Was passiert eigentlich, wenn Politiker ihr Misstrauen gegenüber dem gemeinen Volke in Gesetze gießen? - Es entstehen bürokratische Monster. Auch - oder gerade dann, wenn dieselben Politiker vollmundig von "Verwaltungsvereinfachung" und "Entbürokratisierung" reden. Sie meinen es nicht wirklich so. Oder sie wissen nicht, was sie anrichten, wenn sie so einen Unfug sagen wie "Fördern und fordern".

Aus dem ja bekanntlich mittlerweile ein “Verwalten und fordern” geworden ist. Die eigentlichen Fördersummen sinken. Die Verwaltungsausgaben steigen. Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat jetzt die ausgegebenen Gelder für “Eingliederungsmaßnahmen” in deutschen Jobcentern in den ersten neun Monaten des Jahres 2013 mit denen des Vorjahrs verglichen.

“Die bisherigen Abrechnungsergebnisse im Haushaltsjahr 2013 zeigen: die Gesamtausgaben für ‘Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II’ werden auch 2013 deutlich unter dem für diesen Zweck zugewiesenen (weiter gekürzten) Mittelvolumen liegen. Ein nicht unerheblicher Teil dieser nicht ausgegebenen Eingliederungsmittel wird von den Jobcentern für den vom Bund zu tragenden Anteil an den ‘Verwaltungskosten’ ausgegeben”, stellt Schröder fest.

Und führt die Sache mit diesem Umschichten der Mittel noch etwas genauer aus: “Die oft wenig transparente Umschichtung von Mitteln für ‘Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II’ in die ‘Verwaltungskostenbudgets’ (und, wenn überhaupt, nur noch sehr selten umgekehrt) ist gesetzlich zulässig (§ 46 Abs. 1 SGB II) und wird in 2013 in noch größerem Ausmaß stattfinden als in den Vorjahren.”

Oder noch deutlicher gesagt, was da mit einem gigantischen Kontroll- und Verwaltungsapparat tatsächlich getan wird: Für die “Verwaltungskosten” der Jobcenter wird auch in diesem Jahr mehr ausgegeben als den Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit zugewiesen wurden. Die “Verwaltungskosten” sind auch längst schon höher als die Mittel für die “Eingliederung”. Schröder: “Ob die umgeschichteten und gesperrten Bundesmittel in Höhe von insgesamt 349 Millionen Euro (!) tatsächlich für die Finanzierung des Bundesanteils an den ‘Verwaltungskosten’ zusätzlich zu den insgesamt 3,015 Milliarden Euro (einschließlich üKo) benötigt werden, die den Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit für den Bundesanteil an den Verwaltungskosten zugewiesen wurden, kann auf Basis der vorliegenden (veröffentlichten) Daten nicht beurteilt werden.”

Aber die Gesamtverwaltungskosten der 304 Jobcenter (gE) würden bei voller Inanspruchnahme der Bundesmittel in Höhe von 3,364 Milliarden Euro (84,8 Prozent der Gesamtverwaltungskosten) zusammen mit dem kommunalen Finanzierungsanteil (15,2 Prozent) rechnerisch insgesamt 3,967 Milliarden Euro betragen. Der Behördenapparat verschlingt mehr Geld, als den Betroffenen dann zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zugestanden wird. Und auch der Teil wird ja nicht komplett ausgegeben. Ein großer Teil dieser Gelder fließt wieder an den Bund zurück.Und wie wird das “Eingliederungsbudget” tatsächlich genutzt? – Paul M. Schröder: “Von den zugewiesenen 2,522 Milliarden Euro für ‘Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II’ (hier einschließlich ‘Fluthilfemittel’) waren etwa 128 Millionen Euro in die Verwaltungskostenbudgets umgeschichtet (Saldo der Umschichtungen zwischen den Eingliederungs- und Verwaltungskostenbudgets). Danach verblieben in den Eingliederungsbudgets 2,394 Milliarden Euro. Von diesem nach Umschichtungen verbleibenden ‘zugeteilten Soll’ waren 221 Millionen Euro gesperrt. Das verbleibende sogenannte ‘verfügbare Soll’ für ‘Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II’ betrug nach Mittelumschichtungen und Mittelsperrungen nur noch insgesamt 2,173 Milliarden Euro. Gemessen an diesem ‘verfügbaren Soll’ waren in den ersten neun Monaten des laufenden Haushaltsjahres (2013) rechnerisch 72,8 Prozent ‘ausgeschöpft’ (ausgegeben).”

Fast 4 Milliarden Euro “Verwaltungskosten” stehen also nur etwas mehr als 2 Milliarden Euro an “Eingliederungsmitteln” zur Verfügung. Deren Verwendung aber ist mit strengen Auflagen versehen. Viele bisher geförderte Maßnahmen sind gestrichen worden. Was im Effekt heißt: Die Jobcenter versuchen nun die ihnen anvertrauten Kunden in das verbliebene Förderungsraster hineinzuquetschen. Und gleichzeitig versuchen sie, irgendwie doch so viele Mittel “abzuschöpfen”, also eben doch für die lokale Eingliederung zum Einsatz zu bringen, wie irgend möglich. Würden sie dabei mehr Entscheidungsfreiheiten haben (und nicht diese von tiefstem Misstrauen geprägten Vorgaben der Gesetzgeber), kämen sie wohl auch wesentlich näher an eine Ausschöpfungsquote von 100 Prozent.

Aber selbst in Sachsen, wo ja nach wie vor eine hohe Arbeitslosigkeit einem zunehmend bedürftigeren Arbeitsmarkt gegenüber steht, wurden in den ersten neun Monaten 2012 von “verfügbaren” 191,2 Millionen Euro nur 110,8 Millionen Euro für “Eingliederungen” ausgegeben, was 57,8 Prozent entsprach und eine der höchsten Ausschöpfungsquoten in der Bundesrepublik war. 2013 ist es den Jobcenter-Mitarbeitern bislang gelungen, sogar 115,2 Millionen Euro für “Eingliederungen” einzusetzen – von nur noch 165,9 zur Verfügung gestellten Millionen. Das erhöhte die “Ausschöpfungsquote” signifikant auf den bundesweiten Spitzenwert von 69,4 Prozent.

Aber da die Jobcenter mit dem vorgegebenen Regelwerk auch 2013 nicht schaffen werden, die gesamte Summe auszuschöpfen, wird der spendable Gesetzgeber weiter kürzen. Man fördert nicht nach Erfolg, sondern verhindert Erfolg geradezu schon durch die Vorgaben. Die meisten verfügbaren “Instrumente” schaffen nur geringe Eingliederungseffekte, scheitern oft schlicht daran, dass sie einen idealen Arbeitsmarkt voraussetzen, den es so nirgendwo gibt.

In Sachsen wurden und werden die meisten Mittel zur Förderung von beruflichen Weiterbildungen (in den ersten 9 Monaten 2013: 32,5 Millionen Euro), als Eingliederungszuschuss (15,1 Millionen), für AGHs (16,6 Millionen) oder 1-Euro-Jobs (16,1 Millionen) ausgegeben.

Die genaue Aufgliederung findet man hier (die sächsischen Zahlen ab Seite 18): www.biaj.de/images/stories/2013-10-12_sgb2-amp-ohne-zkt-01-09-2013.pdf

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