Was liest eine Staatsregierung aus einer Jugendstudie heraus, die sie selbst in Auftrag gegeben hat? Nur das, was ihr gefällt? Sieht so aus. Am 11. April veröffentlichte das Sächsische Ministerium für Soziales und Verbraucherschutz seine Studie "Jugend 2013 in Sachsen", für die 1.008 junge Menschen im Alter von 15 bis 26 Jahren in Sachsen zu ihrer Lebenssituation, ihren Einstellungen und Wünschen befragt wurden.
Und es ist wie bei der jüngsten Umfrage der Sächsischen Staatskanzlei zur Regierungsarbeit: Man will lauter Wohlfühlen im Freistaat sehen, man sieht lauter Wohlfühlen. Und auch Sozialministerin Christine Clauß sieht eine einzige Wohlfühljugend: “Ich freue mich ganz besonders über das Ergebnis, dass sich zwei Drittel der Jugendlichen in Sachsen wohlfühlen. Das ist seit 1993 der höchste Wert und er zeigt, dass die gute Entwicklung unseres Freistaates bei den jungen Menschen Früchte trägt.”
Es kommt noch schlimmer. Oder wohlfühliger. Wenn denn die Interpretation so stimmt.
“Wie bereits seit 1995 zeigt sich in den Ergebnissen eine insgesamt positive Entwicklung der psycho-sozialen Grundbefindlichkeiten. Mit 77 Prozent fühlen sich mehr als drei Viertel der Jugendlichen individuell anerkannt”, fasst das Sozialministerium seine Erkenntnisse aus dem 254-Seiten-Papier zusammen. “Außerdem setzt sich die große Mehrheit der Jugendlichen aktiv mit ihrer persönlichen Zukunft auseinander. Die Orientierung auf die engere Heimat ist wieder stärker geworden, die Jugendlichen möchten in Sachsen bleiben, leben und arbeiten. Waren es 2009 noch 31 Prozent, meinten 2013 schon 40 Prozent der Jugendlichen, sie würden in 10 Jahren noch in ihrer Heimat leben. In Bezug auf die Mobilitätsorientierung zeigt sich aber ein starkes Bildungsgefälle: nur 20 Prozent der Studenten und 22 Prozent der Gymnasiasten planen, in ihrem Heimatort zu bleiben. Der Hauptgrund wird in einer großen beruflichen und wirtschaftlichen Unsicherheit gesehen.”
Mitten in so einer Umfrage eine ganz delikate Feststellung also zur demografischen Entwicklung. Die fängt nämlich nicht im Greisenalter an, sondern bei den jungen Leuten. Und wenn gerade junge Leute mit höherer Bildung nicht in ihrem Heimatort bleiben wollen, dann ist das unübersehbar der wichtigste Anlass für die innersächsischen Umzüge – aus dem Land in die Großstadt. Wo es die besseren beruflichen und wirtschaftlichen Chancen gibt. Da kommt man mit dem altertümlichen von der CDU gepflegten Heimat-Begriff nicht weit.
Aber die Partei mit dem C ist regelrecht vernarrt in diesen Begriff und subsummiert selbst Themen wie soziales Engagement darunter: “Im Jahr 2013 waren nur noch 40 Prozent der Befragten in Vereinen oder Verbänden aktiv. Mit 49 Prozent äußerte aber nahezu die Hälfte der sächsischen Jugendlichen den Wunsch, sich international sozial zu engagieren. Dieser Enthusiasmus muss auch verstärkt in der Heimat gefördert werden.”
Und das erstreckt sich auch auf das alte Rollenbild der Geschlechter: “Für das eigene Leben präferieren die sächsischen Jugendlichen das ‘traditionelle’ Familienmodell: Ehe mit Kind. Der Kinderwunsch hat im Vergleich zu 2009 deutlich zugenommen.”Kein Wort dazu, dass die Umfragewerte, die ja über zehn solcher Umfragen seit 1993 gesammelt wurden, deutlich zeigen, wie eng der Wunsch nach Familiengründung und Kindern mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Sachsen verknüpft ist. Der Wunsch nach Familie und Kindern wird stärker, seit sich auch die Ausbildungs- und Jobsituation für die jungen Sachsen spürbar verbessert hat.
Aber aus der Perspektive der sächsische Staatsregierung wird das irgendwie ein süßlicher Gefühlsbrei. “Junge Menschen haben wieder Lust auf Familie und zeigen Freude an Verantwortung. Auch vor diesem Hintergrund ist es unsere Aufgabe, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Perspektiven für junge Familien in Sachsen weiter stabil zu halten und auszubauen”, erläutert Ministerin Clauß.
Und das Ministerium packt noch einen drauf: “Somit zeigt sie sich insgesamt zuversichtlich und sieht die sächsische Jugend auf einem selbstbewussten, zielstrebigen und sozial engagierten Weg.”
Fehlt da nicht was? Natürlich. Aber in der Umfrage steht es, die zum Glück in ihrer Grundkonstruktion noch in der Biedenkopf-Ära entwickelt wurde, sonst würde die heutige Staatsregierung gar nicht mehr nachfragen, wie es die jungen Leute mit ihrem gesellschaftlichen und politischen Engagement halten und wie sie ihre Chancen auf politische Teilhabe sehen. Da wird’s nämlich dünne. Und es hat Folgen. Thema: Vorbildcharakter.
Es ist in einer Gesellschaft wie in der Familie – was die Alten vorleben, lernen die Jungen. Das wird schon bei der Frage spannend: “Welche der folgenden ethisch-moralischen Standpunkte entsprechen am ehesten Ihrer persönlichen Meinung?” Und es sollte zu denken geben, wenn rund 10 Prozent der jungen Leute sagen “Für mein Leben brauche ich keine moralischen Grundsätze.” Weitere 10 Prozent sagen: “Mit moralischen Grundsätzen kommt man heutzutage nicht weit.” Und rund 50 Prozent meinen: “Nach welchen moralischen Grundsätzen man leben will, muss jeder selbst entscheiden.”
Das sollte wirklich zu denken geben. Denn welchen Kitt hat eine Gesellschaft noch, wenn sie keine verbindenden ethisch-moralischen Regeln zu entwickeln weiß?Da hilft auch kein Verweis auf irgendwelche Anderen, die daran vielleicht schuld wären. Die Indifferenz, die sich hier als eine ziemlich klare Ego-Haltung zeigt, wirkt bis ins Politische. Oder ist es umgekehrt? Oder ist es gar eine echte Wechselwirkung? Denn die Umfrage zeigt auch, dass die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Anliegen für die jungen Sachsen seit 1993 immer wichtiger geworden ist.
Wobei die jungen Leute die unkonventionellen Formen der politischen Beteiligung eher bevorzugen, die Beteiligung an Parteiarbeit nimmt über die Jahre eher ab. Nur 47 Prozent der Jugendlichen können eine ihnen nahe stehende Partei benennen. Während NPD und FDP an Zustimmung auch bei den Jugendlichen verloren haben, haben vor allem Grüne und Piraten an Zustimmung gewonnen. Leicht zugelegt hat auch die CDU, was mit einem anderen Trend zusammenfällt: Deutlich mehr Jugendliche positionieren ihren politischen Standpunkt in der “Mitte” – was immer das heißt. 47 Prozent immerhin. Wobei die Extrem-Positionen “ganz links” und “ganz rechts” mit 2 bzw. 1 Prozent der Nennungen über die Jahre hin marginale Positionen blieben.
Und wie ist es mit der Einschätzung, wie sehr junge Leute Einfluss auf Politik nehmen können? Nachdem 2005 und 2007 erstaunlich hohe Werte von 17 und 23 Prozent bei der Aussage “voll und ganz ausreichend” erreicht wurden, stürzte der Wert 2009 schon auf 3 Prozent ab. Die jungen Leute wählten da lieber die abschwächende Aussage “im großen und ganzen ausreichen” – 2013 immerhin 18 Prozent. 40 Prozent – und das ist ein Spitzenwert – sagen aber nur “es geht”. 23 Prozent sagen “eher unzureichend”, weitere 23 Prozent “völlig unzureichend”. Unentschieden sind nur 10 Prozent.
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Nach einem Gefühl, man könne als junger Mensch Einfluss auf die politischen Bedingungen in Sachsen nehmen, sieht das nicht aus. Und die kritische Einstellung zur politischen Einflussmöglichkeit steigt erstaunlicherweise mit dem Alter und dem Bildungsgrad.
Das sieht dann eher nach einer schleichenden Desillusionierung aus. Ein Bienchen für die sächsische Politik und die politischen Teilhabemöglichkeiten ist das nicht.
Die Ergebnisse der Untersuchung 2013 schreiben die Erkenntnisse der Verlaufsbeobachtung seit 1993 fort. Im bundesweiten Vergleich ist sie damit als Längsschnittstudie für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe einmalig. “Die Studie ermöglicht es uns seit nunmehr 20 Jahren, die Entwicklung der Lebenswelten junger Menschen zu verfolgen, deren Potentiale zu erfassen und gleichzeitig Probleme und Sorgen dieser Generation zu erkennen”, meint die Ministerin noch. Aber wahrscheinlich landet auch diese Studie schneller in der Ablage, als man glaubt.
Direktlink zur Studie: www.sms.sachsen.de/download/Verwaltung/Studie_Jugend_2013_Internet.pdf
Die Studie als PDF zum Download.
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