem über niedrige Stundensätze beim Hilfspersonal in der Küche finanziert. Würden die Gäste in Auerbachs Keller auch nach 22 Uhr fleißig deftige Menüs bestellen, würde sich der Betrieb der Küche lohnen. Aber jeder einigermaßen vernünftige Mensch tafelt früher am Abend gut und geht dann zu den gepflegten Getränken über.Es ist also das ganz “normale” Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Rothenberger jedoch: “Wenn der Gast nicht mitmacht, geht meine Rechnung nicht mehr auf.”
Der “Gast” kommt aber im INSM-Gutachten nicht vor. Denn reihenweise sind Niedriglohn-Branchen betroffen, in denen der “Gast” entscheidet, ob er den Preisanstieg mitgeht oder nicht: Friseure (von denen die Meisten schön längst umgestellt haben), Bäcker (von denen ebenfalls viele schon mit höheren Preisen kalkulieren), Fensterputzer, Pflegedienste … Der Schritt zum Mindestlohn bezeichnet auch ein wichtiges Umdenken in den Dienstleistungsbranchen. Bislang hat sich eingebürgert, dass Dienstleistungen billig sein müssen. Aber warum? Weil sie sonst keiner mehr abfragt?
Und welchen Effekt hat es, wenn ausgerechnet die bisherigen Niedriglöhner mehr Geld bekommen? Welche Rückwirkung hat das auf Konsum und Binnennachfrage?
Steht bei Schöb & Co. nicht. Genauso wenig wie die nicht ganz unwichtige Frage, ob der Mindestlohn nicht sogar zum richtigen Zeitpunkt kommt, denn das Arbeitskräfteangebot ist deutschlandweit in den letzten Jahren aufgrund der niedrigen Geburtenraten gesunken. Auch in der ostdeutschen Wirtschaft ist längst der Kampf um die Arbeitskräfte entbrannt – und das oft auch über die bessere Entlohnung.
Und dann kommt auch noch der Frosch, den die INSM im November nur mal kurz hatte gucken lassen: Noch schöner fänden es ja einige deutsche Unternehmen, wenn einfach der deutsche Staat einen Teil der Lohnkosten übernimmt. Man preist das “französische Modell” an, weil Frankreich insbesondere Arbeitsplätze von jungen Leuten subventioniert. Der Grund ist die enorme Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich.
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Nur hat die Bundesrepublik keine enorme Jugendarbeitslosigkeit. Im Gegenteil: Junge Leute, die eine einigermaßen gescheite Qualifikation haben, werden von den Unternehmen mit Kusshand genommen. “Durch die Ausnahmeregelungen könnten, wie Tabelle 4.2 zeigt, im Standardmodell rund 35.000 Jugendliche ohne Ausbildung in ihren Beschäftigungsverhältnissen gehalten werden”, schreiben die Autoren mit breiter Brust. Und lassen sich von ihrer eigenen Mathematik in die Irre führen, denn selbst ein so schwieriger Arbeitsmarkt wie der Leipziger zeigt, dass “Jugendliche ohne Ausbildung” von niemandem genommen werden, weil selbst die Berufe mit niedriger Qualifikation trotzdem in der Regel eine Mindestqualifikation brauchen. Stattdessen unternehmen viele Unternehmen Anstrengungen, Jugendlichen ohne Ausbildung den Weg zu einer Berufsqualifikation zu ermöglichen. Das aber ist etwas anderes als eine staatliche Subvention (wird aber auch staatlich unterstützt).
Es reicht eben nicht, sich abstrakte mathematische Modelle im Elfenbeinturm auszudenken, die mit der Wirklichkeit so gut wie nichts zu tun haben, die auch nicht berücksichtigen, dass Arbeitsuchende und Unternehmen ihre zuweilen komplizierten Beziehungen immer wieder neu austarieren, auch auf Änderungen wie den Mindestlohn reagieren.
Bislang gilt genau das, was das Institut für Wirtschaftsforschung Halle vorgelegt hat: Viele Branchen haben längst reagiert und ihre Preise angepasst. Und es geht kein Aufschrei durchs Land. Schwierigkeiten haben ab dem 1. Januar jene Unternehmen, die noch nicht umgedacht haben.
Und eines ist auch sicher: Das betrifft dann weder die 570.000 Arbeitsplätze, mit denen die INSM poltert, noch die 250.000 Arbeitsplätze nach dem “Monopson-Modell”. Und schon gar nicht die 3 Prozent Arbeitsplatzverluste, die die professoralen Rechner für Sachsen ermittelt haben. Näheres wird man im Frühjahr wissen.
Die neue Alarm-Meldung der INSM: www.insm.de/insm/Presse/Pressemeldungen/pressemeldung-mindestlohn-beschaeftigungsabbau.html
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