Wenn die Leipziger Arbeitsagentur zusammen mit dem Jobcenter jeden Monat das veröffentlicht, was man mit ganz spitzen Lippen "Arbeitslosenzahlen" nennen könnte, dann wird zwar gern mit vielen Prozenten gearbeitet. Aber die Details lässt man lieber im Dunkel. Etwa wenn man über Langzeitarbeitslose spricht oder ältere Erwerbssuchende. Dabei liegt Leipzig im Ranking der Städte mit arbeitslosen Älteren schön weit vorn. Wie eigentlich zu erwarten war.

Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat wieder gerechnet, auch wenn er mit Bedauern feststellen muss, dass die Bundesarbeitsagentur die Zahlen für diese “erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (Arbeitslosengeld II) im Alter von 50 bis unter 65 Jahren” nur bis Dezember 2012 parat hat. 1,213 Millionen Menschen gehörten 2012 zu dieser Berechtigtengruppe. Sie stellten 7,1 Prozent ihrer Altersgruppe dar. Wobei es an dieser Stelle schon schwierig wird, etwa wenn man von dem berichtet, was die Arbeitsagentur als “arbeitslos” wertet – und was nicht. Denn nicht jeder Leistungsberechtigte ist auch arbeitslos. Und nicht jeder Arbeitsfähige in dem Alter meldet sich beim Jobcenter. Mancher arbeitet lieber für einen Hungerlohn, ohne sich dafür auch noch von einer gefühllosen Behörde kujonieren zu lassen.

Dafür aber fehlen die Erhebungen und Zahlen. Nur manchmal machen Einkommenserhebungen in Städten wie Leipzig sichtbar, von wie wenig Geld die meisten Leute leben – und sich trotzdem hüten, sich der Behörde auszuliefern, die auch noch von der eigenen Stadtverwaltung zum Sparen, Knausern und Sanktionieren angehalten wird.

Trotzdem liegt Leipzig unter den Kommunen mit ALG-II-Beziehern unter den 50- bis 65-Jährigen ganz vorn – auf Platz 4 – gleich hinter der Uckermark, Brandenburg an der Havel und Bremerhaven. Die Quote: Mit 16,1 Prozent der betroffenen Altersgruppe sind doppelt so viele Erwerbsfähige beim Jobcenter gemeldet wie im Bundesdurchschnitt. Damit liegt Leipzig knapp vor Berlin (15,8 Prozent) und befreundeten Nachbarstädten wie Halle (15,2 Prozent), Magdeburg (15,1 Prozent) oder Rostock (14,8 Prozent).

Insgesamt ließen sich 2012 genau 15.030 Personen über 50 Jahre diese Prozedur gefallen, obwohl das Jobcenter für Menschen dieser Altersgruppe im Grunde keine ehrlichen Arbeitsplätze anbieten kann. Die Leipziger Wirtschaft jammert zwar gern über Fachkräftemangel – aber es gibt wenige Unternehmen, die wirklich Arbeitsplätze für ältere Menschen zur Verfügung stellen. Und in Branchen, wo es solche Arbeitsplätze geben könnte, wird gekürzt und gestrichen.

Nicht alle 15.030 wurden vom Jobcenter auch als “arbeitslos” gezählt. Was Verschiedenes heißen kann. Zum Beispiel, dass diese Menschen tatsächlich gar nicht arbeitslos waren, sondern einen der üblichen Leipziger Arbeitsplätze inne hatten – und weil’s da nur den üblichen Niedriglohn gab, meldeten sie sich zum Aufstocken beim Amt. Damit wenigstens am Monatsende die Stromrechnung bezahlt war. Auch die Zahlen, die Paul M. Schröder hier zusammengestellt hat, lassen die Tragik dahinter nur ahnen, nicht sehen.

Was immerhin mehr ist, als Arbeitsagentur und Jobcenter je zeigen in ihrem monatlichen Hosianna auf neue Arbeitsmarktzahlen. Offiziell als “arbeitslos” gezählt wurden von den 15.030 Personen über 50 Jahre nur 6.259, was 41,6 Prozent dieser Gruppe betrifft. Die Prozentzahlen schwanken in allen Jobcentern, stellt Schröder fest. Was aber bedeutet das? Unterscheiden sich die Zählweisen so sehr? Oder verrät ein niedrigerer Wert tatsächlich, wie viele Betroffene nur zum “Aufstocken” ins Jobcenter traben?Was als Erklärung ja nahe liegt, denn dann würde sich auch ein anderer Widerspruch erklären lassen, den Paul. M. Schröder nicht zu entknoten weiß: “Ganz anders als beim Arbeitslosengeld II in der Altersgruppe 50 bis unter 65 Jahre stellt sich die Zusammensetzung der 25 Kreise mit den höchsten Hilfequoten in der Grundsicherung im Alter dar: 23 westdeutsche kreisfreie Städte, der westdeutsche Regionalverband Saarbrücken und Berlin (Rang 16). Die höchsten Hilfequoten in der Grundsicherung im Alter wurden für Frankfurt am Main (7,8 Prozent), Offenbach am Main (7,4 Prozent), Düsseldorf und Straubing (jeweils 6,8 Prozent), Köln (6,7 Prozent), Bremerhaven (6,5 Prozent) und Hamburg (6,4 Prozent) errechnet.”

Grundsicherung ist das, was Menschen im Rentenalter bekommen, wenn ihre Rente nicht zum Leben reicht. Zum Beispiel, weil sie vorher Jahre im Hartz-IV-System zugebracht haben. Aber die Quoten sind hier in etlichen westdeutschen Kommunen längst drei Mal so hoch wie im Osten. Liegt das an den höheren Renten im Osten? Ganz bestimmt nicht. Und Hartz-IV-Karrieren, die in so eine Altersarmut führen, sind ja eigentlich im Osten ausgeprägter.

Da könnte der Fakt eine Rolle spielen, den der Linke-Landtagsabgeordnete Dr. Dietmar Pellmann immer wieder nachfragt: Immer mehr Menschen in Sachsen über 65 Jahre gehen weiterhin arbeiten. Womit wir dort den selben Effekt hätten wie bei den 50- bis 65-Jährigen. Die Menschen haben noch immer ihren Stolz und ihre Würde. Und Tausende wollen es sich nicht antun, bei Behörden, die sie jahrelang nur getriezt und schikaniert haben, nun auch noch im Alter um Almosen betteln zu müssen. Und gegen die Würde verstößt Arbeit nun einmal nicht. Da wird dann eben weiter Zeitung ausgetragen, geputzt, abgewaschen, ausgeholfen, so lange es noch geht.

Die Tabelle, die Schröder erarbeitet hat, zeigt noch etwas anderes: Sie zeigt, dass die deutschen Jobcenter für ältere Arbeitsuchende im Grunde nichts zu bieten haben. Keinen Job, der ein ordentlichen Einkommen garantiertr, keinen Wiedereinstieg ins Berufsleben, nichts.

Von den 15.030 als “erwerbsfähig” gezählten Leistungsberechtigten in Leipzig waren 10.122 länger als vier Jahre lang arbeitslos. Das waren 67,3 Prozent.

Wobei Schröder wohl zu recht davon ausgeht, dass auch diese und die Zahl zur gezählten “Arbeitslosigkeit” nicht die Realität beschreiben. Tatsächlich ist der ganze Hartz-IV-Komplex mit seiner wilden Sanktionspraxis ein Ausweich-Komplex: Es ist längst so eine Art dritter Arbeitsmarkt entstanden, auf den all diejenigen ausweichen, die die Unfähigkeit der sanktionierenden Behörde so richtig satt haben. Da gehen sie auch mit Diplom und Doktortitel lieber Aufwischen, Malern und Entrümpeln, als sich die amtlich gemachte Schikane noch einmal anzutun. Ihnen sind auch die politischen Eiertänze um die Rente so ziemlich egal, weil schon die Eiertänze der vergangenen 25 Jahre dafür gesorgt haben, dass sie nicht mehr als einen Hungerbetrag bekommen. Da jobt man dann lieber, bis man umfällt.

Das sind alles Dinge, die die amtliche Statistik der Arbeitslosenverwaltung nicht zeigen kann. Sie ist dafür blind. Aber das ist ja nur folgerichtig bei einer “Reform”, die derart gründlich alle ihre Ziele verfehlt hat. Außer eines: die Arbeitslosenzahlen zu schönen, bis sie glänzen wie Gold.

Direkt zu den neuen Zahlen aus dem BIAJ: http://biaj.de/images/stories/2014-08-26_stat-mat-elb50plus-grusi-alter-122012.pdf

www.biaj.de

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