Das deutsche Meldewesen ist so löcherig wie ein Schweizer Käse. Der "Zensus 2011" hat es mal wieder gezeigt. In einigen Gemeinden rauschten die amtlich errechneten Einwohnerzahlen um 20, 30 Prozent in den Keller, andere erlebten wundersame Volksvermehrungen. Der Grund dafür ist, dass es kein bundesweit einheitliches Erfassungssystem für lebende Bundesbürger gibt. Ob jemand sich richtig ab- und anmeldet, bleibt am Ende Zufall.
Oder Glückssache. Denn gerade in Leipzig spielten immer wieder die noch im Register verzeichneten ausländischen Mitbürger auf Zeit eine wesentliche Rolle. Deutsche Politiker reden zwar gern von elektronischer Verwaltung, aber daraus ein auch für die Bürger simples elektronisches Ab- und Ummeldesystem zu machen, das haben sie auch 20 Jahre nach dem Siegeszug des Internets noch nicht geschafft.
Also werden Bevölkerungszahlen amtlich hochgerechnet. Ganz simpel, wie bei Adam Ries: Geburten dazu, Sterbefälle werden abgezogen, Neuanmeldungen dazu, Wegzüge werden abgezogen. Da summieren sich im Lauf der Jahre die Fehler. Leipzigs alte amtliche Einwohnerzahl, die bis zum Mai 2011 gültig war, resultierte aus eine Fortschreibung der Registerdaten vom 3. Oktober 1990. Da wurden letztmalig alle Einwohner aus dem Einwohnermelderegister erfasst. Seitdem gilt die strikte Trennung von Einwohnermelderegister und der amtlichen Bevölkerungsstatistik. Auch die Zensus-Ergebnisse dürfen nicht mit dem Einwohnermelderegister abgeglichen werden. Es könnte helfen, auch das Leipziger Einwohnermelderegister wieder ein Stück weit der Realität anzupassen.
Für Dezember 2011 gibt es jetzt drei Einwohnerzahlen für Leipzig. Die alte amtliche Fortschreibung: 531.809 Einwohner. Die Zahl aus dem Melderegister: 517.838. Und die neue amtliche Zahl nach dem Zensus 2011: 510.043.
21.350 Personen betrug die Rechenabweichung nach dem Zensus 2011. Der “Spiegel”, der sich am Montag, 5. August, mit dem Thema beschäftigte, rechnete eine Abweichung von 4,1 Prozent für Leipzig aus. Dr. Ruth Schmidt, die Leiterin des Leipziger Amtes für Statistik und Wahlen, sieht die Abweichung noch in einem von Leipzigs Statistikern erwarteten Bereich, “aber am unteren Ende”.Je kleiner die Gemeinde, so der “Spiegel”, umso größer die Abweichung zwischen bisheriger amtlicher Einwohnerzahl und Zensus-Ergebnis.
Prozentual bringt das anderen sächsischen Kommunen noch weit größere “Verluste”: Deutzen im Leipziger Südraum zum Beispiel einen Verlust von 7,9 Prozent (von 1.843 auf 1.698 Einwohner), Rötha verlor 6,1 Prozent seiner amtlichen Einwohner (von 3.921 auf 3.683), Elsnig in Nordsachsen 6,8 Prozent (von 1.585 auf 1.477), Dreiheide 6,2 Prozent (von 2.329 auf 2.184), Neukyhna 5,2 Prozent (von 2.371 auf 2.241).
Es gab auch Gemeinden in Westsachsen, die verzeichneten nach dem Zensus eine kleine Bevölkerungsvermehrung: Regis-Breitingen (+ 2,9 %), Geithain (+ 1,0 %), Pegau (+ 0,5 %), Wurzen (+ 0,7 %), Schildau (+ 0,5 %), Zwenkau (+ 0,4 %) und Dommitzsch (+ 0,7 Prozent).
Ob die neuen Zahlen auch nur einigermaßen in der Nähe der realen Bevölkerungszahlen liegen, wissen auch die Statistiker nicht. Der Zensus hat ja nur eine Stichprobe genommen, anhand derer die Abweichungen nach oben oder unten berechnet wurden. Jede Rechnung dieser Art hat wieder ihre eigene Unschärfe. Auch “Spiegel Online” stellt fest: “Die Wahrheit: Die tatsächliche Einwohnerzahl ist unbekannt. Das steht sogar in der Gesetzesvorgabe des Zensus 2011. Letztlich heißt das: Egal welche Einwohnerzahl man nimmt, alle sind fehlerhaft. Die Macher des Zensus beanspruchen allerdings für ihre Zählmethode, dass sie den kleinsten Fehler macht.”
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Was zumindest ein seltsam unscharfer Zustand ist in Zeiten, wo Geheimdienste und Internetkonzerne über Milliarden Internet-Nutzer bestens im Bilde sind. Aber durch den westdeutschen Protest gegen die Volkszählung in den 1980er Jahren dürfen Kommunen ihre Register jetzt nicht einmal um das bereinigen, was beim Zensus zu Tage kam. “SPON”: “Die Gemeinden können ihre Registerzahlen selbst korrigieren, aber es ist aus Datenschutzgründen durch das so genannte ‘Rückspielverbot’ seit 1983 verboten, die Register um Karteileichen und zusätzliche Bewohner zu bereinigen, die bei einer Volkszählung gefunden wurden.”
Im großen Ganzen relativieren sich dann die starken Abweichungen im Detail. Auf Bundesebene gab es nur einen “Bevölkerungsverlust” von 1,5 Millionen Personen, was einer statistischen Abweichung von 1,8 Prozent entspricht. Der Freistaat Sachsen “verlor” 82.869 Einwohner (von 4.137.051 auf 4.045.182), was einem Minus von 2,0 Prozent entspricht. So gesehen gehört Leipzig zu den Kommunen, die deutlich stärker von der Korrektur betroffen sind als andere.
Zum “SPON”-Artikel: www.spiegel.de/politik/deutschland/zensus-proteste-die-luecken-der-bevoelkerungsstatistik-a-914603.html
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