Kaum eine Reform der letzten Jahre ist derart mit Legenden umrankt wie die sogenannte "Hartz-Reform". Selbst Sozialdemokraten wiederholen bis heute die Märchen der Jahre 2002 bis 2005, mit diesem Instrument werde Menschen der Einstieg in den (ersten) Arbeitsmarkt erleichtert und die Sozialbedürftigkeit würde abgebaut. Doch das Gegenteil ist der Fall. Und den deutschen Kommunen fliegen die Sozialausgaben um die Ohren. In Sachsen fressen sie geradezu die Etats auf.

Das bestätigte – einmal mehr – eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Dr. Dietmar Pellmann im Sächsischen Landtag. Er stellt die Frage jedes Jahr aufs neue. Die Staatsregierung weiß also, was da kommt. Er beschränkt sich auf die drei Kreisfreien Städte, weil das Problem da am leichtesten zu fassen ist. Aber das Problem belastet natürlich auch die Landkreise. Denn wenn der Bund seine anteilige Finanzierung etwa bei Kosten der Unterkunft senkt, landet die Finanzierungslücke 1:1 direkt bei den Kommunen. Der Freistaat hält sich ja bei seiner Beteiligung ebenfalls vornehm zurück. Wenn dann auch noch Mieten und Nebenkosten steigen, schlägt das genauso ungefedert durch.

Dazu kommt, dass nach Jahren der Niedriglohnpolitik, der wachsenden prekären Beschäftigungsverhältnisse und der gebrochenen Berufskarrieren immer mehr Ältere in den Ruhestand gehen, die mit dem erarbeiteten Kleinbetrag an Rente nicht über die Runden kommen und soziale Beihilfe brauchen. Ebenso schlägt die Jugendhilfeproblematik durch. Und das alles spiegelt sich dann in den Sozialetats der Städte, die – statt wie versprochen zu sinken – seit 2005 erst recht ausufern. Und das auch in Zeiten, wenn die üblichen “Wirtschaftsexperten” einen Konjunkturaufschwung feiern. Sie blenden einfach aus, dass eine Gesellschaft auch ihre Soziallasten erwirtschaften muss und diese nicht einfach in eine Grauzone abschieben kann. Doch genauso verhalten sich verantwortliche Politiker im Bund: Sie sehen zu, wie den Kommunen in Deutschland die Sozialkosten um die Ohren fliegen. Ändern aber nichts an den “Reformen”, die dafür verantwortlich sind.

Und so stellt Dr. Dietmar Pellmann, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Landtag, fest: “Der zwischenzeitliche wirtschaftliche Aufschwung und der Rückgang der offiziell registrierten Arbeitslosenzahlen hat nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, zu einer Verringerung der Sozialausgaben in den drei kreisfreien Städten Sachsens geführt. In allen drei Städten stiegen die Ausgaben 2013 gegenüber 2012 zum Teil beträchtlich an.”

Und auch in Leipzig steigen – trotz rigiden Umgangs mit den Klienten des Jobcenters – die Soziallasten immer weiter. “Sie schlugen im Haushalt des Jahres 2013 mit einem Anteil von fast 28 Prozent zu Buche”, stellt Pellmann fest, “in Chemnitz waren es 24 und in Dresden lediglich 19,3 Prozent. Mit 331 Millionen Euro lag Leipzig damit weit vor Dresden (217 Millionen Euro). Eine Gesamtübersicht der letzten Jahre widerlegt zudem die These der sächsischen Staatsregierung, dass etwa Hartz IV zu einer Entlastung der Kommunen geführt habe. So stiegen die gesamten Sozialausgaben, insbesondere durch die aufzubringenden Kosten der Unterkunft, 2013 gegenüber 2005 in Chemnitz um 35,3, in Dresden um 27,4 und in Leipzig um 31,1 Prozent.”

Auch die Bilanz für Leipzig allein spricht Bände. Im Jahr 2005, als “Hartz IV” deutschlandweit eingeführt wurde, lag der Leipziger Sozialetat bei 229,6 Millionen Euro, was 23,4 Prozent vom Haushalt bedeutete. 2010 war der Berg der Sozialkosten schon auf 287,1 Millionen Euro gewachsen (25,1 %), 2012 waren es dann schon 324,0 Millionen Euro (27,3 %).

“Die unterschiedliche Belastung der Kommunen erhärtet unsere Forderung nach einem gerechten Soziallastenausgleich. Dass dieser aus Haushaltsmitteln des Landes zu finanzieren wäre, versteht sich von selbst”, sagt Pellmann. “Denn der Anteil der Sozialausgaben am Landeshaushalt ist in Sachsen im Vergleich mit den anderen neuen Bundesländern mit Abstand am niedrigsten. Die Staatsregierung kann sich einerseits nicht ständig für ihren ‘soliden’ Landeshaushalt feiern, aber andererseits den beträchtlichen Anstieg der Sozialausgaben in den Kommunen billigend in Kauf nehmen.”
Die Antwort von Innenminister Markus Ulbig zur Pellmann-Anfrage als PDF zum download.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar