1,6 Milliarden Euro an Geldern für die Arbeitsförderung gaben die deutschen Arbeitsagenturen 2012 zurück, die sächsischen Jobcenter gaben 300 Millionen Euro an Eingliederungsmitteln zurück. Die Meldungen sorgten für einige Aufregung zum Jahreswechsel. Ist die Arbeitsmarktpolitik mittlerweile so gut, dass die Gelder gar nicht mehr gebraucht werden? Nicht wirklich, fand der Landtagsabgeordnete der Linken, Dr. Dietmar Pellmann, und fragte nach.

Jetzt gab es die Aussagen der zuständigen Minister Sven Morlok (Wirtschaft) und Christine Clauß (Soziales) dazu. Das Bild ist durchwachsen. Die Erklärungen, warum Jobcenter und Agenturen so fleißig sparten auf Kosten der Arbeitsuchenden, sind vielschichtig und auch widersprüchlich. So erklärte auch Sven Morlok (FDP), dass die zurückgehende Arbeitslosigkeit und die vermehrte Einstellung von Arbeitsuchenden ohne entsprechende Förderung zum Rückgang der verwendeten Mittel für die Arbeitsförderung geführt hätten.

Von budgetierten 260,7 Millionen Euro gaben die zehn sächsischen Arbeitsagenturen nur 222,4 Millionen für Arbeitsförderung aus. Das entspricht 85,3 Prozent. Das SGB III listet neun verschiedene Felder auf, die alle zur Arbeitsförderung zählen – vom Vermittlungsgutschein bis hin zum Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung. Ein Bundesland, in dem die Arbeitslosigkeit weiterhin über 10 Prozent liegt, müsste eigentlich alle Fördermaßnahmen ergreifen und diese Mittel komplett abrufen. Was natürlich nicht in Hoheit des Landes liegt, sondern dem der Bundesagentur und der Kommunen. Doch wer etwa die Zielvereinbarung zwischen der Stadt Leipzig und dem Jobcenter kennt, weiß, dass dort nur ein Ziel priorisiert ist: Sparen. Sparen auf Teufel komm raus.

Der Teufel steckt in Formulierungen wie: “Ziel 1 – Verringerung der Hilfebedürftigkeit, Ziel 2 – Verbesserung der Integration in Erwerbstätigkeit, Ziel 3 – Vermeidung von langfristigem Leistungsbezug”. Das sind Prozessbeschreibungen. Die Klienten der Jobcenter (und 80 Prozent der Leipziger Arbeitslosen werden im Jobcenter betreut) werden wie Werkstücke betrachtet, die im Lauf eines bürokratischen Verwaltungsprozesses am Ende einfach als Null da stehen – als ein auf Null reduzierter Kostenblick.Wirkliche Messinstrumente aber über die tatsächliche Integration in Erwerbstätigkeit sucht man vergeblich. Man könnte sie schaffen, in dem man wirklich einmal definiert, was damit gemeint ist. Etwa: In welchem Maße passen Beruf und Qualifikation zum örtlichen Arbeitsmarkt? In welchem Maß konnte der Betreute durch Umschulung und Förderung sich diese Qualifikationen zulegen? In welchem Maß wird direkt mit Fachkräfte suchenden Unternehmen kooperiert? Wie nachhaltig ist die Integration? Oder ist es wieder nur ein Dreimonatsjob “auf Probe” ohne nachweisliche Anstellungsabsicht des Unternehmens und mit Bezahlung deutlich unter Tarif? Oder ist es gar nur eine dieser Alibi-Beschäftigungen als Bastler, Gartenpfleger und Straßenputzer, die nicht einmal mehr etwas mit dem Bildungsstand des Vermittelten zu tun haben? Usw.

Wer ernsthaft solche wirklich belastbaren Parameter misst, der wird irgendwann auch eine wirklich realistische Berichterstattung über die Arbeitsuchenden im Bezirk zustande bringen. Bis dahin ist alles reines Rätselraten, Mutmaßen und Täuschen.

In Leipzig wurden zwar 91 Prozent der verfügbaren Mittel für die Arbeitsförderung ausgeschöpft. Damit hat Leipzig nach Plauen (92 Prozent) die zweithöchste Ausschöpfungsrate in Sachsen. Aber diese Raten verraten leider nichts darüber, wie sinnvoll die Gelder ausgegeben wurden. Ob sie etwa für Kurzarbeitergeld bereitgestellt wurden oder gar – ein Mega-Thema für Leipzig – für “Weiterbildungskosten zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses”.

Mehr zum Thema:

Neue BIAJ-Auswertung der SGB-Gelder: Eine Milliarde Euro gespart 2012
Es ist in der deutschen Arbeitsmarktpolitik …

Jobcenter Leipzig: Eine Zielvereinbarung mit Tücken und Abschreckpotenzial
Die Ratsversammlung nimmt die Information …

Kassensturz: Arbeitslosenzahlen springen im Januar kräftig in die Höhe
Winter? Natürlich. Es muss der Winter sein …

Eigentlich das selbe Bild bei den Eingliederungsmitteln. Christine Clauss führt als Begründung auch den Wegfall bisheriger Arbeitsmarktinstrumente an. Aber auch die perspektivischen Planungen über das Kalenderjahr hinaus scheinen Schwierigkeiten zu machen. In einigen Jobcentern mehr als in anderen. Während die Jobcenter in Bautzen und Meißen ihre Budgets zu 100 Prozent ausschöpfen konnten, gab das Jobcenter Leipzig im Jahr 2012 von budgetierten 55 Millionen Euro nur 47,5 Millionen aus. Mit 55 Millionen Euro hatte Leipzig übrigens aus bekannten Gründen das höchste Budget. Eigentlich ist das Geld dazu da, die hohe Zahl Arbeitsuchender abzubauen. Aber über 7,5 Millionen Euro am Jahresende zurückzugeben, das zeigt eigentlich recht deutlich, dass da einiges im Argen liegt. Das sind fast 14 Prozent der verfügbaren Gelder.

In Teilen liegt es natürlich an einer mittlerweile völlig unberechenbar gewordenen Bundespolitik. Auch eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik braucht Handlungsperspektiven, die auf mehrere Jahre hinaus verlässlich sind.

Aber es liegt auch an einer fehlenden Lageanalyse (siehe oben) und damit einer wirklich tragenden Integrationsstrategie, auf die sich auch und gerade die Betroffenen verlassen können. Arbeitsagentur und Jobcenter Leipzig haben also im Endeffekt 2012 über 10 Millionen Euro, die eigentlich für die (dauerhafte) Integration Arbeitsuchender ins Erwerbsleben gedacht waren, nicht abgerufen. Das sollte eine mehr als ernsthafte Grundlagen-Debatte im Stadtrat wert sein. Alles andere ist Augenwischerei bei offiziell gezählten 25.927 Arbeitsuchenden in Leipzig. Die inoffiziell hier wegretuschierten nicht mitgerechnet.

Die Arbeitsförderinstrumente nach SGB III: www.gesetze-im-internet.de/sgb_3/__3.html

Die Kleine Anfrage von Dietmar Pellmann als PDF zum download.

Die Antwort des Staatsministeriums als PDF zum download.

Die Ziele des Jobcenters 2012 als PDF zum download.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar