Das Jahr 25 der Friedlichen Revolution wird zu einer gewissen Ernüchterung führen. Das Jahr 25 der deutschen Einheit erst recht. Es stehen Entscheidungen auf der Tagesordnung. Und einige davon brauchen auch endlich ein paar ehrliche Worte. Als er jüngst den zweiten Teil der Bevölkerungsumfrage der Staatsregierung vorstellte, traute sich Johannes Beermann (CDU), Leiter der Staatskanzlei, schon ein paar vorsichtige Worte.

“25 Jahre nach der Friedlichen Revolution wurde viel erreicht, aber die Aufbauarbeit ist noch nicht abgeschlossen”, sagte er. Und dann gestand er etwas ein, was man so in Sachsen lange nicht gehört hat: “Die Menschen nehmen wahr, dass zwischen Ost und West noch Unterschiede in den Lebensverhältnissen bestehen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass die neuen Länder weiterhin besondere Unterstützung erhalten.”

Man erinnert sich an 2009, als der wieder frisch ins Amt gewählte sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sein Staatsvolk darauf einschwor, dass bis 2020 der Solidarpakt auslaufen werde und der Staatshaushalt drastisch gekürzt werden müsse, um die ausbleibenden Beträge auszugleichen. Folge waren die beiden Doppelhaushalte 2011 / 2012 und 2013 / 2014, die die Ausgaben des Freistaats jeweils um rund 1 Milliarde Euro kürzten. 2015 / 2016 wird es so weiter gehen. Auch wenn längst klar ist, dass solche Kürzungen dauerhaft nicht nur schädlich sind und wichtige Strukturen gefährden (Bildung, Kultur, Soziales, Polizei), sie sind auch schlicht in dieser Dimension überflüssig.

Aber die Panik der Tillich-Regierung hat natürlich einen Grund. Schon seit 2001 hat sich die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Sachsen deutlich abgeflacht. Die “Aufholjagd” gegenüber den westdeutschen Bundesländern ist praktisch zum Erliegen gekommen, auch wenn es ab 2005 wieder leichte Zuwächse gab. Aber seit 2008 tut sich nicht mehr viel, stellt jetzt auch eine Erhebung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle fest. Dr. Gerhard Heimpold hat anlässlich des nahenden 25-jährigen Jubiläums das relative BIP der ostdeutschen Bundesländer ausgerechnet. Das relative BIP je Einwohner und je Erwerbstätigem wird berechnet, indem der jeweilige ostdeutsche Wert ins Verhältnis zum westdeutschen (ohne Berlin) gesetzt wird.

Das Ergebnis ist ernüchternd: “Die Befunde zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner und zur Produktivität Ostdeutschlands sind fast ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer ambivalent: Verglichen mit der Ausgangssituation konnte die Ost-West-Lücke deutlich verringert werden. Lag das BIP je Einwohner 1991 in Ostdeutschland (ohne Berlin) erst bei einem Drittel des westdeutschen Niveaus, sind im Jahr 2013 zwei Drittel erreicht. Bei der Produktivität startete Ostdeutschland (ohne Berlin) mit 35 % und weist im Jahr 2013 immerhin 76 % des westdeutschen Niveaus auf. Unter Einbeziehung Berlins liegen die Werte im Jahr 2013 noch etwas höher: bei 71 % bzw. 79 %. Allerdings hat sich zwischen 2008 und 2013 nur noch ein sehr geringer Fortschritt vollzogen.”Tatsächlich gibt es gar keine “Aufholjagd” mehr. Die ostdeutschen Länder trippeln in erstaunlicher Gemeinsamkeit der westdeutschen Entwicklung hinterher.

“Das relative BIP je Einwohner verbesserte sich in Ostdeutschland (ohne Berlin) im genannten Zeitraum um 1,1 Prozentpunkte, bei der Produktivität um 1,6 Prozentpunkte”, stellt das IWH fest. “Die Unterschiede zwischen den ostdeutschen Flächenländern sind übrigens relativ gering: So weist beim BIP je Einwohner das Land Mecklenburg-Vorpommern mit 22,8 Tausend Euro den geringsten und Sachsen mit 24,2 Tausend Euro den höchsten Wert auf. In Westdeutschland fallen die Unterschiede zwischen den Flächenländern deutlich größer aus. Das geringste BIP je Einwohner weist mit 27,7 Tausend Euro das im Norden gelegene Schleswig-Holstein auf, die höchsten Werte die in der Mitte beziehungsweise im Süden gelegenen Länder Hessen und Bayern (38,5 Tausend Euro beziehungsweise 38,4 Tausend Euro). Bei der Produktivität zeigt sich ebenfalls eine geringere Spannweite in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland. Anders als im Westen ist aber kein deutliches Süd-Nord-Gefälle sichtbar, denn vorn liegen bei der Produktivität die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt.”

Aber auch nur marginal. Warum das so ist, zeigt natürlich auch ein Blick auf jene Bundesländer, die das IWH hier weggelassen hat, die tatsächlichen Spitzenreiter: Hamburg und Bremen. Sie führen in der BIP-Liste je Einwohner mit 53.611 und 43.084 auch deutlich vor den Südländern. Natürlich liegt es an ihrer Rolle als Stadtstaaten – Städte besitzen in der Regel die produktiveren Wirtschaftszweige, während ländliche Räume oft von Landwirtschaft dominiert werden. Die ist zwar nicht wirklich unproduktiver. Doch das BIP misst ja nur scheinbar die Produktivität – tatsächlich misst es die erzielbaren Umsätze einer Region pro Einwohner. Oder pro Beschäftigten. Und aus Umsätzen wieder resultieren Einkommen.

Wenn man die Bundeszahlen so sieht, bekommt man den Eindruck, dass es im Osten kein einziges wirtschaftliches Zentrum gibt, das sich in den vergangenen 20 Jahren profilieren und eine eigenständige Entwicklung entfalten konnte. Auch Sachsen nicht. Im Gegenteil. Wenn man das BIP je Beschäftigten vergleicht, liegen im Osten andere Bundesländer an der Spitze – angefangen von Berlin mit 61.069 Euro je Beschäftigten, gefolgt von Brandenburg mit 55.229 Euro und Sachsen-Anhalt mit 53.063 Euro. Sachsen folgt dann erst mit 50.246 Euro, ein Wert, der eine Menge damit zu tun hat, wie sehr die sächsische Wirtschaft tatsächlich von Dienstleistung geprägt wird.

Und so sieht es auch Dr. Gerhard Heimpold: “Generell scheinen nicht die Himmelsrichtungen, sondern eher die Wirtschaftsstrukturen ökonomische Entwicklungsunterschiede erklären zu können.”

Womit man wieder bei den Solidarpakten wäre. Denn wenn die ostdeutschen Bundesländer nicht die Wirtschaftsstrukturen haben, die sie brauchen, um sich zu finanzieren, braucht es diesen innerdeutschen Ausgleich.

Die andere Frage betrifft natürlich speziell Sachsen, das von seiner Staatsregierung gern als Primus im Osten angepriesen wurde. Wie sehr sorgt das seit 2011 verordnete Sparprogramm eigentlich dafür, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen ausgebremst wird? – Die Staatsregierung verkauft es gern als “solide Haushaltsführung”. Doch das in Fonds gespeicherte Geldvolumen von derzeit über 7 Milliarden Euro fehlt als wirtschaftliche Schwungmasse und Investition in die Zukunft. Sachsen ruht sich darauf aus, im Osten irgendwie vorn mit dabei zu sein – nimmt aber die Lokomotivfunktion für den Wirtschaftsraum Mitteldeutschland einfach nicht wahr.

Die Zahlen des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen: www.vgrdl.de/

Die Folie des IWH zur BIP-Entwicklung in Ostdeutschland als PDF zum Download.

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