Es ist so ein kleines Hoppla im jüngsten Quartalsbericht der Stadt Leipzig. Falk Abel hat in einem Beitrag die "Einkommensentwicklung in sächsischen Großstädten 2012" aufbereitet. Und er beginnt mit der Meldung, die auch den OBM gar sehr freute: Die persönlichen Einkommen und die Haushaltseinkommen sind 2012 gestiegen. Sogar in Leipzig.

Von 998 Euro sprangen die persönlichen Nettoeinkommen in Leipzig auf 1.014. Nicht gerade üppig. Aber immerhin. Die Dresdner hatten das schon 2009 geschafft, die Chemnitzer 2011. Kleine Einschränkung: Auch das ist eine von den Zahlen, die sich immer ein wenig ändern. Je nachdem, wer gerade misst und fragt. Die Heisenbergsche Unschärferelation gilt auch hier: Der Beobachter verändert das Ergebnis. Nur zum Vergleich: Die Leipziger Bürgerumfrage kam 2012 auf 1.135 Euro. Die Zahlen, die Abel verwendet, stammen aus dem sächsischen Mikrozensus. Hinter der Zahl der Stadt Leipzig stecken 1.452 einzelne Fragebogen-Datensätze, hinter der sächsischen Zahl eine Hochrechnung.

Aber auch das macht eines deutlich. Mehr Geld im Median bedeutet nicht, dass die Leute wirklich mehr verdienen. Denn das Plus von 2,9 Prozent war eher ein Witz. Das Meiste war sowieso schon von der Jahresteuerung aufgefressen – die betrug immerhin 2 Prozent. Auch das mit Vorsicht zu genießen. Denn je niedriger ein Monatseinkommen ist, umso mehr schlagen die Teuerungen beim täglichen Bedarf ins Kontor. Da ist den Kleinverdienern die Entwicklung der Flugpreise und der Beherbergungs- und Gaststättenkosten ziemlich egal – außer bei Ede in der Eckkneipe wird das Bier zu teuer. Dann wird das Leben ziemlich trist.

Nicht egal sind die Entwicklungen bei diesen ganzen Dingen, die der Mensch zum Leben wirklich braucht. Ein Blick in die Novemberzahlen des Statistischen Landesamtes: Nahrungsmittel wurden seit 2010 um 11,6 Prozent teurer, Bekleidung um 10,7 Prozent, Bildung um 19 Prozent, Wohnen um 5,2 Prozent, Verkehr um 6,9 Prozent. Aber das sind alles globale Zahlen. Wer mit dem Auto fährt, profitiert derzeit vom Fracking-Rausch in den USA, der macht den Sprit etwas billiger. Dafür zeichnet das Landesamt für Statistik für die Fahrkartenpreise im ÖPNV seit 2010 eine steil ansteigende Kurve – ein sattes Plus von 10 Prozent, weil in Sachsen am ÖPNV “gespart” wird. Das bezahlen natürlich alle, die auf Bahn und Bus angewiesen sind. Und der verantwortliche Finanzminister schaufelt das gesparte Geld in den Pensionsfonds. Mathematik kann so schön hessisch sein.

Den Affentanz ums Mehl haben auch alle mitbekommen – plus 45 Prozent, direkte Folge einer Reihe von schlechten Ernten, aber auch von Biosprit-Hype und Nahrungsmittel-Spekulation.

Wer ins Detail schaut, sieht, wie da Geld hingeblättert werden muss fürs Alltägliche: Brot und Getreideerzeugnisse legten seit 2010 um 10,4 Prozent zu, Molkereiprodukte und Eier um 16,3 Prozent, Obst um 18,5 Prozent – dafür blieb Gemüse stabil. Immerhin. Mieten blieben auch einigermaßen stabil – dafür spielten die Nebenkosten Bambule: Strom wurde um 19,6 Prozent teurer, Fernwärme um 18,9 Prozent. Wie gesagt: alles sächsische Preise. Die Leipziger stehen mit dem Dilemma nicht allein da, haben aber etwas im ermittelten Median weniger Geld in der Tasche als die anderen. Was bedeutet: Die Hälfte der Leipziger hatte mehr als 1.014 Euro netto im Monat, die andere Hälfte weniger. Und schon 1.014 Euro sind nicht viel.

Was Falk Abel dann auch zeigt, wenn er die Inflation auf die Einkommensentwicklung berechnet. Das Ergebnis ist belämmert: Tatsächlich haben die Sachsen seit 2006 stagnierende reale Haushaltseinkommen. Was im Klartext heißt: Alle Einkommenssteigerungen wurden von der Inflation aufgefressen. Was zumindest tröstlich ist, denn in den Vorjahren – Abel malt die Kurven ab 2000 – hatten die Sachsen im Niedriglohnland jedes Jahr heftige Verluste an realen Einkommen zu verzeichnen. Auch die Leipziger. 2000 hatte ein Leipziger Haushalt rechnerisch noch fast 1.600 Euro zur Verfügung (nach heutigen Maßstäben), 2012 waren es noch knapp 1.360. Für den kleinen Mann ist das Phänomen mit der Floskel zu fassen: Das Geld ist weniger wert als vor 12 Jahren. Man bekommt für den Euro immer weniger.Die Jubeltöne über die gemessenen Einkommensanstiege 2012, 2013 wurden ja weidlich auch medial ausgeschlachtet. Doch was dabei meist vergessen wird: Von den tariflichen Zugewinnen profitiert nur ein kleiner Teil der Leipziger. Das hat dann einen ganz wundersamen Effekt: Der Einkommens-Median der Leipziger steigt – und die Armutsquote auch. Und 2012 ist – so deutlich ist es bei Abel zu lesen – die Armutsquote in Leipzig wieder gestiegen.

Und zwar nicht nur im städtischen Vergleich, wo sie von 16,0 auf 16,4 Prozent anstieg. Was im Klartext heißt: 16,4 Prozent der Leipziger hatten weniger als 60 Prozent des Leipziger Einkommens-Medians zur Verfügung im Monat. Und da dieser Median bei 1.014 Euro lag, kann sich jeder selbst ausrechnen, was das heißt: 608 Euro und 40 Cent. Da fliegen dann wahrscheinlich auch Obst, Kaffee und Fleisch aus dem Einkaufswagen.

Man kann diese Armutsquote auch auf sächsische Verhältnisse rechnen. Da der sächsische Median bei 1.049 Euro lag, steigt also statistisch die Armutsquote der Leipziger im Landesvergleich. 2011 lag sie bei 17,4 Prozent, für 2012 rechnet Abel einen Wert von 18,2 Prozent aus.

Aber auch das ist nur eine halbe Wahrheit, denn außer den Mieten gibt es ja eigentlich nichts mehr, was in Sachsen billiger ist als in den anderen Bundesländern. Also muss man, wenn man ehrlich ist, die Leipziger Einkommen am Bundes-Median messen. Damit steigt die eigentlich maßgebende Armutsquote auf das Maß, mit dem auch die Stadt Leipzig bundesweit vergleichbar wird. 2011 stand hier eine 25 Prozent. Jeder vierte Leipziger gilt nach den Bundesmaßstäben (die für Armut keine Extra-Ostquote kennen) als arm. Oder in der etwas vorsichtigeren Formulierung der Statistiker: als armutsgefährdet.

Was auch bedeutet, dass in den 25 Prozent eben auch viele junge Leute in Ausbildung und Studium stecken, die schon von Natur aus weniger Geld zur Verfügung haben, sich aber niemals als arm definieren würden. 2012 stieg die am Bundesmedian gemessene Armutsquote in Leipzig auf 25,9 Prozent.

Natürlich ist das kein Grund, an dieser Stelle die Pferde scheu zu machen. Denn die Armutsgefährdungsquote ist nicht nur in Leipzig ein Maßstab für die immer größere Spreizung der Einkommen und das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Es sind nicht ganz zufällig reiche Städte aus dem Westen der Bundesrepublik, die noch eine höhere Armutsgefährdungsquote als Leipzig mit seinen 16,4 Prozent haben. Falk Abel nennt die drei Spitzenreiter: Stuttgart (19,3 %), Düsseldorf (19,8 %) und Frankfurt am Main (20,2 Prozent).

Was natürlich nichts daran ändert, dass man mit 608 Euro im Monat nicht wirklich weit kommt. Und schon gar nicht ins Leipziger Gewandhaus, das die üppigen Zuwächse beim musizierenden Personal jetzt gern auf die Ticketpreise umlegen möchte.

Trotzdem schafft Leipzig jedes Jahr immer neue Arbeitsplätze und ist in einem zunehmend von Infrastrukturen entblößten Land wie ein Leuchtturm. Einen schönen Beitrag zur innersächsischen Wanderbewegung gibt es auch noch im Quartalsbericht. Darüber morgen mehr an dieser Stelle.

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