Am Ende wird's nachdenklich in der Auswertung der Leipziger Bürgerumfrage 2013. Da taucht eine Frage auf, die man eigentlich ganz vorn erwartet hätte, wo es um die Einkommen der Leipziger geht. Das Nettoäquivalenzeinkommen steigt zwar seit 2008 ganz sachte, 2013 zum Beispiel von 1.219 auf 1.267 Euro. Aber irgendwo scheint da ein Widerstand im System zu sein, der einige Leipziger doch sehr skeptisch sein lässt, was die Zukunft betrifft.

Schon in den vergangenen Jahren war es so, dass an den allgemeinen Tarifsteigerungen zumeist nur die höheren Einkommensgruppen partizipierten. Allein von 2012 zu 2013 legten die einkommensstärkeren Leipziger (die obersten 20 Prozent) von 1.750 Euro auf 1.878 zu.

Aber was passiert eigentlich in einer Stadt, in der das Einkommensniveau sowieso schon nicht hoch ist, wo aber die Kosten für alles, was zum Leben gehört, jedes Jahr steigen und jedes Mal auf die Einkommen umgelegt werden – seien es die mittlerweile steigenden Mieten, die Elternbeiträge in den Kindertagesstätten, die Preise für den ÖPNV, die Preise für Zoo, Oper …

Ein Effekt ist natürlich, dass viele Leipziger bei der Frage, wo die Stadt sparen könnte, das vorschlagen, was sie sich sowieso nicht mehr leisten können oder wollen.

Deswegen tauchen Museen und Ausstellungen ganz oben auf in der Liste der Sparvorschläge – bei Familien genauso wie bei jungen Leipzigern und Senioren. Gefolgt gleich vom nächsten Kulturpaket, das sich die meisten Leipziger nicht mehr leisten können: Oper, Gewandhaus, Schauspiel. Danach geht es emsig weiter mit Kultur: Soziokultur, Städtische Bibliotheken und auch “Gewährung von Ermäßigungen”. Weil Ermäßigungen etwa beim Eintritt eh nichts bringen, wenn selbst die Straßenbahnfahrt dahin zu teuer ist.

Manchmal hat man das Gefühl, dass die Leipziger Stadtverwaltung gar nicht so genau wissen will, welche sozialen Folgen die politischen Beschlüsse haben. Mit Betonung auf “manchmal”. Denn wie gesagt: Ganz hinten im Bericht zur Bürgerumfrage tauchen zwei Fragen auf, die die Leipziger Verwaltung so noch nicht gestellt hat:

1. Wie beurteilen Sie Ihre Arbeitsperspektive in Leipzig?

2. Wie beurteilen Sie Ihre Verdienstperspektive in Leipzig?

Keine große Überraschung im Jahr 2013: Die meisten Leipziger beurteilen die Möglichkeiten, sich in Leipzig den Lebensunterhalt mit ihrer Hände (oder Köpfe) Arbeit zu verdienen, als gut bis “teils/teils” (insgesamt 83 Prozent). Die große Unsicherheit, die noch bis 2006/2007 vorherrschte, ist erst einmal weg. Nur noch 17 Prozent schätzen ihre Aussichten auf eine Erwerbstätigkeit als schlecht bis sehr schlecht ein, Arbeitslose logischerweise am stärksten – da sind es 64 Prozent. Und die größten Sorgen – auch das ist ja mittlerweile ein Gemeinplatz, der freilich oft negiert wird – haben Ungelernte und Berufsfremde.Es hat sich also in den letzten zehn Jahren etwas bewegt auf dem Leipziger Arbeitsmarkt, die Erwerbslandschaft ist anspruchsvoller geworden. Aber an anderer Stelle klemmt es noch: bei den Einkommen.

Nur 29 Prozent der Befragten schätzen ihre Verdienstperspektive in Leipzig als gut bis sehr gut ein, 39 geben ein “teils/teils” an, aber 27 Prozent sagen, es wird schlecht bis sehr schlecht. Und die kleine, aber sehr unangenehme Überraschung im Sozial- und Wirtschaftsdezernat dürfte sein: Das betrifft alle Altersgruppen und Stellungen im Arbeitsleben gleichermaßen. Selbst leitende und mittlere Angestellte geben mit 17 bzw. 23 Prozent an, dass sie ihre Verdienstperspektive als schlecht einschätzen. Unübersehbar werden hier die vielen Branchen sichtbar – insbesondere aus dem Dienstleistungsbereich – wo Niedriglohnmodelle dominieren und gute Arbeit eben nicht, wie im klassischen Zeitalter, auch zu belastbaren Lohnzuwächsen führt. Ältere Erwerbstätige sehen die Einkommenssituation ähnlich durchwachsen (26 Prozent) wie die Berufsanfänger (35 Prozent).

Die größten Probleme, ein ordentliches Einkommen zu erzielen, sehen logischerweise Ungelernte und Berufsfremde mit 42 Prozent Aussagen “schlecht/sehr schlecht”, aber selbst bei Vorarbeitern und Facharbeitern gibt es augenscheinlich ein starkes Segment der eher schlecht bezahlten Jobs. Sie sagten zu 40 Prozent, dass die Verdienstperspektiven schlecht bis sehr schlecht sind. Die großen Lobgesänge auf das Integrationsmodell “Zeitarbeit” lassen grüßen.

Das ist zumindest ein Zwischenergebnis, das aber auch sichtbar macht, dass ein Drittel der Leipziger nicht wirklich das Gefühl hat, mit dem Erwerbseinkommen über die Runden zu kommen.

Nicht gefragt hatte die Stadt nach der Mindestlohn-Grenze, die ab dem 1. Januar 2015 für zahlreiche Branchen gilt. Wieviele von denen, die ihre Verdienstaussichten als schlecht bewerteten, fallen darunter? Wieviele werden davon vielleicht profitieren?

Und – die Frage, die auch noch nicht beantwortet ist: Welche Spielräume hat die Stadt, die wachsenden Kosten in vielen Bereichen einfach wie bisher automatisch auf die Bürger umzulegen? Ist die Schmerzgrenze nicht längst erreicht? Und wenn ja, für wie viele Leipziger trifft das zu?

Denn zu einer sozial ausgewogenen Politik gehört nun einmal auch, dass auch bei politischen Entscheidungen berücksichtigt wird, dass nicht alle Leipziger gleichermaßen belastbar sind.

Der Bericht ist für 15 Euro (bei Versand zuzüglich Versandgebühr) erhältlich beim Amt für Statistik und Wahlen und steht kostenfrei zum Download auf www.leipzig.de/statistik unter der Rubrik “Veröffentlichungen” zur Verfügung.

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