Manchmal sollte sich auch Leipzigs Stadtpolitik immer wieder versichern, welche Einkommen eigentlich steigen. Denn vom Einkommenszuwachs der letzten Jahre haben nicht alle Leipziger profitiert. 30 Prozent der Leipziger Haushalte müssen immer noch mit weniger als 1.100 Euro im Monat über die Runden kommen. Darunter sind nicht nur ALG-II-Empfänger, sondern - neben einer zunehmenden Zahl von Rentnern - auch viele "andere Einkommen".

Mit solchen Einkommen hat man eigentlich keine Spielräume, die laufenden Kostensteigerungen beim Tagesbedarf mitzumachen. Da tut es richtig weh, wenn der MDV – wie jetzt wieder für 2015 geplant – praktisch alle Ticketpreise saftig verteuert, auch die Leipzig-Pass-Mobilcard. Dabei sind die Zeichen, dass einige Bevölkerungsgruppen in Leipzig schon deutlich über Maß beansprucht sind mit abgewälzten Kosten, unübersehbar. Auch in der “Bürgerumfrage 2013”.

Beispiel: Kindertagesstätten. Zwar sind 76 Prozent der jungen Eltern zufrieden mit den Betreuungsangeboten. Aber 24 Prozent sind es nicht. Und auf Anfrage, warum sie unzufrieden sind, nennen 50 Prozent Gründe wie zu wenige Plätze, Lage der Kita und die Kosten. Erst danach werden Dinge wie Personal (24 Prozent), Betreuungsschlüssel (19 Prozent) oder Bauzustand der Einrichtung (19 Prozent) genannt.

Ja, wären denn dann die jungen Eltern auch bereit, mehr fürs Mittagessen der Kinder zu bezahlen? 64 Prozent sagen zwar “Ja”, aber 27 schränken gleichzeitig ein: Nicht mehr als 50 Cent je Essen mehr. 15 Prozent aller befragten Eltern sagten eindeutig: Nein, das kann ich mir nicht leisten.

Nach den Fahrpreisen im ÖPNV hat sich die Stadtverwaltung leider wieder nicht getraut zu fragen. Wahrscheinlich will sie gar nicht wirklich wissen, was die Leipziger von den jährlich steigenden Preisen halten und wie gut das dem gewünschten Modal Split tut. Zumindest eines bestätigt die jährliche Bürgerumfrage: Personen mit niedrigen Einkommen haben bei der Verkehrsmittelwahl deutlich weniger Auswahl. Die meisten können sich keinen Pkw leisten. 72 Prozent der Haushalte mit Einkommen unter 1.100 Euro besitzen keinen motorisierten Untersatz. Bei den Haushalten über 2.300 Euro besitzen hingegen 87 Prozent aller Haushalte mindestens ein Auto. Die Debatte Pkw versus Umweltverbund ist also auch in Leipzig eindeutig eine Frage von Arm und Reich.

Nur teilweise entschärft wird das Ganze durch die Tatsache, dass es vor allem Haushalte von alleinstehenden Rentnern sind, die eher kein Auto haben (66 Prozent). Aber gerade diese Haushalte sind dann auf einen funktionierenden und bezahlbaren ÖPNV angewiesen. Aber auch Singles und Alleinerziehende haben deutlich seltener ein Auto als Paare mit und ohne Kinder.

Noch kommt diesen Einkommensgruppen (zu denen auch Studierende gehören) die Wohnsituation in Leipzig zugute. Sie wohnen noch sehr zentrumsnah und können deshalb auch zumeist auf ein Auto komplett verzichten. Hier funktioniert die “Stadt der kurzen Wege”noch. Was übrigens auch Familien mit höheren Einkommen in den innerstädtischen Quartieren dazu bringt, auf den Pkw komplett zu verzichten. Deswegen gibt es mittlerweile mehrere innerstädtische Ortsteile, in denen um die 50 Prozent der Bewohner keinen Pkw (mehr) besitzen. Das hat sich seit 2003 deutlich verändert. Damals gab es praktisch keinen Ortsteil, in dem der Pkw-Besitz unter 60 Prozent lag. Natürlich merken Leipzigs Statistiker in diesem Kapitel noch an, dass die Straßen trotzdem nicht mehr Parkraum bieten: Die Zahl der in Leipzig registrierten Autos steigt jedes Jahr, die Viertel verdichten sich. Und selbst wenn in Gohlis, Lindenau oder Reudnitz die Hälfte der Bewohner keinen Pkw besitzt, sind die Straßen trotzdem zugeparkt.

Leipzig ist eben einfach nicht für diese Massen an geparkten Fahrzeugen gebaut worden. Dass das Problem langsam sehr prekär wird, zeigt auch die Abfrage nach der Parkplatzsituation. In der Innenstadt drängen sich die knallroten Ortsteile, in denen die Bewohner selbst zu über 80 Prozent einschätzen, dass die Parkplatzsituation schlecht ist. Das ist in Schleußig genauso wie im Waldstraßenviertel oder in der Südvorstadt. Könnte man natürlich sagen: Da schaffen sich die Gutverdiener selbst ihre Probleme. Aber das wäre zu kurz gedacht, denn das Automobil steht dort eher nicht aus Prestigegründen, sondern weil es gebraucht wird. Und da sind wir beim “Modal Split” und der Frage: Ist das Ansinnen der Stadt, mehr Leute auf Bahn, Bus und Fahrrad zu bekommen, so falsch?
Ist es nicht.

Nur wird eine bessere Politik für Bahn, Bus und Fahrrad seit Jahren ausgebremst. Es ist müßig über ein Umsteigen zu reden, wenn die Preise zwar jedes Jahr steigen, die Bedingungen sich aber nicht verbessern und die öffentliche Hand hier spart, völlig gegen die eigenen Erklärungen. Im Grunde muss man die hehren Pläne zum “Modal Split” im Jahr 2025 aus der anderen Richtung, nicht aus Autofahrersicht, kritisieren: Wer das System so systematisch kaputtspart und die Kosten allein den Fahrgästen aufhalst, braucht über eine Änderung des “Modal Split” nicht zu reden.

Kontraproduktiv ist auch die seit Jahren gepflegte Politik der Einkaufscenter, die die Entstehung einer barrierefreien, wohnortnahen Einkaufskultur eher torpediert. Wer seine (Wochen-)Einkäufe macht, fährt wieder öfter mit dem Auto. Der Wert der Einkaufsfahrten mit dem Pkw ist seit 2003 im Grunde konstant hoch, liegt bei 56 Prozent. Nur ein Viertel der Leipziger erledigt seine Einkäufe zu Fuß.

Einen anderen Faktor kann Leipzig eher kaum beeinflussen: Das ist der Ort, wo die Leipziger Arbeit finden. Auch hier hat Leipzig eher auf die großen Gewerbegebiete und Niederlassungen am Stadtrand oder dahinter gesetzt. Ergebnis: Die Erwerbstätigenzahl in Leipzig steigt zwar (was toll ist), aber immer mehr Leipziger kommen ohne eigenen Pkw gar nicht zur Arbeit. Seit dem Krisenhöhepunkt 2009 ist der Anteil derer, die mit dem Pkw zur Arbeit fahren, von 45 auf nunmehr 51 Prozent gestiegen, liegt also wieder da, wo er vor 2009 mal lag. Was ja im Klartext heißt: Wirklich stringent ist Leipzigs Politik für die umweltfreundlichen Verkehrsarten nicht. Man hat auch nicht wirklich eine Vision oder eine Marschroute, wie man das ändern will – auch wenn IHK und CDU glauben, im neuen STEP-Verkehr so eine Art Zwang dahin gefunden zu haben. Aber diesen Zwang gibt es nicht wirklich.

Das Umdenken passiert eher – siehe oben – aus finanziellen Gründen, was auch dazu führt, dass Leipziger jetzt auch wieder Bahnen und Busse meiden, weil sie zu teuer werden, und dann doch lieber mit dem Fahrrad fahren. Da und dort hat sich im Radnetz ja ein bisschen was gebessert. Die Zufriedenheit mit den Radverkehrsbedingungen in Leipzig ist gegenüber 2011 fast überall gestiegen. Nur darf man sich vom reich verschwendeten Grün nicht irritieren lassen: Es sind eher die Ortsteile am Stadtrand, wo die Zufriedenheit über 60 und 70 Prozent beträgt. Innerstädtisch ist es schon ein hoher Wert, wenn über 50 Prozent erreicht werden. In einigen Gebieten wie der Südvorstadt oder Lindenau liegt der Wert unter 40 Prozent. Und die Schleußiger, die man eher bei Ärger mit fehlenden Stellplätzen hört, finden ihre Radwegesituation geradezu prekär.

Ganz forsch war Leipzigs Verwaltung, als sie gar noch nach der Fahrradmitnahme im ÖPNV fragte, was ohne Extra-Ticket einfach nicht möglich ist (außer für Studierende). Also schleppen auch nur 2 Prozent der Befragte ihr Rad auch mal mit in die Straßenbahn.

Tatsächlich überlagern sich in Leipzig die Probleme unterschiedlicher Nutzergruppen auf engem Raum. Freier Platz ist Mangelware. Was natürlich auch die Frage aufwirft: Wohin mit den ganzen Autos?

Aber dazu mehr morgen an dieser Stelle.

Der Bericht ist für 15 Euro (bei Versand zuzüglich Versandgebühr) erhältlich beim Amt für Statistik und Wahlen und steht kostenfrei zum Download auf www.leipzig.de/statistik unter der Rubrik “Veröffentlichungen” zur Verfügung.

www.leipzig.de/news/news/ergebnisse-der-kommunalen-buergerumfrage-2013-liegen-vor

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