Nicht nur mit Helmut Kohls saftigen Sprüchen überraschte der "Spiegel" in dieser Woche die Leser, er brachte auch eine Meldung, die nicht ganz unscheinbar auf Seite 15 steht: "Mehrausgaben für Hartz IV". Eine Meldung mit zwei saftigen Haken. Mit dem einen beschäftigte sich gleich mal Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ). Das ist der Bursche, der wohl außerhalb der Bundesarbeitsagentur deren Zahlen am besten kennt.
Der “Spiegel” hatte “bis zu eine Milliarde Euro mehr” Ausgaben für Hartz-IV-Zahlungen in diesem Jahr prophezeit. Und Schröder staunte, wie die Meldung durch den deutschen Medienwald galoppierte: “Die sonntägliche Flut von Meldungen vom 5. Oktober 2014 über Mehrausgaben des Bundes in Höhe von ‘bis zu einer Milliarde Euro’ für das sogenannte Arbeitslosengeld II (Hartz IV) (Der Spiegel 41/2014) – in den abschreibenden Medien oft verkürzt auf ‘eine Milliarde Euro mehr’ (“Focus” und viele andere) – wirft die Frage auf: Was sind die Hintergründe für diese ‘Milliarden-Euro-mehr-Hartz-IV-Meldungen’?”
Dazu muss man die Etats kennen und die Planungen. Schröder: “Im vergangenen Haushaltsjahr (2013) wurden vom Bund 19,484 Milliarden Euro für ‘Arbeitslosengeld II’ (einschließlich Sozialgeld und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung)ausgegeben, davon 13,297 Milliarden in den ersten acht Monaten (Januar bis August 2013). In den ersten acht Monaten des laufenden Haushaltsjahres (2014) wurden dafür 13,581 Milliarden Euro ausgegeben, (nominal!) 284 Millionen (2,1 Prozent) mehr als in den ersten acht Monaten des Vorjahres (2013).
Veranschlagt wurden von der Bundesregierung für ‘Arbeitslosengeld II’ in 2014 zunächst 19,500 Milliarden Euro, 16 Millionen Euro (0,1 Prozent) mehr als 2013 ausgegeben wurde. (Kabinettsvorlage Bundeshaushalt 2014 vom 7. März 2014).”
Aber wie das so ist mit den Sparmeistern in der Bundesregierung: Man guckt nicht auf die Zahlen, sondern setzt einfach mal ein neues Sparziel ein, senkt die Planzahlen für Hartz IV mitten im Sommer, obwohl man eigentlich die Ausgabensituation der Arbeitsagentur kennen müsste.
Schröder: “Im Juni 2014 wurden diese 19,500 Milliarden Euro dann um 300 Millionen Euro auf 19,200 Milliarden Euro gekürzt. (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/1023 vom 18. Juni 2014). Damit sind im Bundeshaushalt 2014 für ‘Arbeitslosengeld II’ 284 Millionen Euro (1,5 Prozent) weniger veranschlagt als in 2013 für ‘Arbeitslosengeld II’ ausgegeben wurden.
Ein Blick in die vom Bundesfinanzministerium bisher veröffentlichten Abrechnungsergebnisse zeigt: Zum Zeitpunkt der Kürzung des Solls um 300 Millionen Euro konnte keineswegs davon ausgegangen werden, dass die Ausgaben für ‘Arbeitslosengeld II’ im Haushaltsjahr 2014 gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Prozent (284 Millionen Euro) sinken würden.”
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Man hat also irgendwie so drauflosgekürzt. Arbeitet die Bundesregierung immer so?
“Die Abrechnungsergebnisse ließen schon da einen Anstieg gegenüber den Ausgaben im Vorjahr erwarten”, stellt Schröder sachlich fest. Und wo kommt die vermeldete Milliarde her? – “Die heutigen ‘eine Milliarde Euro mehr’-Meldungen beruhen auf dieser unsoliden und täuschenden Veranschlagung der erwarteten Ausgaben für ‘Arbeitslosengeld II’. Sie dürften zudem, gemessen an der bisherigen Ausgabenentwicklung, übertrieben sein. Ein Anstieg auf 20,2 Milliarden Euro, eine Milliarde Euro mehr als veranschlagt bzw. 716 Millionen Euro mehr als im Vorjahr (2013) für ‘Arbeitslosengeld II’ ausgegeben wurde, ist nach den bisher veröffentlichten Abrechnungsergebnissen nicht zu erwarten.”
Bleiben also die 281 Millionen Euro, die tatsächlich bis August mehr verausgabt wurden als 2013 – plus ein entsprechender Betrag von September bis Dezember: also wohl um die 420 Millionen Euro am Jahresende. Und dasselbe 2015.
Und die Ursache ist dieselbe, die jetzt seit Januar die Berichterstattung zum Arbeitsmarkt – zumindest in der L-IZ – bestimmt: Der Abbau der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik, in Sachsen und in Leipzig erreicht die Langzeitarbeitslosen nicht. Nicht mehr, könnte man formulieren, aber das wäre wohl falsch. In den Vorjahren haben nur die damals noch existierenden “arbeitsmarktpolitischen Instrumente” die Tatsache kaschiert, dass die schon vorher schwer Vermittelbaren auch nach neun Jahren “Hartz IV” schwer vermittelbar geblieben sind. Sie fallen nur seitdem richtig auf auch in den Zahlenwerken der Jobcenter, weil ihre Anzahl nur langsam abschmilzt und die Zahlen so hoch bleiben, dass sie die Haushalte der Kommunen immer schwerer belasten. Die Aufwendungen steigen ja – nicht nur der klägliche Satz für ALG II, auch die “Kosten der Unterkunft”, die in Leipzig schon richtige Hahnenkämpfe im Stadtrat ausgelöst haben. Im Grunde macht das Jahr 2014 erst richtig sichtbar, wie kläglich das ganze Paket “Hartz IV” gescheitert ist und wie wenig es gerade jenen nützt, denen es 2005 angedient wurde wie eine Geburtstagstorte.
Zur Meldung des BIAJ:
http://biaj.de/images/stories/2014-10-05_alg2-2014-zahlen-zur-spiegel-milliarde-mehr.pdf
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