Leipzig wächst. Der Zuzug hielt auch 2012 an, hat sich sogar verstärkt. Und das verändert auch die Stadt. Und zwar so ungefähr sei 1998, als der Prozess der Re-Urbanisierung einsetzte und junge Leute, Pioniere der Entwicklung, erst die Südvorstadt, dann Connewitz und Schleußig zum Blühen brachten. Und zum Überlaufen. Seit einiger Zeit ist klar, dass neue Stadtquartiere die Pionierrolle übernommen haben. Gleich der erste Beitrag im Quartalsbericht zeigt, welche.

Sie sind dunkelgrün in die Stadtkarte eingemalt, die Andreas Martin seinem Bericht zur Bevölkerungsentwicklung 2012 beigegeben hat. Das Herz der Stadt ist sowieso grün. Seit fast 15 Jahren sind die alten Gründerzeitquartiere mit ihrem zunehmend sanierten Gebäudebestand das Zuzugsziel Nummer 1 für junge Leute, die zum Lernen, Studieren, Arbeiten und Familie gründen nach Leipzig ziehen. Wenn die Ortsteile voll sind, laufen sie über wie ein Milchtopf. Sie wachsen zwar noch weiter, weil die jungen Leute ja Kinder kriegen (und deshalb Kitas und Schulen fehlen), aber eher im Bereich von 0 bis 1,5 Prozent. Das betrifft mittlerweile tatsächlich schon Südvorstadt und Schleußig.

Wer hier noch bezahlbare Wohnungen gar für junge Familien sucht, wird kaum noch fündig. Der muss seine Suche ausdehnen. Und weil junge Leute nach Orten suchen, in denen “noch was passiert”, sind genau diese Pionierviertel jetzt die, in denen die Post abgeht (und OBM-Kandidaten wie Dirk Feiertag und Felix Ekardt ihre besten Ergebnisse eingefahren haben). Allen voran Lindenau, Altlindenau und Leutzsch mit Bevölkerungszuwächsen im Jahr 2012 von 4,3, 5,3 und 4,2 Prozent. Was ein Bevölkerungsplus von rund 1.400 Einwohnern in diesen drei Stadtteilen im Leipziger Westen bedeutet.

Karten können auch trügen. Denn im gleichen Dunkelgrün ist auch das abgelegene Hartmannsdorf-Knautnaundorf gemalt, nicht wirklich bekannt dafür, ein Zuzugsort für junge Pioniersiedler zu sein. Dafür einer für Häuslebauer. Und da scheinen 2012 eine ganze Reihe Eigenheime fertig geworden zu sein, was die Bevölkerungszahl um 56 Personen (4,5 %) ansteigen ließ.

Doch neben dem Leipziger Westen hat sich auch der Leipziger Osten nach all der jahrelangen Mühe zu einem Zuzugsort für die jungen Stadtpioniere entwickelt. Angefangen bei Neustadt-Neuschönefeld (+ 6,4 %) und Volkmarsdorf (+ 6,3 %). Eigentlich bis hin nach Stötteritz und Reudnitz, die aber auch ohne den Zuzug schon zu den bevölkerungsreichen Ortsteilen gehören, was dann “nur” Zuwachsprozente von 2,8 und 3,8 Prozent ergibt.

Ein etwas anderer Prozess bringt im Gürtel rund um die Innenstadt die Bewohnerzahlen zum wachsen. Diese Stadtquartiere mausern sich nach und nach zu hochpreisigeren Wohnlagen. Angefangen von Zentrum-Südost (zu dem auch das ganze Gebiet um die Windmühlenstraße gehört, + 4,8 Prozent) bis zu Zentrum-Ost, das eigentlich auch in den amtlichen Registern den Namen Grafisches Viertel verdient hätte: + 4,5 Prozent. Neben dem Musikviertel, der Westvorstadt, dem Waldstraßenviertel und Gohlis-Süd sind das die Quartiere, in denen sich mittlerweile die besserverdienenden Leipziger ansiedeln.Die Zahl der Ortsteile, in denen die Bevölkerung 2012 zurückging, hat sich praktisch auf drei verringert: Schönau (wo tatsächlich noch ein Wohnblock zum Abriss “freigelenkt” wurde, was auch in Grünau niemand mehr versteht), Althen-Kleinpösna (wo die Bevölkerungsentwicklung 2012 zum ersten Mal ins Negative gekippt ist) und Miltitz. Es gibt noch gut ein Dutzend Ortsteile, wo die Bevölkerungsentwicklung bis zu 1,5 Prozent im Negativen lag – aber überall deutet sich eher eine Stagnation an. Mit möglicher Kehrtwende in naher Zukunft. Denn wohin weichen die neuen Zuzügler aus, wenn auch die Gründerzeitbestände im Osten und Westen “voll” sind?

Leipzig hat zwar in Urzeiten mal über 700.000 Einwohner beherbergt. Aber das waren auch Zeiten, als viele ärmere Leipziger mit Großfamilien in Wohnungen lebten, in denen sich heute Singles oder Paare wohl fühlen. Der Raumbedarf der heutigen Leipziger ist mit dem der damaligen Bevölkerung nicht zu vergleichen. Das heißt: Es ist eigentlich absehbar, dass auch die Wohnungsbestände in Grünau, Gohlis-Nord, Mockau-Nord, Schönefeld-Ost und Heiterblick gebraucht werden, wenn der Zuzug so anhält.

Ein Indikator, wie sich die Schwerpunkte in der Stadt verschieben, sind die “Studierenden als Nachfrager auf dem Leipziger Wohnungsmarkt”. Volker Bode und Karin Wiest vom Leibniz-Institut für Länderkunde haben dafür extra die Studierenden an Leipziger Hochschulen selbst befragt. Und auch sie können zeigen, wie die Dichte an Studierenden-WGs in der Südvorstadt, Schleußig und dem Waldstraßenviertel (die alle drei “voll” sind), seit 2001 deutlich abgenommen hat. Die Studierenden bevorzugen nach wie vor Wohnungen, die möglichst dicht an den Hochschuleinrichtungen in der inneren Stadt liegen. Aber sie finden immer seltener bezahlbaren Wohnraum in direkter Nähe – und müssen deshalb ausweichen. Und weil sie jung und mutig sind, wurden sie schon in den vergangenen Jahren zu den Siedlungspionieren in Lindenau, Altlindenau, Reudnitz, Volkmarsdorf und Neustadt-Neuschönefeld.

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Den höchsten Studierendenanteil an der Wohnbevölkerung hat das Zentrum-Südost mit den großen Wohnheimen an der Straße des 18. Oktober – 14 Prozent. Lindenau, Schleußig und Grafisches Viertel kommen auf bis zu 9 Prozent. Wenn man die Karte dazu sieht, merkt man, warum für die Studierenden das Fahrrad das beliebteste Verkehrsmittel ist – und die Radverkehrspolitik der Stadt so wichtig.

Noch, so betonen die Autoren, ist das Leipziger Wohnungsangebot auch noch ein wesentlicher Anziehungsfaktor für Studierende aus der ganzen Bundesrepublik – noch finden sie Wohnraum – vor allem auch bezahlbaren. Aber die Wanderungstendenz im Stadtgebiet ist sichtbar. Und die Frage ist nicht von der Hand zu weisen: Müssen in den nächsten Jahren nicht ganze Bevölkerungsgruppen beginnen zu wandern, weil Wohnraum gerade im Herzen der Stadt knapper und damit teurer wird?

Das ist die Frage nach der Segregation, die im Quartalsbericht anhand zweier Bevölkerungsgruppen untersucht wird: der Senioren und der Ausländer.

Mehr dazu morgen an dieser Stelle.

Zum Quartalsbericht: http://www.leipzig.de/de/buerger/newsarchiv/2013/Statistischer-Quartalsbericht-IV-2012-25190.shtml

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