Am 14. März 2003 verkündete Bundeskanzler Gerhard Schröder die sogenannte Agenda 2010. Das hat Spuren hinterlassen. Die SPD hat es in den Keller der Umfragen versenkt, und die PDS hat es auf bundesweites Beachtungsniveau gehoben. Und während selbst SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagt, die Agenda 2010 sei ein Erfolg, sprechen die harten Zahlen eine andere Sprache. Auch in Leipzig.

Es geht nicht nur um die immer wieder zurecht getricksten Arbeitslosenzahlen. Die sagen nur etwas aus, wenn dahinter die Schaffung selbsttragender Beschäftigung steht und die Zahl der Bedürftigen tatsächlich sinkt. Wenn die Betroffenen arbeiten und trotzdem um Zuschuss betteln müssen, läuft etwas falsch. Dann subventioniert der Staat sogar noch Arbeitsplätze und Unternehmen, die unter normalen Wettbewerbsbedingungen nicht überlebensfähig wären. Ganze Branchen sind seit 2005 gewachsen, deren einziges Erfolgsmodell all die teilsubventionierten Arbeitsplätze made by Jobcenter sind.

In Leipzig hat es dafür gesorgt, dass das sogenannte durchschnittliche Äquivalenzeinkommen seit 2003 praktisch stagniert. Bis 2009 stagnierte es bei 1.000 Euro pro Person, erst seitdem stieg es zaghaft auf 1.036 (2010) und 1.066 (2011). 2005 – im Jahr der Einführung von “Hartz IV” – lag die Armutsgefährdungsquote in Leipzig bei 23,9 Prozent. Gemessen am Bundesmeridian. Aber die Sache verbessert sich nicht, wenn man den Wert auf den Landes- oder gar den Stadtmeridian herunterbricht. Denn sowohl Sachsen wie auch Leipzig sind Landschaften mit weit unterdurchschnittlichem Einkommensniveau. Wer da unter den Einkommensdurchschnitt von 60 Prozent rutscht, ist noch ärmer als arm.

Im “Sozialreport 2011”, wo man die Zahlen findet, wird dazu noch mit einem Nettoäquivalenzeinkommen gearbeitet, das noch etwas höher liegt als das statistische durchschnittliche Äquivalenzeinkommens. Deutsche Statistiken geben sich alle Mühe, die Wirklichkeit zu verschleiern und die Sachen rosarot aussehen zu lassen. Dieses Nettoäquivalenzeinkommen lag 2011 bei 1.148 Euro. Wer weniger als 60 Prozent davon verdiente, galt als armutsgefährdet. Und das waren – die Krise von 2008/2009 hatte in Leipzig heftig zugeschlagen, auch wenn die offizielle Politik so tat, als sei alles nicht so schlimm – 2010 immerhin 26,4 Prozent der Leipziger, die Quote war also gewachsen seit Einführung von “Hartz IV”.

Und das, obwohl besagtes Nettoäquivalenzeinkommens auch gewachsen war – nur dummerweise nicht so deutlich wie die Inflationsrate. Nur im Vergleich am Leipziger Durchschnitt war die Armutsgefährdungsquote unter den Wert von 2005 gesackt – auf 15,9 Prozent. Was natürlich im Umkehrschluss eine Menge darüber aussagt, wie in Leipzig durch die Niedriglohnpolitik die Durchschnittseinkommen gedrückt wurden. Indem man so tut, als könne man auf das eh schon miserable Leipziger Einkommensniveau auch noch eine Armutsgefährdungsquote bei 60 Prozent ausrechnen, verkleistert man die Wirklichkeit.

Und kaschiert natürlich auch die Tatsache, dass tausende Leipziger in all die durch die Agenda 2010 erst möglichen prekären Job-Verhältnisse gezwungen wurden.

“Die Agenda 2010 und die damit verbundene Hartz-Gesetzgebung haben auch in Sachsen viele Menschen tief verunsichert und zu prekären Beschäftigungsverhältnissen und Lebenssituationen geführt”, sagte am 14. März aus gegebenen Anlass Rico Gebhardt, der Vorsitzende der Linksfraktion in Sachsen. “Mehr als hunderttausend Menschen müssen trotz Arbeit ihren Lohn vom Amt aufstocken lassen, weil sie davon nicht leben können. Ein wachsendes Armutsrisiko, Ausweitung des Niedriglohnsektors, Lohndumping, Leiharbeit, Zementierung von Langzeitarbeitslosigkeit sind die ernüchternden Resultate des vermeintlichen ‘Förderns und Forderns’, wie die Devise damals hieß.”

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Das “Fördern” wurde ja mittlerweile fast komplett aus der Instrumentenliste gestrichen. Beim “Fordern” fährt man in Sachsen und Leipzig Sanktionsrekorde ein. Dass das auch wirtschaftlich unsinnig ist, haben nach Linkspartei und Gewerkschaften nun so langsam auch die anderen Parteien begriffen. Denn Menschen, die Niedriglöhne bekommen, bleiben als Alimentäre auf der staatlichen Transferliste: als Aufstocker, als Wohngeldempfänger usw. Den Kommunen kegelt das – obwohl sich der OBM wie ein Schneekönig über die fallenden “Arbeitslosenzahlen” freut – finanziell die Füße weg.

“Als Antwort auf die Agenda 2010 entstand eine breite gesellschaftliche Protestbewegung, es gründete sich die WASG, und schließlich entstand aus PDS und WASG eine neue Partei: Die Linke”, erinnert Gebhardt an das größte Trauma der SPD, die nämlich 2005 fast ihren kompletten linken Flügel verlor. Jedenfalls den gewerkschaftsnahen. Das hat der Linken im Westen über manche 5-Prozent-Hürde geholfen, im Bundestag sowieso.

Nun müssen die Linken jetzt damit leben, dass die anderen Parteien ihnen einfach ihre Ur-Idee mausen: den Mindestlohn. “Dass wir uns nunmehr auf die Einführung eines Mindestlohns zubewegen, ist ein großer greifbarer Erfolg für Die Linke”, nimmt Gebhardt den Ruhm trotzdem für seine Partei in Anspruch. “Nun geht es um die konkrete Ausgestaltung: Mindestens 8,50 Euro flächendeckend als Einstieg und 10 Euro als Perspektive, damit die Löhne nicht nur jetzt die Existenz sichern, sondern späterer Altersarmut vorbeugen.”

Dass ausgerechnet die sächsische Regierung die Niedriglöhnerei fortsetzen will, kritisiert er auch: “Deshalb haben wir heute den gesetzlichen Mindestlohn mit einer Aktuellen Landtagsdebatte erneut thematisiert, da die sächsische Staatsregierung als einzige Regierung eines ostdeutschen Bundeslandes gegen die rot-rot-grüne Bundesratsinitiative pro Mindestlohn gestimmt hatte. Hier muss sich noch viel bewegen – wir machen weiter Druck!”

Sozialreport 2011:

www.leipzig.de/imperia/md/content/51_jugendamt/broschueren_praesentationen/stadt_leipzig_sozialreport-2011.pdf

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