Am 23. Januar verteilte Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) mal wieder Eierschecke. Symbolisch. Eine neue Zahl aus dem Landesamt für Statistik hatte ihn bezaubert: Mit 1,987 Millionen im Jahr 2013 hat die Zahl der Erwerbstätigen im Freistaat Sachsen den höchsten Stand seit 1999 erreicht, hatte das Statistische Landesamt mitgeteilt. Und das Wirtschaftsministerium jubelte: "Sie beweisen auch, dass Sachsen als einziges der fünf neuen Bundesländer einen Zuwachs an Erwerbstätigen verzeichnet."

“Dieser Höchstwert ist eine äußerst erfreuliche Nachricht. Er bestätigt die kontinuierliche und gute Entwicklung am sächsischen Arbeitsmarkt”, meinte Sachsens Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Sven Morlok (FDP), erklären zu dürfen. Womit dann die Entwicklung natürlich Verdienst der einzigartigen Beschäftigungspolitik im Freistaat wäre. “Die Konzentration unserer Arbeitsmarktpolitik auf den ersten Arbeitsmarkt hat sich gelohnt. Wir ernten jetzt die Früchte unserer soliden und nachhaltigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Die Aussichten auf einen Arbeitsplatz im Freistaat sind günstig – und ich rechne damit, dass dies in diesem Jahr so bleibt. Wir werden daher auch künftig überregional um Fachkräfte für Sachsen werben.”

Würde man nur irgendwo fündig werden, wo der Freistaat für die Vermehrung der Arbeitsplätze “auf dem ersten Arbeitsmarkt” tätig ist und tatsächlich so etwas Ähnliches wie “Arbeitsmarktpolitik” betreibt. Aber man wird nicht fündig. Und auch die neue Erwerbstätigenzahl hat nicht viel mit sächsischer Förder- oder Ansiedelungspolitik zu tun.

Durchschnittlich 1,987 Millionen Erwerbstätige hatten im Jahr 2013 ihren Arbeitsplatz im Freistaat Sachsen und damit 0,5 Prozent bzw. knapp 10.000 Personen mehr als im Jahr 2012, so die Landesstatistiker. Das ist zwar mit 0,5 Prozent das einzige Wachstum in den – naja – fünf neuen Ländern.

Aber schon im Bundesvergleich sieht der Wert eher mickrig aus.

“Insgesamt stieg die Erwerbstätigenzahl in Deutschland 2013 um 0,6 Prozent. Während in den neuen Ländern (ohne Berlin) die Zahl der Arbeitsplätze im Vergleich zu 2012 um 0,3 Prozent zurückging, stieg in den alten Ländern (ohne Berlin) die Erwerbstätigenzahl um 0,6 Prozent”, so die Landesstatistiker.

Wobei im Jahr 24 nach der deutschen Einheit dieses unbegründete Herausrechnen Berlins nicht mehr zu verstehen ist. Auch Berlin wurde damals in der Vereinigung mitgenommen und ist heute – da kann jeder in seinem Atlas oder bei Google Maps gucken – ein Bundesland im Osten.

Durch die falsche Zuweisung zu den westlichen Bundesländern gerät den Statistikern ein wichtiger Fakt völlig aus dem Blick: Berlin ist nun schon seit zwei, drei Jahren der eigentliche Wachstumsmotor im Osten. Hier steppt der Bär. Und mit 1,9 Prozent verzeichnete Berlin 2013 den höchsten Beschäftigtenzuwachs aller Bundesländer. Sachsen ist somit im Osten bestenfalls die Nummer 2. Eigentlich ist es auch das nicht. Aber dazu kommen wir gleich.

“In Sachsen war die Entwicklung wie bereits in den Vorjahren geprägt vom Anstieg der Zahl der Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte und einer weiteren Verringerung der Anzahl der marginal Beschäftigten”, versuchen die sächsischen Landesstatistiker die Zahlen zu interpretieren. “Nach Branchen zeigt die aktuelle Entwicklung, dass insbesondere die Erwerbstätigkeit in den Dienstleistungsbereichen gegenüber dem Jahr 2012 Gewinne aufweisen konnte. Hier verzeichnete der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit einen Zuwachs an Erwerbstätigen um knapp 4.100 Personen gefolgt vom Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation um fast 3.100 Personen sowie dem Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Unternehmensdienstleister um reichlich 1.500 Personen.”

Sieht also so aus, dass der Bereich “Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit” in Sachsen aktuell die Job-Lokomotive ist. Setzt der Freistaat also mit seiner Unterstützung für Dienstleister und Logistiker aufs richtige Pferd?

Der Blick ins Detail zeigt: nein, tut er nicht. Denn da, wo wirklich der Freistaat gefragt ist, tut er nichts. In den Sparten “Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung” und “Erziehung und Unterricht” erfolgt seit Jahren ein massiver Arbeitsplatzabbau. In beiden Bereichen sind seit 2008 jeweils fast 15.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Zusammen also rund 30.000.

Dass der Dienstleistungssektor trotzdem um rund 25.000 Arbeitsplätze wuchs, hat zum Beispiel mit der Sparte “Unternehmensdienstleistungen” zu tun. Da stecken die Zeitarbeitsfirmen mit drin, die in Sachsen einen regelrechten Boom erlebten, was die Zahl der hier gezählten Jobs seit 2008 um rund 24.000 steigen ließ. Und eine Sparte wuchs, weil sie schlicht nachgefragt ist, weil die Sachsen immer älter werden: die Sparte der Pflegeberufe, zu verorten im Bereich “Gesundheits- und Sozialwesen”, wo es seit 2008 einen Zuwachs von rund 25.000 neuen Arbeitsplätzen gab.Das ist eigentlich das große Thema Demografische Veränderung. Auch wenn der Freistaat dafür keine Programme hat, wächst der Bedarf – und die wachsende Zahl von Pflegediensten und Wohneinrichtungen reagiert darauf.

Dabei denkt man ja bei Wirtschaft meist eher an Industrie und Bauwirtschaft. Aber da ist der Zuwachs nicht annähernd so groß. “Trotz Arbeitsplatzverlusten im Baugewerbe konnte das Produzierende Gewerbe insgesamt einen Anstieg der Erwerbstätigenzahl von rund 1.800 Personen verzeichnen”, melden die Landesstatistiker. Doch: “Einen Rückgang um fast 1.000 Erwerbstätige gab es dagegen in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei.”

Wobei die Entwicklung im Baugewerbe auch eher nichts mit Abbau zu tun hat. Es ist eher eine Normalisierung, nachdem das berühmte Konjunkturpaket II die Erwerbstätigenzahl im Bau ab 2008 um rund 3.000 ansteigen ließ.

Und wo steht Sachsen nun wirklich bei der Erwerbstätigenzahl? Denn ein Zuwachs von 0,5 Prozent sagt ja noch gar nichts, wenn man das Ausgangslevel nicht kennt. Das Ausgangslevel aber waren im Jahr 2012 von allen Personen ab 15 Jahren, auf die die Erwerbslosenquote berechnet wird, 57,8 Prozent. Heißt: 57,8 Prozent der Sachsen ab 15 Jahren waren erwerbstätig. Der Bundesdurchschnitt lag bei 59,5 Prozent. Und auch im Osten lag der Schnitt mit 59,2 Prozent höher. Tatsächlich hatte Sachsen 2012 die niedrigste Beschäftigtenquote in den ostdeutschen Bundesländern. Spitzenwerte hatten hier Brandenburg mit 61 Prozent und Thüringen mit 60 Prozent.

Sachsen lag also mit dem Beschäftigungsaufbau im Osten seit Jahren ganz hinten. Mit der leichten Erhöhung 2013 kommt Sachsen nun auf 58,1 Prozent und hat damit die Rote Laterne im Osten an Sachsen-Anhalt abgegeben. Der Primus im Osten ist logischerweise Berlin, das mit 61 Prozent Beschäftigung nun Brandenburg ablöst. Im Osten. Im Westen haben mit Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg just jene Länder noch einmal zugelegt, die auch schon die Spitze der Tabelle inne hatten.

Da klingt es zumindest mutig, wenn der sächsische Wirtschaftsminister verkündet, man wolle “auch künftig überregional um Fachkräfte für Sachsen werben”. Denn wenn in Süddeutschland weiter ein Beschäftigungsaufbau stattfindet, ist das mehr als nur starke Konkurrenz für den Billigstandort Sachsen. Tatsächlich ist die bessere Strategie, den eigenen Arbeitskräftenachwuchs zu sichern. Aber gerade da – bei Schulen und Hochschulen – geht der Freistaat mit der Axt zu Werke. Da hilft dann auch keine Eierschecke mehr an der Landesgrenze.

Die Meldung zur Erwerbstätigenzahl 2013: www.statistik.sachsen.de/download/200_MI_2014/MI-14.pdf

Die Entwicklung der Beschäftigten nach Wirtschaftsbereichen: www.statistik.sachsen.de/download/060_AVP-Erwerbstaetigkeit/A_VI_6_t03_j_ET_WB_aktuell_Y_.pdf

Der Bundesvergleich der Erwerbsquoten 2012 aus dem Bundesamt für Statistik (zu finden auf Seite 106): www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetige/StandEntwicklungErwerbstaetigkeit2010411127004.pdf?__blob=publicationFile

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