Seit ein paar Jahren gibt es in den jährlichen Bürgerumfragen einen Abschnitt, in dem die Stadtverwaltung die befragten Bürger ankreuzen lässt, danach gibt's dann immer die Frage, die besonders die Boulevardmedien in Leipzig geradezu begeistert: Wo soll die Stadt sparen und wo nicht? - Die Fragen sind im Fragebogen etwas länger. Aber das Ergebnis ist immer dasselbe: Quatsch.
Mittlerweile fragt die Stadt 22 Items, wie sie es nennt, ab, um irgendwie ein paar Werte zu bekommen über die Sicht der Leipziger auf die größten Probleme. Im Fragebogen reichen die Themen von Ärztlicher Versorgung bis zu Zustand der Sportanlagen. Schon in den Vorjahren zeigte sich, wie sehr die “Hitliste” am Ende jeweils geprägt war von den Brandthemen, die die Boulevardmedien im Lauf des Jahres gesetzt haben. Manche sind Dauerbrenner und werden praktisch jeden Tag bedient und landen deshalb auch Jahr für Jahr in der Spitzengruppe. Wer ein wenig mit skeptischen Blick durch die Stadt läuft, fragt sich bei jeder neuen Auswertung erneut: Haben die Leute keine anderen Probleme?
Natürlich mischt sich das, wenn ein Viertel aller Befragten seit 2010 jedes Mal sagt: Armut ist das größte Problem der Stadt. Ein Viertel der Leipziger ist eben nun mal nur arm, auch dann, wenn die Leipziger Statistiker sich die Armutsgefährdungsquote immer wieder schön rechnen. Und daran hat sich in den letzten Jahren nichts geändert.
2013 reichten 24 Prozent der Nennungen übrigens locker zu Rang 3 in der Problemliste. In den Vorjahren war das anders, weil das Fehlen von Arbeits- und Ausbildungsplätzen zum Beispiel bis 2010 von den Leipzigern als hochbrisant empfunden wurde. Mittlerweile hat sich ja bekanntlich der Wind gedreht, jetzt werden ausbildbare junge Fachkräfte von den Unternehmen händeringend gesucht. Von 35 Prozent der Nennungen (2010) rutschte dieses Thema auf 17 Prozent ab.
Ebenso erging es dem Topos “Finanzsituation der Stadt”. Vor vier Jahren noch hochgepuscht in den Medien, die mittlerweile das Gedächtnis von Eintagsfliegen haben. Besonders eignete sich dazu jedes Mal im Sommer die Haushaltssperre und die Liste der gestrengen Auflagen, die die Landesdirektion über Leipzigs Haushalt verhängte. Doch seit mindestens 2006 zeichnet sich Leipzigs Haushaltsführung durch eine mit Knappheit gekoppelte Strenge aus. Die Leipziger merken es an eingeschränkten Dienstleistungen und steigenden Tarifen. Dafür sinkt der Schuldenberg. Und so sagten 2013 nur noch 18 Prozent der Befragten (2010: 35 Prozent), dass Leipzigs Finanzsituation besonders problematisch ist.
Zeigen diese beiden Themen, wie stark die Einschätzung der Leipziger von medialen Wellen abhängig ist, zeigen zwei andere Themen, dass diese Ärgerthemen dauerhaft die Medienberichterstattung bestimmen. Allen voran die empfundene Kriminalität. 2013 schnellte dieser Problemwert von 41 auf 47 Prozent nach oben, nachdem er 2010, als die sicherheitspolitische Diskussion in Leipzig ihr erstes Feuerwerk entfaltete, noch bei 29 Prozent gelegen hatte. Seitdem wird das Thema in den Medien geritten wie ein wilder Gaul, keine Gelegenheit wird ausgelassen, den Leipzigern Angst einzujagen.
Die realen Zahlen sind dann im Statistischen Jahresbericht der Stadt nachzulesen. Die Zahl der registrierten Straftaten stieg zwar, nach dem der ehemalige Polizeipräsident Horst Wawrzynski noch so stolz war, sie unter 60.000 gedrückt zu haben. 2012 lagen sie dann wieder auf dem Niveau von 69.055, ein Niveau, auf dem sie zuletzt im Jahr 2000 gelegen hatten – einer Zeit, als die Leipziger Bevölkerungszahl auch noch um 40.000 niedriger lag. Und es ist genauso wie damals: Die hohen Zahlen waren vor allem durch Beschaffungskriminalität, vorrangig Diebstähle geprägt. Diebstähle prägen auch das Bild 2012. Da in der Befragung auch das Sicherheitsempfinden angesprochen wird, spielt natürlich auch der völlig sinnfreie Personalabbau bei der Polizei eine Rolle.
Und Dauerbrenner unter den Problemen ist weiterhin der Straßenzustand, von 38 Prozent der Befragten genannt.
Verglichen mit anderen Themen fragt man sich da trotzdem: Ist das wirklich so wichtig? Oder spiegelt sich hier nur wieder, was auch die frequentierten Medien für wichtig erachten?
Zumindest taucht das Thema Kindertagesstätten nun auch bei den Befragten stärker im Fokus auf – 17 Prozent nennen es als Problem. Was auch deutlich macht, dass die Problemwahrnehmung sehr eng mit der Betroffenheit zusammenhängt. Bei Familien taucht das Thema Kindertagesstätten mit 37 Prozent der Nennungen ganz an der Spitze auf, während sich Leipzigs Senioren augenscheinlich nicht mehr einholen können über das Thema Kriminalität (66 Prozent), Straßenzustand (42 Prozent) oder die Sauberkeit auf Straßen und Plätzen (25 Prozent).
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Dafür schleicht sich an anderer Stelle ein Thema in die Diskussion, das so in Leipzig noch nicht auf der Tagesordnung stand: 2010 tauchte das Item “Zusammenleben mit Ausländern” mal kurz mit 10 Prozent der Nennungen auf, rutschte 2011 auf 5 Prozent, nachdem sich auch die bundesdeutsche Debatte etwas beruhigt hatte. Doch seit 2013 sorgen nicht nur die zunehmenden Flüchtlingszahlen aus den Krisengebieten Afrikas und des Nahen Ostens für Sorgen, mit AfD & Co. tauchten auch neue Gruppierungen auf, die die Fremdenfeindlichkeit wieder auf die öffentliche Bühne hoben. Wie leicht das Thema zündet, zeigt der Sprung als Problemwahrnehmung von 5 auf 12 Prozent.
Doch während die Senioren nur zu 8 Prozent hier ein brennendes Problem für Leipzig sahen, Familien zu 11 Prozent, schnellte dieser Wert bei den unter 25-Jährigen auf 27 Prozent hoch.
Das sollte wirklich zu denken geben. Denn damit liegt der Wert bei den jungen Erwachsenen noch vor Arbeitsplatzproblematik (23 Prozent), Wohnkosten und Armut (beides ebenfalls 23 Prozent) auf Rang 3 der Problemskala. Und die “Bürgerumfrage 2013” beantwortet die Frage bislang nicht, woher das kommt. Sie macht nur deutlich, wie stark junge Menschen von radikalen Parolen und einer aufgeheizten Diskussion beeindruckt werden können.
Hier fehlen augenscheinlich Korrektive und Kommunikation. Und es fehlt sichtlich auch die Problemwahrnehmung auf städtischer Seite. Denn die 22 ausgewählten Themen dienen in keinem Fall der Selbstreflektion, obwohl das die Stadtverwaltung dringend nötig hätte.
Themen wie Transparente Politik, Barrierefreiheit, Bürgerbeteiligung, Korruption, Klimaschutz, Umweltstandards, Öffentlichkeitsbeteiligung, Städtische Dienstleistungen tauchen im Fragekatalog gar nicht auf. Es ist eher eine Abfrage nach dem Muster “Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass”.
Und das gilt dann auch für die unsinnige Abfrage, auf welchem Gebiet die Stadt nun sparen soll und wo nicht.
Dazu kommen wir auch noch.
Der Bericht ist für 15 Euro (bei Versand zuzüglich Versandgebühr) erhältlich beim Amt für Statistik und Wahlen und steht kostenfrei zum Download auf www.leipzig.de/statistik unter der Rubrik “Veröffentlichungen” zur Verfügung.
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