Man sieht es nur kurz - früh in der Rushhour und am Nachmittag, wenn sich die Blechkolonnen hineinwälzen in die Stadt und gleichzeitig auch heraus. Das Wörtchen "Mobilität" muss niemand den Leipzigern in die Bücher schreiben: Für ihre Arbeit fahren sie Millionen Kilometer. Tag für Tag. Und das Pendleraufkommen steigt weiter. Für 2012 meldet das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen neue Rekordzahlen.
Peter Dütthorn hat sich im neuen Quartalsbericht die Zahlen der Arbeitsagentur vorgenommen, die dergleichen registriert. Man braucht im Grunde nur zwei Informationen: den Wohnort und den Arbeitsort. Wenn beide nicht übereinstimmen, dann ist der Erwerbstätige logischerweise ein Pendler. Er ist es natürlich auch im Kleinen, wenn er innerhalb der Stadt jeden Tag kilometerweit unterwegs ist, um zur Arbeit zu kommen. Aber das ist aus den Agenturzahlen nicht ablesbar.
Ablesbar aber ist eins: Der leichte, aber andauernde wirtschaftliche Aufschwung Leipzigs begann im Jahr 2006. Und das hat nichts mit der berühmten “Agenda 2010” zu tun. Auch wenn derzeit viele Leute im Land überzeugt zu sein scheinen, dass “Agenda 2010” und “Hartz IV” die Hauptursache für den bundesdeutschen Wirtschaftsaufschwung seit 2006 sind. Es wird zwar behauptet – aber bewiesen ist es nicht. Nur mutmaßen kann man, dass diese Schröder-Reform mit ihrem verschärften Druck auf Löhne und Gehälter und damit auf die Produktionskosten den “Standort Deutschland” im Wettbewerb gestärkt haben.
Denn im Ausland punktet Deutschland nicht mit Billigprodukten. Wirklich nicht. Die Stärke Deutschlands sind Qualitätsprodukte vom Pkw bis zur computerisierten Fertigungsstrecke. Darin steckt Knowhow, ein hoher Forschungs- und Entwicklungsstandard und natürlich der über Jahrzehnte erarbeitete gute Ruf der Marke “Made in Germany”. Auch wenn derzeit einige Leute darüber debattieren, dass dieses einst von den Engländern erfundene Label im 21. Jahrhundert keine Rolle mehr spiele.
Nie hat es eine größere Rolle gespielt. Denn die höheren Preise für die Wertschöpfung in Deutschland zu bezahlen sind Käufer nur bereit, wenn sie sich sicher sind, dass sie dafür Qualität und höchste technologische Standards bekommen. Anders macht es keinen Sinn.
Und 2006? – 2006 wirkte sich die Produktionsaufnahme im BMW Werk Leipzig erstmals signifikant auf die Leipziger Pendlerzahlen aus. In den Jahren davor schwankte die Leipziger Einpendlerzahl immer zwischen 75.000 und 76.000. Sie war sehr krisenanfällig, wie das Jahr 2003 zeigte. Da sackte die Einpendlerzahl auf 74.997 ab. Krise 2003? – Tatsächlich: Es war der erste Ausläufer der Finanzkrise, auch wenn es die Meisten heute längst vergessen haben. Seinerzeit sorgte die angelsächsische Gerüchteküche dafür, dass der deutsche Bankensektor in Misskredit geriet. Ein Gerücht mit Folgen, nicht nur für die deutsche Wirtschaft, die in einer sensiblen Phase durch den Kurssturz der deutschen Banken ausgebremst wurde. Sondern auch mit dem, was ab 2007/2008 zum Vorschein kam: die Spekulationsgeschäfte, die bis dahin den angelsächsischen Bankensektor aufgeschaukelt hatten.
Gerüchte an den Börsen sind teuer. Bezahlt werden sie mit Liquiditätsengpässen, Lieferstornierungen, Produktionsstilllegungen und – Arbeitsplatzabbau. Und im Fall Deutschland auch mit einer Regierungskrise, die 2005 mit dem Ende der Regierung Schröder endete.
Für Deutschland bedeutete es auch, dass der eigentlich erwartete Konjunkturaufschwung in der Schröder-Ägide ausfiel und erst mit dem Regierungsantritt von Angela Merkel einsetzte.Für Leipzig bedeutete es, dass BMW 2005 einen guten Start hinlegte und der Autobauer auch 2006 ff. von den sich erholenden Absatzmärkten in Südeuropa und Asien profitierte. 2007 kam der nächste Faktor hinzu: DHL nahm an der neu gebauten Startbahn Süd des Flughafens Leipzigs seine Arbeit auf. In den nächsten Jahren folgten weitere Logistiker.
Und da Schkeuditz außerhalb der Leipziger Stadtgrenzen liegt, stiegen nun auch die Auspendlerzahlen an, die vorher um die 34.000, 35.000 schwankten. 2007 stiegen sie auf 38.732, im Folgejahr überschritten sie die 40.000 und 2012 nun die neue Marke 50.000. Genau: 50.016.
Die Einpendlerzahlen stiegen von 80.387 im “BMW-Jahr” 2006 auf 85.626 im Jahr 2011 und dann auf 86.849 im Jahr 2012. Das ist – wie Peter Dütthorn feststellt – etwa jeder vierte sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige, der in Leipzig wohnt, der da täglich oder wöchentlich pendelt. Denn nicht nur die nahen Landkreise sind ja Pendelziel – auch wenn mehr als die Hälfte der Auspendler (51,4 Prozent) direkt im sächsischen Umfeld zur Arbeit fährt.
Aber 20,5 Prozent (insgesamt 10.259) Leipziger Auspendler fahren zur Arbeit in die westlichen Bundesländer. 2008 lag die Zahl der Auspendler in die alten Bundesländer noch bei 8.728. Wahrscheinlich geht man nicht fehl in der Annahme, dass hinter dieser Zunahme auch der starke Zuwachs in der Leiharbeit steckt.
Dass die starke Zunahme der Auspendler eng mit dem Flughafen Leipzig/Halle zusammen hängt, zeigt die Tabelle auf Seite 12 im Quartalsbericht: Der Pendlersaldo von Schkeuditz gegenüber Leipzig stieg binnen Jahresfrist von 1.608 auf 1.966. Das heißt: Es pendeln 1.966 Personen mehr von Leipzig nach Schkeuditz zur Arbeit, als von Schkeuditz nach Leipzig pendeln. Absolute Zahlen: 2.751 Schkeuditzer arbeiten in Leipzig, 4.717 Leipziger arbeiten in Schkeuditz.
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Im Ergebnis ist der Pendlersaldo von Leipzig gesunken. Heißt: Die Zahl der Auspendler ist stärker gestiegen als die Zahl der Einpendler.
Was aber auch heißt, dass viele für Leipzig wichtige Arbeitsplätze jenseits der Leipziger Stadtgrenzen entstanden sind. Der Aufbau der Erwerbstätigkeit in Leipzig selbst wäre gar nicht stark genug, um den Bevölkerungszuwachs auch wirtschaftlich aufzufangen. Von 2011 zu 2012 stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Leipzig von 222.801 auf 228.527. Was dann auch wieder dem Umland zugute kam.
Nicht alles ist positiv am Beschäftigungsaufbau, denn etliche Arbeitsplätze entstehen auch im marginal entlohnten Bereich. Die Zahl der “geringfügig entlohnten Beschäftigten” stieg von 46.396 auf 48.906. Das ist eine hohe Zahl für einen Standort wie Leipzig. Und sie lässt ahnen, wie das Lohnniveau in dieser Stadt unter Druck steht und welche Mühe es kosten wird, den Leipzigern künftig tragfähige Einkommen zu verschaffen. Denn natürlich spielen auch all die prekären Beschäftigungen eine wesentliche Rolle dabei, dass zehntausende Leipziger den Weg aus der Bedürftigkeit nicht schaffen und auf Sozialtransfers angewiesen sind – darunter eben auch jedes vierte Kind.
Also kümmern wir uns morgen an dieser Stelle mal um Kinder und Kultur.
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