Selbst der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-J. Weise, wählte seine Worte ganz vorsichtig, als er am Mittwoch, 30. Oktober, in Nürnberg die neuen Arbeitsmarktzahlen vorstellte: "Im Zuge der Herbstbelebung ist die Zahl der arbeitslosen Menschen im Oktober weiter gesunken. Allerdings fiel der Rückgang moderat aus." Hinter dem "moderat" steckt ein ganz dickes Achtungszeichen.

Vielleicht auch ein Fragezeichen. Das betrifft auch Leipzig. Denn hier wurde ebenso der Effekt sichtbar, auch wenn es noch nicht, wie im Bund, ein leichter Anstieg war, wenn man den Saisoneffekt herausrechnet. Denn für gewöhnlich erlebt der Arbeitsmarkt zum Jahresende noch einmal einen deftigen Aufschwung – das Weihnachtsgeschäft braucht Arbeitskräfte und in den Kommunen werden die letzten Bauaufträge unter Hochdruck abgearbeitet. Die Bundesagentur aber gibt sich sehr bedenklich: “Die Herbstbelebung fiel dieses Jahr insgesamt schwächer aus als in den Vorjahren. Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vormonat geringfügig um 2.000 angestiegen. Gegenüber dem Vorjahr waren 48.000 Menschen mehr arbeitslos gemeldet.”

Gleichzeitig meldete die Bundesagentur einen neuen Beschäftigungsrekord: “Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Erwerbstätigen im September gegenüber dem Vorjahr um 250.000 auf 42,16 Millionen gestiegen. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat nach der Hochrechnung der BA im August gegenüber dem Vorjahr um 353.000 auf 29,51 Millionen Personen zugenommen. Dabei hat die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung um 171.000 und die Teilzeitbeschäftigung um 182.000 zugenommen. Fast alle Bundesländer verzeichneten einen Beschäftigungsanstieg. Einen Rückgang gab es nur im Saarland.”

Passt das zusammen? Ein Saisondämpfer und ein neuer Beschäftigungsrekord? – Wahrscheinlich sogar sehr gut. Auch in Leipzig. Und es wirft einen harten Schlagschatten auf das, was in Deutschland so als Arbeitslosenzahl verkündet wird. Die Struktur des Arbeitsmarktes hat sich in den vergangenen 20 Jahren drastisch verändert. Nach klassischer Betrachtung wären einige Bundesländer längst an der Grenze zur Vollbeschäftigung, die nicht bei 0 Prozent liegt, sondern etwa bei 5 Prozent. Viele der dann noch als erwerbslos Registrierten stehen dem Arbeitsmarkt aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht zur Verfügung oder gelten aus anderen Gründen als schlecht bis gar nicht vermittelbar. Zu Letzterem gehören fehlende Fachqualifikationen, jahrelange Absenz vom ersten Arbeitsmarkt, aber auch eine bis heute ungelöste Problematik wie das Dasein als Alleinerziehende.

Was im Klartext auch heißt: Leipzig erreicht auch dieselbe Schwelle, an der die alten Mittel der Arbeitsmarktintegration nicht mehr funktionieren und nur noch Schaden anrichten wie eine Maschine, die niemand in der Lage ist abzustellen. Wahrscheinlich erreicht Leipzig diese Schwelle sogar noch früher als etwa Bayern oder Baden-Württemberg, schon deshalb, weil sich in der Betreuung des Jobcenters weit mehr Menschen befinden, die nach jahrelangen Runden durch diverse völlig unsinnige Integrationsangebote völlig aus der Vermittlungsfähigkeit in Fachberufe herausgefallen sind. Sie stehen in Teilen zwar dem ausgebauten Dienstleistungsmarkt zur Verfügung, aber dort macht sich immer stärker die Lohnproblematik bemerkbar – und wird sich erst recht bemerkbar machen, wenn die neue Bundesregierung tatsächlich einen Mindestlohn einführt.

Die Aktivitäten bei einem Unternehmen wie Amazon, das heute schon massiv in Polen investiert, deuten schon darauf hin, was dann passiert: Einige Anbieter von Billigarbeitsplätzen ziehen weiter gen Osten. Was im Fall Amazon natürlich auch noch andere Gründe hat, das honorige Steuersparmodell des US-amerikanischen Auslieferkonzerns gehört dazu.

Insgesamt waren im Oktober 28.239 (Vormonat 28.834) Männer und Frauen in der Stadt Leipzig arbeitslos gemeldet. Der Rückgang in den zurückliegenden vier Wochen betrug 595 Personen. Doch im Vergleich zum Oktober 2012 gibt es erstmals seit 2005 mehr Arbeitslose. Der Anstieg betrug 356 Menschen.

Entsprechend deutliche Worte fand dafür die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, Elke Griese: “Das ist eine Entwicklung, die nicht schön ist. Letztmals war so ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahresmonat im Oktober des Jahres 2005 zu beobachten. Damals waren in der Stadt Leipzig 54.674 Menschen arbeitslos gemeldet, dagegen waren es ein Jahr zuvor im Oktober 2004 nur 50.398. Das Jahr 2005 war das Einführungsjahr der Grundsicherung, häufig Hartz IV genannt. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Menschen führte dazu, dass viele Sozialhilfeempfänger nun in der Arbeitslosenstatistik geführt wurden, weil sie neu in die Vermittlungsbemühungen der damaligen ARGE Leipzig einbezogen wurden. Seitdem ist die Arbeitslosigkeit von Jahr zu Jahr gesunken”, so Griese.Was eben auch auf ein anderes Problem hinweist: Die “Hartz IV”-Gesetzgebung ist an ihre Grenzen gelangt. Sie hat kurzzeitig die Erstarrungen des deutschen Arbeitsmarktes gelöst, ist aber kein Instrumentarium, das hilft, wenn ein Arbeitsmarkt immer mehr Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften hat und eigentlich auch jene Menschen braucht, die auf verschiedene Weise in ihrer Flexibilität und Mobilität eingeschränkt sind. In Leipzig macht sich das früher bemerkbar, weil der Rückgang des Berufsnachwuchses seit 2010 drastischer erfolge als etwa in den alten Bundesländern.

Auch das verraten die Leipziger Zahlen. Das ist dann sogar in der Nüchternheit der Leipziger Agentur für Arbeit recht burschikos formuliert: “In den Altersgruppen gab es einheitliche Entwicklungen. Sowohl bei den jungen Menschen als auch bei den älteren fiel die Zahl der Arbeitslosen. Bei den unter 25-Jährigen lag der Rückgang bei 10,1 Prozent und bei den 50-Jährigen und Älteren bei 0,1 Prozent. Bei den jungen Arbeitslosen sank die Zahl im Vergleich zum September um 306 und bei den Älteren fiel sie um 8. So zählte die Statistik im Oktober 2.716 (+ 21 im Vergleich zum Oktober 2012) unter 25-Jährige und 8.485 (+ 276 im Vergleich zum Oktober 2012) Ältere.”

Oder in ein stimmigeres Bild übersetzt: Wie in jedem Herbst konnte die Jugendarbeitslosigkeit signifikant abgebaut werden. Bei den Älteren tat sich fast nichts. Der Aufbau von Erwerbstätigkeit ging also weiter, aber nicht so stark wie in den Vorjahren, so dass auch die Erwerbslosenzahlen von Oktober 2012 nicht wieder unterboten werden konnten.

Noch ein wenig genauer zu dem, was da im Oktober passierte – und nicht passierte: “Im Oktober waren 6.117 Menschen im Rechtskreis SGB III arbeitslos gemeldet. Das waren 267 weniger als im Vormonat, aber 314 mehr als im Oktober 2012. Im Rechtskreis SGB II waren 22.122 Menschen im Jobcenter Leipzig arbeitslos gemeldet. Das waren 323 weniger als im September 2013, aber 42 mehr als vor einem Jahr.”

Das, was jetzt also an Erwerbssuchenden da ist, braucht eine ganz andere Begleitung und Integrationspolitik als dieses 2002/2005 hingeluschte Paket “Agenda 2010”. Ohne Sanktionen, die im Grunde nur Menschen bestrafen, die man sowieso nicht mit Macht in einen immer mehr auf Facharbeitskräfte angewiesenen Arbeitsmarkt hineinpressen kann. Das funktioniert nicht. Es braucht jetzt deutlich mehr und vor allem langfristigere Qualifikationen in enger Abstimmung mit jenen Wirtschaftszweigen, die jetzt schon nicht die benötigten Fachkräfte finden.

Und es braucht wesentlich mehr Unterstützung für all jene, die aufgrund ihrer Lebenslage (vom Alleinerziehen bis zum häuslichen Pflegefall) Schwierigkeiten haben, allen bislang so selbstverständlichen Erwartungen des Arbeitsmarktes zu genügen.

Noch ein bisschen Zahlensalat: “78,3 Prozent aller arbeitslosen Leipziger wurden vom Jobcenter und 21,7 Prozent von der Arbeitsagentur Leipzig betreut. In Leipzig gab es im Oktober 42.929 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 565 weniger als im Vormonat und 213 weniger als im Oktober des Vorjahres. Außerdem betreut das Jobcenter aktuell 53.529 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug der Rückgang 720 und im Vergleich zum Vorjahr 602 Personen.

Beim Zugang an offenen Arbeitsstellen verzeichnete die Arbeitsagentur Leipzig im Oktober einen Rückgang gegenüber dem Vormonat. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den letzten vier Wochen 1.234 freie Stellen, das waren 221 weniger als im davor liegenden Monat (1.455) zur Besetzung gemeldet.

Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig zurückgegangen. Gegenüber dem Vormonat fiel sie um 51 auf 8.804. Im Vergleich zum Oktober 2012 gab es 1.190 weniger.”

Und so wie der Freistaat Sachsen im Oktober erneut eine Absenkung der Arbeitslosenquote um 0,2 Prozent auf 8,6 Prozent erreichte, ging der tatsächliche Abbau der Arbeitslosigkeit in Leipzig (einer Stadt, die ja bekanntlich auch immer mehr Arbeitsplätze für eine wachsende Bevölkerung schafft) weiter: “Zum statistischen Zähltag im Oktober betrug die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig 10,3 Prozent (Vormonat: 10,6 Prozent). Im Oktober 2012 lag sie noch bei 10,5 Prozent.

Und so kann auch Elke Griese sagen: “Die Arbeitslosenquote in Leipzig ist trotz Anstieg der Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zu Oktober 2012 weiterhin rückläufig. Das hängt mit dem gewachsenen Erwerbspersonenpotenzial in Leipzig zusammen.” Ihre Prognose: “Auch im November sollte die Arbeitslosenzahl sinken, wenn nicht ein früher Wintereinbruch in den witterungsabhängigen Berufen deutliche Spuren hinterlässt.”

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