Man könnte - wie es ja die Bundesagentur für Arbeit auch tut - Karten malen mit blasseren und kräftigeren Farbwerten: Wie integrationsfähig ist der Arbeitsmarkt in den Regionen tatsächlich für junge Leute zwischen 15 und 25 Jahren? - Andererseits: Es wären reine Phantasielandkarten. Die Arbeitsmarktstatistiken sind in Teilen Luftgebilde, wie Paul M. Schröder vom BIAJ mal wieder feststellen musste.
Das BIAJ ist das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe. Hier werden die Daten, die die Bundesagentur Monat für Monat herausgibt, noch einmal aufbereitet und unter die Lupe genommen. Das, was auch die Agenturen und Jobcenter vor Ort in der Regel ungern tun. Man gibt zwar die Monatszahlen bekannt, erklärt schön blumig, wie sich die Zahlen bei älteren und jüngeren Klienten entwickelten, bei Langzeitarbeitslosen, Arbeitsgelegenheiten und Fortbildungen. Aber die tatsächlichen Entwicklungen dahinter bleiben schwammig. Völlig unverifizierbar bleibt, was nun wirklich der jeden Monat neu beschworene Erfolg der Arbeit der Jobcenter ist – und was reine demografische Entwicklung.
Zum Jahresende sorgte eine DGB-Meldung für Schlagzeilen. Da waren aber die Gewerkschafter selbst auf unvollständiges Zahlenmaterial hereingefallen.
In der BIAJ-Kurzmitteilung vom 28. Dezember 2012 wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die am Tag zuvor veröffentlichte Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auf unvollständigen Zahlen basierte.
Die Botschaft sollte wahrscheinlich so schnell wie möglich raus: “Hohes Verarmungsrisiko Jugendlicher”. Was die DGB-Leute nicht gemerkt hatten, darauf wies der BIAJ dann in einer Kurzmitteilung am 28. Dezember noch hin: 250.000 Jugendliche in SGB II-Bedarfsgemeinschaften (Hartz IV) waren in der Statistik einfach vergessen worden.
“Die am 3. Januar 2013 veröffentlichten Daten der Statistik der Bundesagentur über die ‘Bedarfsgemeinschaften und deren Mitglieder’ im September 2012 (revidierte Daten nach einer Wartezeit von drei Monaten) bestätigen dies. Vom DGB wurden offensichtlich die Daten aus den sogenannten Optionskommunen (zugelassene kommunale Träger) vergessen. Dabei handelt es sich um 108 der 402 Kreise, darunter große Städte und Kreise wie Essen, Stuttgart, Recklinghausen, Wuppertal”, erklärt Schröder das Problem. “Zudem wurden für die anderen Kreise offensichtlich vorläufige Daten für den Berichtsmonat September 2012 verwendet, die in der Regel im Verlauf der Wartezeit nach oben korrigiert werden.”
Die Folge waren im Dezember irreführende Schlagzeilen wie “Duisburg hat zweithöchste Hartz-IV-Quote unter Jugendlichen” oder “Duisburg und Berlin haben die meisten armen Jugendlichen”. Duisburg ist nach der vollständigen Liste zumindest nicht mehr an der Spitze der Kommunen mit 17,2 Prozent der Jugendlichen in SGB II. Selbst in NRW wird die Stadt übertroffen von Gelsenkirchen (21,8 %), Essen (18,5 %) und Mönchengladbach (18,2 %). Womit Duisburg unter den gelisteten Kommunen auf Rang 15 kommt.
Berlin freilich behauptet seine “Spitzenposition” unter den Ländern. Das BIAJ: “In den Ländern reichen die entsprechenden SGB II-Quoten von 19,9 Prozent in Berlin und 16,0 Prozent in Bremen (Land) bis 4,2 Prozent in Baden-Württemberg und 3,2 Prozent in Bayern. In den 402 Kreisen reichen diese Quoten von 21,8 Prozent in Gelsenkirchen, 19,9 Prozent in Bremerhaven und Berlin, 18,7 Prozent im Landkreis Uckermark und Salzlandkreis und 18,5 Prozent in Essen und Delmenhorst bis 0,9 Prozent in den Landkreisen Unterallgäu und Freising und 0,8 Prozent im Landkreis Eichstätt.”SGB II heißt auch in dieser Altersgruppe freilich nicht gleich arbeitslos. Auch nicht gleich erwerbsfähig. Insgesamt wurden 777.999 Jugendliche gezählt. “Im September 2012 waren 156.000 Jugendliche im Alter von 15 bis unter 25 Jahren als Arbeitslose im Rechtskreis SGB II registriert. Gemessen an den 747.000 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in dieser Altersgruppe entsprach dies einer Quote von 20,9 Prozent”, so das BIAJ. “In den Ländern reichen diese Anteile von 27,9 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern bis 14,3 Prozent in Hamburg, in den 402 Kreisen von 44,5 Prozent im Landkreis Saarlouis, 40,9 Prozent in der Stadt Kaufbeuren und 37,0 Prozent im Landkreis Potsdam-Mittelmark bis 1,5 Prozent in der Stadt Mannheim, 1,2 Prozent im Landkreis St. Wendel und 0 Prozent (absolut 0!) im Rhein-Lahn-Kreis.”
Womit man bei den statistischen Spielräumen wäre, die augenscheinlich jedes Jobcenter für sich anders nutzt. Das BIAJ: “Offensichtlich bietet das SGB II und die Definition der Arbeitslosigkeit in § 16 SGB III den Jobcentern hier einen erheblichen Gestaltungsspielraum.”
Sachsen reiht sich nach diesen Zahlen im Mittelfeld ein. 42.843 Jugendliche von 367.663 lebten demnach in einer Bedarfsgemeinschaft. Was 11,7 Prozent entspricht, etwas weniger als in Hamburg (11,9 Prozent) und etwas mehr als in Nordrhein-Westfalen (10,7 Prozent). 41.261 dieser Jugendlichen galten als erwerbsfähig, was immer das heißen mag, wenn junge Leute zum Teil noch zur Schule gehen. Was dann deutlicher wird, wenn 10.609 junge Leute bis 25 Jahre aus der SGB-II-Betreuung auch tatsächlich als arbeitslos gemeldet waren. Gemessen an den Erwerbsfähigen in der Altersklasse waren das dann 25,7 Prozent.
Dass die “Jugendarbeitslosigkeit” deutlich höher ist als die allgemeine Arbeitslosigkeit, ist ein deutschlandweites Phänomen und hat zuallererst damit zu tun, dass viele junge Leute nach der Ausbildung erst einmal auf der Suchschleife zu einem richtigen Arbeitsplatz sind.
Und den zu finden, ist in Sachsen nach wie vor schwieriger als in anderen Bundesländern. Denn mit den 25,7 Prozent liegt der Freistaat bei der Jugendarbeitslosigkeit auf Rang 2 unter den Bundesländern – hinter Mecklenburg-Vorpommern mit 27,9 Prozent. Und das ist für ein Land wie Sachsen natürlich ein Armutszeugnis und kein Zeichen für einen integrationsfähigen Arbeitsmarkt.
Selbst Berlin liegt bei diesem Wert hinter Sachsen mit 24,7 Prozent. Brandenburg schiebt sich mit 25,3 Prozent noch dazwischen. Dahinter kommen dann Länder wie das Saarland mit 24,4 Prozent oder Sachsen-Anhalt mit 23,7 Prozent. Hamburg bringt es immerhin auf 14,3 Prozent.
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Die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist ein gesamtsächsisches Problem – nur scheinbar mit einer Ausnahme. Just der Landkreis Görlitz, der mit der SGB-II-Quote von 15,5 Prozent bei den Jugendlichen sachsenweit die Spitze hält, hat mit einer Jugendarbeitslosenquote von 18,8 Prozent den besten Wert. Selbst Dresden kommt da auf 25,2 Prozent. Das deutet nicht unbedingt darauf hin, dass es in Görlitz besonders viele Arbeitsangebote für junge Leute gibt, sondern dass selbst die arbeitslosen jungen Leute aus dem Landkreis abwandern in die Großstadt, wo sie sich bessere Chancen erhoffen.
Dass die Interpretation so abwegig nicht ist, zeigt das andere Ende Sachsens: Leipzig hat zwar mit 28,8 Prozent die dritthöchste Jugendarbeitslosenquote in Sachsen. Aber der Landkreis Leipzig liegt mit 30,2 Prozent noch einmal deutlich drüber – führt die Tabelle auch landesweit an, vor Chemnitz mit 29,5 Prozent.
Von den 55.905 jungen Leuten in Leipzig zwischen 15 und 25 Jahren waren übrigens 8.046 im Rechtskreis SGB II, also 14,4 Prozent. Da spiegelt sich ein wenig das Problem “Armutshauptstadt”. Aber das Problem scheint sich – im Vergleich mit anderen Kommunen – mittlerweile abzuschwächen. Bei der SGB-II-Quote unter den Jugendlichen liegt Leipzig unter den Kreisen deutschlandweit nur noch auf Rang 42 (von über 400), knapp vor dem benachbarten Halle auf Rang 43, knapp hinter dem Saalkreis auf Rang 41. Was auf ein weiteres Phänomen hindeutet: Dass sich nämlich in Regionen, die wirtschaftlich eng zusammenhängen, auch ähnliche Einkommens- und Armutsniveaus herausbilden.
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