Wie baut man eine lebendige Stadt? Und wie hält man sie lebendig? Eigentlich zwei zentrale Fragen für die aktuelle Oberbürgermeisterwahl in Leipzig. Dass auch Regionalpolitiker künftig auf wissenschaftlichen Sachverstand zurückgreifen müssen, ist zumindest in Leipzigs Stadtverwaltung als Botschaft schon angekommen. Denn die Zahlen sind auch Herausforderung: 536.377 Einwohner zählte das Statistische Landesamt für Leipzig im August.

Damit hätte Leipzig rein statistisch seit Jahresbeginn wieder rund 4.500 Einwohner hinzugewonnen. Fast vergessen der Zeitpunkt, als die Dresdner Stadtverwaltung die Jubelmeldung in die Welt schickte, Dresden sei nun die größte Stadt im Freistaat. Dabei hätte man eigentlich immer damit gerechnet, dass Dresden an Leipzig vorbeizieht. Die Geburtenrate in der Landeshautstadt ist nicht nur höher als in Leipzig – sie liegt auch seit Jahren über der Zahl der registrierten Todesfälle.

Doch was Leipzig auszeichnet, ist der deutlich höhere Zuzug aus dem näheren und ferneren Umland. Dresden, im August mit 531.809 Einwohnern registriert, hat nur 2.000 Einwohner als Zuwachs verbuchen können. Was immer noch viel ist. Denn damit sind die beiden Großstädte die wichtigen Wachstumskerne im Land. Chemnitz hat in den acht Monaten seine Einwohnerzahl zumindest einigermaßen stabil halten können – sie ging nur von 243.173 auf 243.070 zurück.

Dafür ist eine der vielen Jubelmeldungen der Staatsregierung aus dem Sommer, die wieder mal einen Wanderungsüberschuss in den Freistaat aufgrund einer exorbitant genialen Landespolitik feierte, das Papier nicht wert, auf dem sie verfasst wurde. Denn die Zuwanderung resultiert weder aus einem wirtschaftlichen Aufschwung noch aus einer besonderen Attraktion des Freistaates. Sie resultiert schlicht aus den gestiegenen Studienanfängerzahlen – die man freilich im zuständigen Wissenschaftsministerium so geflissentlich ignoriert, dass es schon längst peinlich ist.

Der Rest des Landes ist schlichtweg mit Abwandern und Aussterben beschäftigt. Das fällt aufgrund der gestiegenen Studierendenzahlen nur nicht so auf.

Tatsächlich schrumpfte der Freistaat auch von Dezember bis August weiter – von 4.137.051 Einwohnern auf 4.128.328. Darin verstecken sich dann die innersächsischen Abwanderungen aus den düpierten Landkreisen in die Großstädte. So verloren auch die beiden Landkreise Leipzig und Nordsachsen in den acht Monaten wieder zusammen rund 2.000 Einwohner.Rezepte, dieser Entwicklung gegenzusteuern, findet man nicht. “Demografie als Chefsache”, hat zwar die Sächsische Regierung erklärt. Welcher Witz hinter der Aussage steht, hat man in Dresden aber noch nicht so recht begriffen. Denn Demografie ist erst einmal nichts anderes als die Darstellung der Entwicklung. Das tut die sächsische Staatsregierung mit einer Akribie, die schon bewundernswert ist. Auf dem “Demografiemonitor” kann man sich das Ausbluten des Landes Ort für Ort grafisch eindrucksvoll vor Augen führen.

Es gibt seit 2010 auch ein Handlungskonzept, in dem sogar einige wichtige Grundsätze stehen – vom familienfreundlichen Lebensumfeld über zukunftsfähige Arbeitsplätze bis zu “lokaler oder regionaler Autonomie”. Eine Vokabel, mit der man Lokalpolitiker entweder zum Erbleichen oder zum Lachen bringen kann. Kaum ein Bundesland hält seine Kommunen derart an der Kandare, wie es Sachsen tut. Was dann die Spielräume bei der Gestaltung des demografischen Wandels vor Ort fast auf Null reduziert. Für Leipzig leidlich thematisiert: der Neubau von Kindertagesstätten und von dringend benötigten Schulen, der barrierefreie Umbau von Straßen und Wegen und öffentlichen Einrichtungen …

Man weiß in Dresden sehr wohl, dass die Verantwortlichen vor Ort am besten wissen, welche Weichenstellungen am dringendsten angeraten, welche Investitionen zuerst nötig sind. “Der demografische Wandel forciert Ausdünnungs- und Konzentrationsprozesse. Deshalb kommt den Zentralen Orten bei strukturpolitischen Entscheidungen eine besondere Bedeutung zu. Die großstädtischen Oberzentren und die regionalen Ober- und Mittelzentren sollen als Wachstumszentren in ihrer Arbeitsplatzbedeutung gestärkt werden, so dass sie als Versorgungs-, Bildungs- und Arbeitsmarktzentren den ländlichen Raum in seiner Entwicklung stabilisieren”, heißt es im 11. Leitsatz zum Beispiel. Von einer echten Stärkung kann Leipzig auch zwei Jahre später noch träumen.

Genauso wie von dem halben Versprechen aus Leitsatz 9: “Probleme müssen dort gelöst werden, wo sie auftauchen. Damit Entwicklungshemmnisse vor Ort abgebaut werden, ist es notwendig, die lokale oder regionale Autonomie zu erhöhen und regionale Entscheidungsfreiräume zu eröffnen.”

Wer sich darauf beruft, erntet in Dresden ganz verschlossene Gesichter. Denn dort hat man einem ganz anderen Leitsatz die oberste Priorität eingeräumt. Leitsatz 6: “Der demografische Wandel engt die finanziellen Handlungsspielräume des Landes und der Kommunen ein und führt zu deutlichen Ausgabeverschiebungen. Die Lösungsvorschläge für die strategischen Ziele auf Landesebene sowie kommunale Entscheidungen gründen deshalb auf einer generationengerechten Haushaltspolitik und nachhaltigen Finanzausstattung des Landes und der Kommunen.”

Generationengerechte Haushaltspolitik heißt danach: Jahr um Jahr werden aus dem Staatshaushalt über 1 Milliarde Euro abgezweigt und “auf die hohe Kante” gelegt – in den Generationsfonds gesteckt oder in den Vorsorge-Fonds für die Ausfälle der Sachsen LB. So werden wichtige Investitionen, die jetzt noch möglich wären, immer weiter vertagt. Leipzig ist dabei nicht die einzige Kommune, die mittlerweile einen Milliardenberg dringender Sanierungen vor sich her schiebt.

Die August-Zahlen sind freilich – wie alle Zahlen der letzten Jahre – nur vorläufige. Irgendwann Anfang 2013 werden die Zahlen auf Grundlage des Zensus 2011 neu berechnet und sehr wahrscheinlich auch überall nach unten korrigiert. Aber eines wird auch die Korrektur nicht ändern: den anhaltenden Wegzug aus den Landkreisen und die Rettungsbewegung in die verbliebenen Großstädte.

Zum Demografie-Monitor: www.demografie.sachsen.de

Das “Handlungskonzept” der Staatsregierung: www.demografie.sachsen.de/download/Handlungskonzept_Demografie.pdf

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