Es kann gut sein, dass - wie es der "Zensus 2011" vermuten lässt - nur 23.000 Leipziger tatsächlich erwerbslos sind. Inwieweit die alten Zahlen stimmen oder warum sie mit den Zensus-Zahlen nicht zusammen passen, werden bestimmt einige Leute versuchen, in nächster Zeit herauszufinden. Das könnte auch die Frage etwas näher beleuchten, warum so viele Leipziger trotzdem auf SGB-Hilfe angewiesen sind.

Immerhin 71.124 im Dezember 2012 – 17 Prozent aller Leipziger unter 65 Jahren. Eine Rolle spielt die hohe Zahl von Aufstockern. Aber die stecken faktisch mit drin in der Zahl von 53.441 “erwerbsfähigen Leistungsberechtigten”. 18.197 waren es nach Angaben der Sächsischen Landesregierung im Oktober 2012. Anfang Mai versuchte die Bundesagentur für Arbeit, das Thema Aufstocker mal ins Positive zu drehen und veröffentlichte den viel sagenden Satz: “Jede zweite Arbeitsaufnahme aus der Grundsicherung heraus beendet auch unmittelbar den Hilfebezug.”

Was natürlich im Umkehrschluss bedeutet: Die Hälfte der Jobangebote führt eben nicht zu einer Beendigung des Hilfebezuges. Jeder zweite Job ist so gering honoriert, dass der Betroffene weiter Aufstocker bleibt. Die Arbeitsagentur weist auch darauf hin, dass die Ansprüche natürlich steigen, je mehr Mitglieder so eine “Bedarfsgemeinschaft” hat. Was ja logisch ist. Die Kinder erhalten in der Regel das, was nach der gültigen Benennung “Sozialgeld” heißt.

Jede vierte Bedarfsgemeinschaft – über 11.000 – in Leipzig ist eine mit Kindern. Insgesamt lebten Ende 2012 17.320 Kinder in einer solchen Bedarfsgemeinschaft. Oder noch deutlicher: 27,9 Prozent aller Kinder unter 15 Jahre lebten in der staatlichen Alimentierung. Und Leipzigs Statistiker können auch Karten malen, wo sie überall in Leipzig leben. Selbst im Waldstraßenviertel leben welche – auch wenn hier die Quote am geringsten ist – so ähnlich wie in Wiederitzsch und Burghausen.

Aber die Karte, die Peter Dütthorn und Gina Gäbler ihrem Beitrag im Quartalsbericht beigefügt haben, zeigt auch, dass Armut in einigen Leipziger Ortsteilen weiterhin ein gewaltiges Problem ist. Das löst sich nicht einfach auf, wenn die Zahlen der Arbeitslosigkeit scheinbar sinken. Und es sind nicht nur Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf, wo die Zahlen hoch sind. Auch wenn 34,1 und 42,5 Prozent SGB-II-Empfänger an der Bevölkerung der unter 65-Jährigen wirklich hohe Zahlen sind. Aber mit hohen Werten über 25 Prozent ringen auch Ortsteile wie Schönefeld, Mockau-Süd, Anger-Crottendorf, Paunsdorf, Kleinzschocher. Alt- und Neu-Lindenau. Und in Grünau-Mitte und Grünau-Nord sind die Werte mit 35 und 33,5 Prozent ebenfalls in der Region dessen, was den Leipziger Osten bedrückt.Im Leipziger Kartenbild ist durchaus schon zu sehen, wie sich die Stadt so langsam entmischt. Und hätten die Kartenmaler nicht bei 26 Prozent die Farbgrenze gezogen, würde längst sichtbar werden, wie sich das Thema in einigen wenigen Ortsteilen so langsam verdichtet. Was eigentlich auch kommunale Begleitprogramme notwendig machen würde. Aber eines der wichtigsten – die Sozialarbeit an Leipziger Schulen – wird ja gerade gestrichen, weil sich Bund und Land die Welt lieber schön malen, als rechtzeitig zu helfen. Die Armut in Deutschland verschwindet nicht, sie wird nur immer besser versteckt. Und kocht dann an anderer Stelle wieder hoch, wo es niemand erwartet hat. Bei der Beschaffungskriminalität zum Beispiel, die im vergangenen Jahr die Anzahl der in Leipzig verübten Straftaten wieder über 69.000 gepuscht hat.

Und vorsorgen müsste die Stadt gerade in den Ortsteilen mit hoher Kinderarmut. Die höchste gibt es in Volkmarsdorf: 66,8 Prozent aller unter 15-Jährigen sind hier auf Sozialgeld angewiesen, im benachbarten Neustadt-Neuschönefeld sind es 60,5 Prozent. Deutlich über 50 Prozent sind es aber auch in Paunsdorf, Grünau-Nord und Grünau-Mitte.

Mehr zum Thema:

Große Löcher im Quartalsbericht 1/2013: Ja, wie viele sind wir denn nun?
Vielleicht wird dieser Quartalsbericht …

Quartalsbericht 1/2013 (2): Der “Zensus 2011” reißt ein paar Fragen auf
Fast hätte man sich den Quartalsbericht …

Quartalsbericht 1/2013 (3): “Go West!” ist die Devise
Natürlich ist die Zeit, als es für fast …

Kassensturz: Anteil der Hartz-IV-Aufstocker in Sachsen auch 2012 gestiegen
Eine Erfolgsmeldung über den Rückgang …

Und das ist nicht nur ein Leipziger Problem, auch wenn das oft vorwurfsvoll so klingt. Dütthorn und Gäbler haben auch die sächsischen Karten zur Mindestsicherung in ihrem Beitrag abgebildet. Leipzig steht zwar mit seiner Quote schlechter da als Dresden und Chemnitz, aber mehr als zwei Dutzend kleinere Kommunen im Freistaat haben mittlerweile eine genauso hohe SGB-II-Quote. Einige stehen bei der Kinderarmut mittlerweile sogar schlechter da als Leipzig, weisen Gesamtwerte über 30 und 40 Prozent aus. Der sächsische Durchschnitt bei den unter 15-Jährigen lag 2011 bei 22 Prozent. 99.118 Kinder waren auf Sozialgeld angewiesen. Weißwasser und Zinna sind die beiden Kommunen mit Quoten über 40 Prozent.

Aber Handlungskonzepte auf Landesebene gibt es keine. Im Gegenteil. Die drastischen Einsparungen beim Lehrpersonal in den Schulen schaffen auch die wenigen Spielräume für individuelle Förderung ab, die gerade diese Kinder brauchen. Sie kommen jetzt erst recht in ein Schulsystem, das ihre Handicaps ignoriert. Dütthorn und Gäbler sprechen sogar von einer deutlichen Spreizung, wenn es um Kinder in Sozialgeld-Bezug geht. Armut ist in Leipzig auf jeden Fall ein Familienthema.

Der Statistische Quartalsbericht 1/2013 soll nach Angaben der Verwaltung im Internet unter http://statistik.leipzig.de unter “Veröffentlichungen” einzusehen sein, heute ist dort jedoch nur der letzte Quartalsbericht aus dem Jahr 2012 zu finden.

Er kann aber auch für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) im Amt für Statistik und Wahlen erworben werden. Postbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig, – Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar