Das Problem aller derzeit von den maßgeblichen Wirtschaftsinstituten verwendeten Modelle ist, dass sie Wirtschaft als geschlossenen Modellversuch betrachten, in dem es einen "Markt" gibt, Produzenten, Konsumenten und einen Störfaktor namens Staat. Der ganze Rest der menschlichen Gesellschaft existiert einfach nicht. Oder wird als Parasit betrachtet. Deswegen laufen all diese Modelle ins Leere. Und produzieren heillose Fehlerklärungen.
Das leise Unbehagen darüber, dass das definierte Bruttoinlandsprodukt nur einen Teil der wirtschaftlichen Realität abbildet – und das auch noch verfälschend – das ist zumindest da. Nicht ohne Grund tagte ja in der vergangenen Bundestagslegislatur eine Enquete-Kommission zu Wachstum und Wohlstand, die aber am Ende schon wieder in Kompromissformulierungen verfiel. Der Bericht wurde der selig lächelnden Bundeskanzlerin überreicht. Und der Projektstart der neuen schwarz-roten Bundesregierung zeigt: Die Kanzlerin hat den Bericht garantiert nicht gelesen. Die Anregungen werden in dieser Legislatur nicht Teil des politischen Programms. Und in der nächsten wohl auch nicht. Dazu ist die CDU längst zu sehr eine Partei der Besitzstandswahrung geworden. Und die SPD nicht mutig genug.
Nicht eine saftige Diätenerhöhung hätte die erste Tat des neuen Bundestages sein müssen, sondern eine Reparatur der Kommunalfinanzen. Denn es waren die Kommunen, die in den letzten 20 Jahren bezahlt haben für die diversen Sanierungsprogramme, mit denen Deutschland wieder fit gemacht wurde für den wirtschaftlichen Wettbewerb. Sie haben die Hauptlast der sozialen Kosten aufgehalst bekommen. In einer Stadt wie Leipzig haben diese steigenden sozialen Finanzlasten nun seit 10 Jahren die Gelder aufgezehrt, die eigentlich längst in das Investitionsprogramm der Stadt hätten fließen müssen.
Wenn Städte funktionieren, entwickeln sie sich quasi “von allein” zu attraktiven Wirtschaftsstandorten. Nicht nur weil Menschen kreativ und unternehmerisch sind – und das sind in Leipzig eine Menge Menschen. Sondern auch, weil funktionierende Infrastrukturen auch Unternehmen dazu animieren, einfach anzudocken.
Auch das ist so eine falsche Vorstellung aus den 1990er Jahren: Man könne Unternehmensansiedlungen quasi mit breiten neu gebauten Autobahnen überall hinbringen, wo auch nur ein Dorfschulze nach Ansiedlung ruft. Diese falschen Vorstellungen sind ja heute noch Politik in Sachsen. Zum Schaden des ganzen Landes. Nicht nur werden Milliarden für den Ausbau eines eh schon überdimensionierten Straßennetzes ausgegeben, die für wichtigere Investitionsprogramme fehlen – die Kommunen haben sich über Jahre in einem teuren und ressourcenverschlingenden Unter- und Überbietungswettbewerb verzettelt, der nur wenige Sieger kennt – aber viele enttäuschte Verlierer. Verlierer, die jetzt nur noch tatenlos zuschauen können, wie die jungen Leute aus dem Dorf einfach wegziehen, Jahrgang für Jahrgang.
Sie nehmen nicht nur ihre Jugend und ihre Arbeitskraft mit. Sie nehmen auch ihre Ideen mit, die sie in Städten wie Leipzig umsetzen können. Und das tun sie auch, selbst wenn die Leipziger Wirtschaftspolitik bis heute nicht begriffen hat, was sie mit dem diffusen Cluster Medien- und Kreativwirtschaft eigentlich anfangen soll. Ein Cluster, das echte Gründer- und Risiko-Kredite bitter nötig hätte, gerade das, was es in Leipzig und Sachsen partout nicht gibt, weil auch die freistaatlichen Fördersysteme nur auf Quantität ausgerichtet sind. Wer nicht gleich 1.000 Arbeitsplätze aus dem Boden stampft, braucht bei der Aufbaubank gar nicht erst anzurufen.
Da interessiert auch nicht, wenn der so freigiebig Bezuschusste beim ersten Konflikt mit den Gewerkschaften schon mal die Grundstücke im Nachbarland Tschechien sichert, um die komplette Produktion über Nacht zu verlagern. Und genau das hat Steuervermeidungs-Künstler Amazon 2013 getan. Die “Frankfurter Rundschau” berichtete darüber erst am 20. Februar. Auch in Tschechien warten wieder üppig gefüllte Fördertöpfe auf den Alles-Versender aus den USA, der auch die Tschechen wieder ködert mit dem Versprechen der “Schaffung” vieler, vieler Arbeitsplätze. Ein Versprechen, das bei Lokalpolitikern zumeist glühende Augen verursacht.
Das Ergebnis ist: Sie merken nicht einmal, dass sie die eigene Wirtschaft damit nicht nur negieren und düpieren – sie graben ihr auch die Wasser ab. Fördergelder landen nicht – wie eigentlich von der EU-Förderung so gedacht – im Aufbau einer tragfähigen lokalen Wirtschaft, sondern befeuern den Dumping-Wettstreit der Regionen um die flexiblen, weil, nirgendwo wirklich heimischen Global Player.
Die Zahlen zur Leipziger Wirtschaft stehen auch im neuen Quartalsbericht. Peter Dütthorn hat das Unternehmensregister ausgewertet. Klare Aussage: Von 22.558 Unternehmen in Leipzig sind 20.644 kleine und Kleinstunternehmen mit einer Beschäftigtenzahl bis maximal 9. Rechnerisch: 91,5 Prozent. Weitere 1.527 Unternehmen beschäftigen zwischen 10 und 49 Angestellte. Zum Leipziger “Mittelstand” gehören dann eher die 311 Unternehmen, die 50 bis 249 Angestellte haben. Relativ stabil ist dann die kleine Gruppe der Unternehmen, die 250 und mehr Leute beschäftigen – 76 waren waren es im Jahr 2013, vier weniger als im Vorjahr.
Die Größenklassen korrespondieren natürlich mit den Branchen, die in Leipzig besonders stark vertreten sind, allen voran die freiberuflichen und technischen Dienstleistungen mit 4.006 registrierten Unternehmen, der Handel mit 3.618 und das Baugewerbe mit 2.654 Firmen. Die größte Gruppe sind eigentlich die Dienstleister, auch wenn sie sich in der Unternehmensstatistik zersplittern: Gesundheits- und Sozialwesen (1.759), Grundstücks- und Wohnungswesen (1.496), Information und Kommunikation (1.012) usw. – insgesamt sind es – mit den Freiberuflern und technischen Dienstleistern – tatsächlich 13.324 registrierte Unternehmen oder 59 Prozent aller Unternehmen, die der Dienstleistung zuzuordnen sind, die aber so gut wie keine Unterstützung durch die Wirtschaftspolitik in Land und Stadt erfahren. Da fährt man lieber groß angelegte Anwerbeprogramme in den USA, als auch nur einen Tropfen Gehirnschmalz darauf zu verwenden, wie man das eigene Kreativpotenzial stärken und verankern kann.
Es sind übrigens auch diese Dienstleister, die in Leipzig die meisten der 6.041 neu entstandenen Arbeitsplätze geschaffen haben. Und Peter Dütthorn kann auch aufmalen, wo diese Arbeitsplätze entstanden. Denn die amtlichen Melderegister lassen zumindest zu, dass man die Differenz zwischen gemeldeten Wohn- und Arbeitsorten bilden kann. Da fällt dann zwar auch Seehausen ins Blickfeld, das einen positiven Pendlersaldo von über 1.500 hat, weil hier BMW seine Autos produziert. Aber einen derart hohen Pendlersaldo haben auch die Ortsteile rund ums Zentrum, wo viele Unternehmen ihre Büros haben, aber auch Schönefeld-Ost mit dem dortigen Gewerbegebiet, Heiterblick mit den Unternehmensansiedlungen entlang der Torgauer Straße, Neulindenau oder auch Probstheida mit seinem wachsenden Klinikstandort. Ortsteile wie Gohlis, Schleußig oder Südvorstadt sind hingegen eher Wohnquartiere mit einem Pendlerminus von über 1.500.
Neues aus dem Quartalsbericht (1): Leipzig hat auch 2013 kräftig zugelegt
Für Dresden steht da eine 529.733 …
Goerdeler-Preis 2014: Wie das Standortdenken in deutschen Kommunen gelebt wird
Es ist ein Preis, der für Furore sorgt …
Buchhändler Amazon: Gewerkschaft und Antiprivatisierungs-Initiative kritisieren Steuerminimierungsmodell des Online-Verkäufers
Dass die Milliarden-Gewinne …
Bundesregierung bestätigt: Amazon-Ansiedlung in Leipzig wurde wohl mit 14 Millionen Euro bezuschusst
Wie die “Süddeutsche” berichtet …
Da darf man natürlich fragen: Was ist der eigentliche Motor der Leipziger Entwicklung? Sind es die Leuchttürme, von denen die Stadtpolitiker gern schwärmen, oder sind es all die so gern düpierten vielen kleinen Akteure?
Es gibt auch einen Bericht zur “Bewertung der wirtschaftlichen Situation in der Stadt Leipzig”, der die Zuversicht hinter der ganzen Entwicklung sichtbar macht. In den Bürgerumfragen der Stadt seit 1991 wurde das ja immer wieder abgefragt. Und unübersehbar folgte der weit verbreiteten Furcht, Leipzig käme nicht wieder auf die Füße, die 1991 noch herrschte, eine zunehmende Zuversicht, die sich ja zu Lehmann-Grubes Zeiten in jenem seligen Spruch “Leipzig kommt” austobte und so Manchem das Gefühl gab, Leipzig würde demnächst Frankfurt am Main ein- und überholen. Was ja nicht geschehen ist, auch weil die Stadtpolitik damals genauso versessen darauf war, die Global Player zu locken und zu löcken.
Über lange Jahre waren die Werte zur Einschätzung der wirtschaftlichen Situation recht stabil. 2012 gab es den Effekt, dass der Anteil der Skeptiker noch einmal drastisch zurückging. Lag es an einem unverhofften wirtschaftlichen Aufschwung, wie ihn OBM Burkhard Jung (SPD) gern beschwört? Oder liegt es einfach daran, dass seit 2010 eine relative Stabilität am Arbeitsmarkt herrscht? Seitdem wirken die reduzierten Geburtenjahrgänge aus den frühen 1990er Jahren entspannend auf den Arbeitsmarkt. Junge Leute landen seltener in Warteschleifen. Wer was auf dem Kasten hat, bekommt ziemlich garantiert einen Job, wenn auch nicht besonders toll bezahlt. Die Einkommen sind ja seit Jahren nicht wirklich gestiegen.
Aber allgemein schätzen dann die in der Bürgerumfrage Befragten seit 2010 ansteigend ein: Leipzigs wirtschaftliche Situation bessert sich.
Faktisch stimmt es auch, auch wenn diese Zahl im Bericht nicht vorkommt: Das Bruttoinlandsprodukt stieg von 2007 bis 2011 von 26.000 Euro pro Einwohner auf 27.965. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Aber wie gesagt: Es ist nur das BIP. Die Zahl sagt nichts über die Höhe der Löhne, die in Leipzig so stark gespreizt sind, dass die Angaben zu Industriearbeiter-Gehältern im Statistischen Jahrbuch eigentlich Augenwischerei sind. Nur noch ein geringer Teil der Leipziger Beschäftigten ist tariflich gebunden.
Leipzig ist – so betrachtet – eine höchst flexible Stadt. Was einigen Wirtschaftsexperten ein Lob wert ist. Aber die Bürgerumfrage 2013 zeigt auch: Sie bereitet gerade den Berufstätigen heftige Sorgen. Denn mit den mickrigen Gehältern, die in einigen Branchen gezahlt werde, kann man oft gerade so eine Familie ernähren, Ansparen für die Rente ist kaum drin, die steigenden Kosten fressen die geringen Lohnzuwächse auf. Und für große Wohnungen reicht es eigentlich nicht.
Womit wir wieder bei de Wohnsituation in Leipzig wären, die natürlich in höchstem Grade wirtschaftlich beeinflusst ist.
Mehr dazu morgen an dieser Stelle.
Die Frankfurter Rundschau über die Amazon-Pläne in Tschechien:
www.fr-online.de/wirtschaft/widerstand-gegen-logistik-zentren-in-tschechien-amazon—go-home-,1472780,26255938.html
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