Annekatrin Klepsch, jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, hat zu Recht kritisiert, dass das sächsische Sozialministerium mit der Erstellung des Berichts eine auswärtige Agentur beauftragt hat - in diesem Fall die empirica ag in Berlin. Ein Grund dafür ist möglicherweise, dass sächsische Institute mit dem bereitgestellten Datenmaterial der Sächsischen Staatsregierung nicht mehr arbeiten wollen. Es verfälscht schlicht die Basis.
Das beginnt schon mit der Prognose der Bevölkerungsentwicklung, auf der die Politik der regierenden CDU seit 2009 aufbaut. Nicht der einzige Fall, in dem die Datenbasis in diesem Bericht fünf Jahre alt ist. Wenn 2014 immer noch dasselbe erzählt wird wie 2009, als Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) augenscheinlich von existenzieller Panik getrieben verkündete, er müsse das Landespersonal von 86.000 auf 70.000 Angestellte eindampfen, dann zeugt das schon von einer gewaltigen Kluft zwischen Realität und Regierungswahrnehmung.
Im Jugendbericht heißt es dazu: “Bis 2025 wird von einem weiteren Bevölkerungsrückgang auf etwa 3,6 bis 3,87 Mio. Menschen ausgegangen.” Das sind die Prognosezahlen von 2009.” Mal abgesehen davon, dass im Bericht auch noch eine Bevölkerungszahl von “heute noch 4.137.000 Menschen” erzählt wird. Das war die amtliche Bevölkerungszahl vor der Korrektur durch den “Zensus 2011”. Offiziell hat Sachsen knapp 4,05 Millionen Einwohner. Und es sieht ganz so aus, als würde sich diese Zahl stabilisieren. Was im Jugendbericht zitiert wird, traf so auch 2009 schon nicht mehr zu: “Der Bevölkerungsrückgang basiert auf einer anhaltend niedrigen Geburtenrate sowie auf hohen Abwanderungsraten.”
Tatsächlich haben sich die Abwanderungsraten seit 2010 drastisch verringert. Die Geburtenraten sind noch sehr bescheiden, wurden und werden aber durch den hohen Zuzug vor allem von Studierwilligen aus anderen Ländern fast kompensiert.
Aber wie gesagt. Das richtige Sachsen scheint mit dem, was die sächsische Regierung wahrnimmt, nicht viel zu tun zu haben.
Dass die Geburtenzahlen in den letzten Jahren trotzdem wieder gestiegen sind, hat man zumindest registriert: “Die Altersgruppe der 0 bis unter 6-Jährigen stieg von 2001 bis 2011 von 181.000 um 13,1 % auf 204.700, die Altersgruppe der 6 bis unter 10-Jährigen wuchs im gleichen Zeitraum von 96.900 auf 128.200 (+32,3 %). Mit diesem Anstieg der Bevölkerungszahlen in den jüngeren Jahrgängen hat die Kinder- und Jugendhilfe in Zukunft wieder mit steigenden Zahlen der Nutzerinnen und Nutzer zu rechnen.”
Nur bei der Verlagerung des Themas Jugendhilfe in die Zukunft liegt der Bericht daneben. Obwohl drin steht, dass in Dresden, Leipzig und Chemnitz dieses Thema jetzt schon präsent ist. Und das Beklemmende ist: Sachsens Regierung betrachtet das Bundesland augenscheinlich als ein völlig geschlossenes System. Als wäre eine Mauer drumherum gebaut. Entsprechend alarmistisch sind auch einige Töne im Bericht: “Zukünftig ist mit einem weiteren Rückgang der Geburten in Sachsen zu rechnen. Die deutlich kleineren Altersjahrgänge der jetzt unter 20-Jährigen werden sich entsprechend auf die Anzahl der Geburten auswirken. Während die Altersjahrgänge der 25- bis 35-Jährigen jeweils über 50.000 Personen liegen, erreichen die Altersjahrgänge der unter 15-Jährigen nur noch knapp über 30.000 Personen. Die 15- bis unter 20-Jährigen bilden sogar noch kleinere Jahrgänge, was vor allem durch die geringe Geburtenzahl nach der Wende zu erklären ist.”
Wenn sich Sachsen nur aus sich selbst rekrutieren müsse – klare Ansage: Das Land würde vergreisen und aussterben. Die Panik sitzt seit den 1990er Jahren tief. Und irgendwie wissen die Politiker nicht damit umzugehen. Im Bericht heißt es wieder einmal: “Verantwortlich für den Bevölkerungsrückgang sind neben der niedrigen Geburtenrate die selektiven Wanderungsbewegungen. Es sind insbesondere die jungen Frauen, die aus Sachsen abwandern oder innerhalb von Sachsen in die größeren Städte ziehen.”
Aber gibt es irgendeinen Politikansatz, der gerade jungen Frauen in Sachsen besondere Chancen zur Existenzgründung eröffnet? Gar im ländlichen Raum?
“Gemeinden mit einem unterdurchschnittlichen Anteil an jungen Frauen liegen im ländlichen Raum z. B. in der Oberlausitz im Landkreis Bautzen und in Landkreis Görlitz. Die Anteile der jungen Frauen liegen dort bei unter 40 %. Diese Auseinanderentwicklung von ländlichen Räumen auf der einen Seite und den Kernstädten auf der anderen Seite hat bereits in den 1990er Jahren eingesetzt. Dies kann dabei u.a. auf regionale Strukturen des Arbeitsmarktes zurückgeführt werden.”
Auch aus dieser Sicht also: Wer jung und weiblich ist, verlässt die ländlichen Bereiche Sachsens – aber schleunigst. Nicht nur die Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebote fehlen für selbstbewusste Frauen, auch die sozialen Infrastrukturen.
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Gibt es dafür ein Kapitel? – Die Berliner Ersteller des Berichts haben ihre Aufgabe schon ernst genommen. Zumindest so weit, wie Daten existieren: “Zur Beschreibung der räumlich unterschiedlichen Erreichbarkeit von Einrichtungen wird im Folgenden, stellvertretend für die Erreichbarkeit vieler Infrastruktureinrichtungen, die Erreichbarkeit von Mittelschulen, Gymnasien und Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin untersucht. Eine Analyse der Erreichbarkeit anderer jugendrelevanter Infrastruktureinrichtungen, wie beispielsweise Kinos, Jugendclubs oder Discotheken, scheitert methodisch an einer einheitlichen sachsenweiten Datengrundlage.”
Aber das sind nicht die einzigen Felder, auf denen die offiziöse sächsische Politik mit nicht vorhandenen Daten operiert. Die nicht nur auf die Jugendwelt auf etwas völlig Fremdes herabschaut. Sie operiert oft genug auch mit falschen Behauptungen über das, was junge Leute in Sachsen sind und tun. “Dieses Bild bestätigt sich z. B. in der weit verbreiteten Annahme, Jugendkriminalität würde steigen. In Wirklichkeit sinkt die Jugendkriminalität und insbesondere auch die Jugendgewalt”, heißt es dazu in dem Teil des Berichts, der sich der direkten Befragung der Jugendlichen widmet.
Mehrere solcher Jugendbefragungen gab es auch in Sachsen, auch wenn sie kaum vergleichbar sind und auch nicht immer repräsentativ. Das wird im Bericht auch schön am Beispiel des einzigen Suchtmittels untersucht, das im Bericht ausgewertet wird: dem Alkohol. Da scheinen die diversen Erhebungen der letzten Jahre, wenn man es vorsichtig umschreibt, sehr selektiv gewesen zu sein. Tatsächlich lässt die seitenlange Analyse der diversen Studien und Befragungen nur einen Schluss zu: Man sollte sie sehr vorsichtig genießen – und repräsentative Aussagen lassen sie nur in ganz beschränktem Ausmaß zu. Was auch wieder heißt: Sachsens Regierende wissen über die Jugendlichen im Land so gut wie nichts.
Der Bericht weist sie zumindest darauf hin, dass die letzten Jugendbefragungen ergeben haben, dass die jungen Leute mittlerweile gern im Land bleiben wollen. Die Aussichten auf einen Ausbildungs- und einen Arbeitsplatz haben sich deutlich verbessert.
Der Bericht unterteilt die Jugendlichen zwar sehr systematisch nach ihrer regionalen Verortung. Aber das ändert nichts am Grundtenor: Sie wollen gern in Sachsen bleiben – aber die Infrastrukturen müssen stimmen. Sie müssen auch in akzeptabler Zeit erreichbar sein. Und es muss ordentliche Freizeitangebote geben. Und die von der Regierung so oft gefeierte Freiwillige Feuerwehr gehört erst ganz, ganz am Ende dazu, weit nach Computer, Lesen, Sport, Jugendklub, Café und sogar noch deutlich hinter politischer Betätigung. Auch hier unübersehbar das völlig falsch gewichtete Bild der Politik von “Jugendangeboten”.
Die Stellungnahmen der Staatsregierung auf die einzelnen Themenfelder sind nicht immer symmetrisch, oft sehen sie eher wie ein Ausweichen aus, ein Versuch, die alten Denkstrukturen nicht zu gefährden und trotzdem Aktivität zu suggerieren. Aber auch die Wanderungsbewegungen der jungen Menschen im Freistaat zeigen, dass sie das nicht mehr interessiert. Wenn die ländlichen Räume keine tragfähigen Strukturen mehr für attraktive Lebensmodelle aufweisen, dann packt man eben mit 16 oder 18 seine Siebensachen und zieht nach Dresden, Leipzig oder Chemnitz.
Tatsächlich beschreibt der Jugendbericht die Grundlagen dieser Bewegung. Und er zeigt, dass die fünf Jahre Ignoranz seit 2009 gar nichts daran geändert haben, außer den Trend noch zu verstärken. Denn jetzt haben die Nachwachsenden ja alle schon ihre größeren Geschwister und Cousins als Vorbild. Der Vergleich ist unbestechlich. Und für die Landkreise gerade in den Randlagen des Freistaates heißt das: Nix wie weg hier.
Der Jugendbericht als PDF zum download.
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