Am Mittwoch, 15. Oktober, gab das Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule die Veröffentlichung des neuen Sozialreports der Stadt Leipzig bekannt. 2013 steht drauf. Das Datenmaterial betrifft vor allem das Jahr 2012. Ein historisches Werk also. Für eine Zustandsbeschreibung des Patienten Leipzig also denkbar ungeeignet. Man lernt trotzdem was draus.
Seit nunmehr neun Jahren präsentiert der von Bürgermeister Thomas Fabian (SPD) vorgelegte Sozialreport ausgewählte Daten zu Lebenslagen der Leipziger Bevölkerung sowie zu kommunalen Leistungen der Stadt im Bereich der Sozialpolitik.
Im Sozialreport 2013 werde der Wandel Leipzigs deutlich, betont das Sozialdezernat – Leipzig verjüngt sich weiter. 2012 gab es noch mehr Geburten und der Zuzug insbesondere jüngerer Altersgruppen nach Leipzig hat sich weiter erhöht. Damit werde die Altersstruktur der Leipziger Bevölkerung immer ausgeglichener. Der Anteil der Menschen, die von Leistungen der sozialen Mindestsicherung leben, ging 2012 noch weiter zurück. Auch wurde 2012 die niedrigste Arbeitslosenquote seit 2001 gemessen. Diese Entwicklung verringere auch die Kinderarmut. 2012 lebten 27 Prozent der Kinder unter 15 Jahre von Sozialgeld, 2006 waren es noch 38 Prozent gewesen. Und Leipzigs Bevölkerung wird vielfältiger. Der Anteil der Leipzigerinnen und Leipziger mit Migrationshintergrund hat sich 2012 weiter auf 9,3 Prozent erhöht.
Bürgermeister Thomas Fabian zeigt sich erfreut: “Der Geburtenzuwachs ist wunderschön für Leipzig. Es erfordert viel Kraft, um die entsprechenden Leistungen für Eltern und ihre Kinder zeitnah bereit zu stellen: beim Elterngeld, bei der Kindertagesbetreuung, bei den Schulbauten, bei der Erziehungsberatung und -unterstützung. Gleichzeitig tun wir derzeit viel für die zunehmend älter werdenden Menschen in unserer Stadt, die Seniorenbüros werden gut angenommen. Und generationsübergreifende Angebote werden immer wichtiger. Mit einem neuen Teilhabeplan werden wir den Weg zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen beschreiben.”
Der Sozialreport zeigt auch, in welchen Bereichen die Sozialverwaltung ihre Leistungserbringung steigern konnte. Mehr Bürgerinnen und Bürger nutzen Leistungen des Familieninfobüros. Wieder mehr Kinder nutzten den Ferienpass.
Trotz dieser positiven Entwicklung zeigt auch der Sozialreport 2013, dass noch viel zu tun bleibt. Also nun doch mal zu den Fiebersymptomen der Stadt.
Denn Bevölkerungswachstum ist das eine. Aber werden die zuwachsenden Bevölkerungsgruppen auch ins Leben der Stadt integriert?
Die Probleme sind durchaus mehrschichtig.So wurden 2012 im zweiten Jahr in Folge wieder mehr Bewerber als Berufsausbildungsstellen verzeichnet, hebt das Sozialdezernat hervor. Auf Seite 67 ist das in einer Grafik deutlich zu sehen: Nicht nur die Bewerberzahlen in der Berufsausbildung sind ab 2010 regelrecht eingebrochen – auch die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze ist eingebrochen. Die Leipziger Wirtschaft ruft zwar ziemlich laut nach qualifiziertem Nachwuchs – bietet aber nicht einmal mehr halb so viele Ausbildungsplätze wie vor fünf Jahren an. Was auch Gründe hat im sächsischen Bildungssystem. Gesucht werden vor allem junge Leute, die auch das Zeug für eine echte Fachausbildung haben.
Im Bericht heißt es dazu: “Der Anteil der unversorgten Bewerber/-innen stieg auf 10,1 % (plus 3,5 Prozentpunkte zum Vorjahr). Zu den unversorgten Bewerbern zählen jene Personen, für die weder die Einmündung in eine Berufsausbildung, noch ein weiterer Schulbesuch, eine Teilnahme an einer Fördermaßnahme oder eine andere Alternative zum 30.9. bekannt ist und für die sich um eine Vermittlung bemüht wird.” Das sind vor allem jene 10 bis 14 Prozent der Schulabgänger, die keinen Abschluss haben und oft auch nicht die Voraussetzungen für eine Berufsqualifikation. Viele von ihnen schaffen dann nach Extra-Mühen (nachgeholter Schulabschluss, geförderte Berufsausbildung) doch noch den Anschluss – der Großteil aber nicht. Zwar ist die Jugendarbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren permanent gesunken. Doch ihr Charakter hat sich geändert: Waren hier bis 2012 vor allem junge Menschen mit Schulabschluss und teilweise auch Berufsabschluss registriert, die nach einem Job suchten, dominieren heute die Jugendlichen, die keinen oder einen völlig ungenügenden Abschluss haben und im Grunde ein Leben in der Warteschleife vor sich haben.
Der Sozialreport zeigt auch recht deutlich, dass diese Entwicklung vor allem sozial bedingt ist. Ab Seite 107, wenn es um Bildungsempfehlung und Schulkarriere geht.Auf Seite 198 heißt es zum Beispiel: “Die meisten Schüler/-innen ohne Abschluss werden von den Förderschulen und Oberschulen entlassen. Seit 2004 stammt mehr als die Hälfte der Schulabgänger/-innen ohne Hauptschulabschluss von Förderschulen. Gymnasien entließen nur vereinzelt Schüler/-innen ohne Schulabschluss. Demografische Effekte bewirken starke Schwankungen der Prozentwerte zwischen 2009 und 2010. Die gesamte Zahl der Abgänger/-innen verringerte sich in einem Jahr um mehr als 20 %, sodass eine geringe Zunahme von lediglich fünf Schulabbrecher/-innen die Schulabbrecherquote von 10,7 % auf 14,0 % steigen ließ.”
Die Gesamtzahl der Abgänger ohne Abschluss sank also, der prozentuale Anteil an den abschmelzenden Schülerjahrgängen aber stieg. Das lässt sich nicht schönreden.
Aber es hängt ganz direkt mit den sozialen Problemlagen in den einzelnen Ortsteilen zusammen. Sowohl in Grünau als auch in Lindenau und dem Leipziger Osten gibt es Oberschulen, in denen mehr als 20 Prozent der Schüler keinen qualifizierten Hauptschulabschluss schaffen. Das sind auch die Ortsteile mit den bekannten sozialen Problemlagen: hohe Arbeitslosenquote, hohe ALG-II-Quote, niedrige Einkommen, aber höhere Migrantenquoten. Hier müssten deutlich mehr schulische Integrationsmodelle greifen – die es aber im sächsischen Sparmodus nicht gibt.
“Räumlich differenziert zeigten sich drei Schwerpunktgebiete, in denen überdurchschnittlich viele Schüler/-innen der Oberschulen ohne Abschluss blieben. Diese sind im Inneren Osten, Westen und Grünau zu verorten”, stellt auch das Sozialdezernat fest. “Hier betrug der Anteil der Schulabgänger/-innen ohne Abschluss jeweils mehr als 20 %. Die maximalen Werte von Oberschüler/-innen ohne Schulabschluss lagen mit 30,5 % in den Ortsteilen Zentrum, Zentrum-Ost und Zentrum-Südost. Niedrige Werte von unter 5 % waren im nordwestlichen Zentrum sowie im Süden, im Südosten und im Nordosten und -westen des Stadtgebiets zu finden.”
Heißt im Klartext: Höhere Bildung und höhere Einkommen im Elternhaus verbessern auch in Leipzig die Bildungschancen drastisch.
Logische Folge, wie das Sozialdezernat einschätzt: “Der Anteil von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nimmt weiter zu.”
Und wie sieht das mit der sozialen Gleichheit aus, für die sich der Freistaat Sachsen so gern rühmt – auch in den diversen Schulvergleichstests? Pustekuchen. Auch Sachsen allgemein und Leipzig im Speziellen weisen starke soziale Gefälle auf. Trotz des im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt niedrigen Einkommensniveaus. Nur 22 Prozent der Haushalte in Leipzig haben Einkommen, die sich mit den Einkommen im Westen der Republik vergleichen können – ab 2.300 Euro im Monat. 46 Prozent der Haushalte befinden sich in jenem wattigen Übergangsbeeich zwischen 1.100 und 2.300 Euro. Und 31 Prozent befinden sich nach wie vor drunter.
Das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen berechnet zwar gern die relative Einkommensarmut. Das ist der Anteil der Leipziger, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens im Monat zur Verfügung haben. Aber bei einer Stadt mit eh schon niedrigem Durchschnitt ist das eher ein nicht belastbarer Wert. Im Bericht so zu lesen: “16,4 % der Leipziger/-innen sind relativ einkommensarm (2011: 16,0 %), da ihr Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle (60 % des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens) liegt.”
Tatsächlich liegt in Leipzig die Armutsgefährdungsschwelle deutlich höher als bei diesen 16,4 Prozent.
“Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen lag 2012 mit 1.503 ? um 89 ? höher als in den beiden Vorjahren. Das durchschnittliche persönliche Nettoeinkommen (Median) betrug im Jahr 2012 insgesamt 1.135 ? und lag damit um 69 ? höher als im Jahr 2011”, heißt es im Bericht. Heißt im Klartext: Die meisten Leipziger lagen eher knapp unter bzw. über dieser Grenze von 1.100 Euro, mit denen man auch als Einzelperson in Leipzig gerade so über die Runden kommt. Das wird spätestens dann deutlich, wenn die scheinbar nicht von Armut Bedrohten dann trotzdem soziale Hilfeleistungen beantragen müssen – die ihnen gesetzlich auch zustehen. Wohngeld, Sozialgeld, Ermäßigungen mit dem Leipzig-Pass usw. Steht alles im Bericht. Eine signifikante Zahl: 27 Prozent der Kinder erhielten 2012 Sozialgeld. Ähnlich hoch ist der Satz der Kinder, die in Leipziger Kindertagesstätten Freiplätze oder ermäßigte Plätze bekommen. Und die Zahl korrespondiert mit der Armutsgefährdungsquote, wenn man sie mit dem Bundesmedian vergleicht: 2012 waren das in Leipzig 25,9 Prozent. Und das waren dann wieder 0,9 Prozent mehr als im Vorjahr.Was auch daran liegt, dass an den tariflichen Einkommenssteigerungen immer nur ein Teil der Leipziger partizipiert. Was die Lücke zwischen den niedrigen und den hohen Einkommen in Leipzig auch 2012 wachsen ließ: “Die Einkommensunterschiede haben sich im Jahr 2012 etwas erhöht. Während die Einkommen der einkommensschwächsten 20 Prozent um 2,8 % anstiegen, legten die Einkommen der einkommensstärksten 20 Prozent um 4,3 % zu. Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen hat sich um 40 % von 198 ? (2011) auf 278 ? (2012) erhöht”, so steht’s im Bericht.
Und die Tatsache, dass rund ein Drittel der Leipziger tatsächlich zu wenig Einkommen haben, um wirklich über die Runden zu kommen, machen dann die Statistiken zur Beratung in Wohnungsnotfällen (Seite 27, steigende Fallzahlen), zur Sozialhilfe (Seite 36, steigende Fallzahlen) oder zur Grundsicherung im Alter (Seite 40, steigende Fallzahlen) sichtbar. Denn irgendwo tauchen diese Menschen ja alle wieder auf, wenn sie schon so schön aus der Zahl der Leistungsempfänger nach SGB II (Seite 36) herausgerechnet werden. Auch das ist dort zu lesen: Die Zahl der älteren Arbeitnehmer, die in “vorruhestandsähnliche Regelungen” abgeschoben werden, steigt (Tabelle Seite 35). Und das bei einem Arbeitsmarkt, der nach Fachkräften schreit?
Irgendjemand veräppelt an dieser Stelle die Öffentlichkeit – regelmäßig und systematisch.
Tatsächlich wäre auch Leipzigs Statistik gut beraten, mit der Errechnung einer fiktiven “Armutsgefährdungsquote” für die Stadt aufzuhören. Denn die gesetzlich geregelten Bedarfe setzen schon bei einem – fiktiven – Leipziger Durchschnittsverdienst von 1.100 Euro an. Da beginnen auch die Kosten für das Leipziger Sozialbudget zu ticken.
Und es sind eben nicht nur ALG-II-Haushalte, die dabei in Schuldenfallen tappen, die sie nicht verschuldet haben. 4.028 Beratungen zu Wohnungsnotfällen 2012 (Vorjahr: 3.678) sind schon eine alarmierende Größe, auch wenn die Stadt mit allen Mitteln versucht, dass diese von Rausschmiss bedrohten Haushalte nicht wirklich auf der Straße landen. Die Statistik zu Stromabschaltungen ist nicht im “Sozialbericht”, gehört aber genauso hinein wie die Schuldnerberatung, die man auf Seite 44 findet. 2.110 Schuldnerberatungen gab es 2012, ein paar weniger als im Vorjahr. “Die Anzahl der Beratungen hat sich von 2007 bis 2011 verdoppelt. 2012 wurden erstmals weniger Beratungen als im Vorjahr durchgeführt”, stellt der Bericht dazu fest. “Im Jahr 2012 sind sowohl die Ausgaben bei Beratungen für Leistungsempfänger/-innen des SGB II als auch die kommunalen Ausgaben gesamt um ca. 10 % gesunken.” Aber: “Beratungen mit komplexen Schuldenproblematiken steigen.”
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Der Bericht bietet auf 126 Seiten so ziemlich alles an Daten, was die Stadt statistisch erfasst zu Senioren und Kindern, Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund, zu Gesundheit, Bildung, Wohnen und Einkommen.
Und ein Stück Demografie steckt auch drin. Die Prognosezahlen zum Beispiel zum Leipziger Bevölkerungswachstum und zu den Geburtenzahlen. Letztere zwar schön hoch in den nächsten Jahren, aber tatsächlich zu niedrig. Statistisch bekommt eine Leipzigerin 1,40 Kinder im Durchschnitt (nur wenig mehr als der Bundesdurchschnitt von 1,38). Um aber die Bevölkerung zu stabilisieren, müssten es 2,1 sein. Bislang profitiert die Stadt vom enormen Wanderungsgewinn. Aber die Fragen, die auch der “Sozialbericht” andeutet, sind sehr berechtigt. Was passiert so ungefähr ab 2020? Sagen kann das noch keiner.
Aber das ist dann auch die Schwäche eines solchen Berichtes: Er fasst nur zusammen, was die Statistik weiß. Er erklärt nichts. Was an einigen Stellen aber dringend fällig wäre.
Der Sozialreport richtet sich an Politik, Verwaltung, Fachleute und interessierte Bürgerinnen und Bürger. Mit seinem jährlich aktualisierten Datenmaterial hilft er, kommunale Entwicklungsverläufe und sozialen Handlungsbedarf zu erkennen und liefert Impulse für die sozialpolitische Diskussion.
Der Sozialreport 2013 kann unter www.leipzig.de/sozialreport heruntergeladen werden.
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