Leipzig ist eine Stadt im Übergang. Das versuchen auch diverse Dokumente der Stadt in den letzten Jahren immer wieder zu beschreiben - vom Integrierten Stadtentwicklungskonzept (Seko) bis zur "Leipzig Charta", welche erstmals ein Bild der kompakten, europäischen Stadt und ihrer Stadtgesellschaft zu beschreiben versuchte. Natürlich hat das Konsequenzen. Nur welche?
Politik begreift sich ja oft gern als Gestalterin. So nach dem Schema: Ich entwerfe ein Gesetz und steuere damit das große Schiff in die richtige Zukunft. Der Streit entbrennt zumeist schon dann, wenn die Frage ansteht: Welche Zukunft? Denn jede Richtungsänderung hat Folgen – gibt den einen bessere Zukunftsperspektiven und nimmt anderen ein bisschen was von ihrem angehäuften Reichtum. Der Verzicht ist nicht nur ein Thema für Zukunftsvisionen. Der Verzicht ist längst Teil des Systems. War er übrigens schon immer. Denn überall, wo Menschen umverteilen, müssen Teile der Gesellschaft verzichten. Die Gesetzgeber sagen es nur nie dazu.
Ein Sprichwort bringt diese Handhabe schon seit Jahrhunderten auf dem Punkt: Des einen Uhl ist des anderen Nachtigall.
Manchmal zeigen sich die falschen Folgen schon binnen weniger Jahre. Manchmal häufen sie sich und das Ganze entwickelt sich zu einem unentwirrbaren Knoten. Erst recht dann, wenn die “alten” Entwicklungen die neuen Entwicklungen überdecken oder gar ausbremsen. Weiterhin Thema: die kompakte Stadt. Auch gern mal “Stadt der kurzen Wege” genannt. Die sich durch dichte Infrastrukturen, hohe Lebensqualität, ausgeglichene Altersverhältnisse (von jung bis alt), intakte Quartiere und nachhaltigen Umwelt-, Luft- und Klimaschutz auszeichnet.
Nur zur Erinnerung: Von 1990 bis 1998 geriet Leipzig kurzzeitig aber mit anhaltenden Folgen in den bundesdeutschen Trend der Suburbanisierung. Binnen weniger Jahre bekam die Stadt einen Speckgürtel aus Einkaufscentern, Büro-, Wohn- und Gewerbeparks – und verlor dabei über 40.000 Bewohner allein an die angrenzenden Gemeinden und Landkreise. Diese ganzen suburbanen Strukturen stehen heute noch. Bei den Wohnparks zeichnet sich nach 15 Jahren ihre erste Krise ab. Denn man kann zwar einzelne Nutzungsarten in solche Center vor die “Tore der Stadt” hinaus exportieren – aber man kann nur rudimentär auch die nötigen Infrastrukturen mitexportieren. Der Grund ist simpel: Es ist unbezahlbar. Was übrigens selbst im reichen deutschen Süden so manche dieser Wohninseln im Grünen so langsam zu Abrisskandidaten macht.
Denn die Ersten, denen die kompakten Infrastrukturen fehlen, sind die jungen Leute. Problem Nr. 1 können die jungen Eltern meist noch mit großem logistischem Aufwand lösen: die Kinder jeden Morgen zur Kita in der Stadt oder später zur Grundschule zu transportieren. Bei Mittelschule und Gymnasium beginnt schon die ÖPNV-Nutzung der Jugendlichen. Sie werden unabhängiger. Und mit dem Schulabschluss steht die Frage: Wohin? Denn die Entscheidung für den Ausbildungsort ist fast immer auch die Entscheidung für alles, was danach kommt – Familiengründung, Arbeitsuche, eigenes Netzwerk.Das ist die stille Triebfeder, die Leipzig seit nunmehr 12 Jahren wachsenden Zuzug aus der ganzen Region beschert. Ein Zuzug, der direkt ins Herz der Stadt geht. Ein knallgrünes Herz, wie es auf dem Titelblatt des “Ortsteilkatalogs 2012” zu sehen ist, wo nicht nur die Zuzüge die Wegzüge deutlich überragen, sondern auch die Geburten in etlichen Ortsteilen über die gezählten Todesfälle hinaus wachsen lässt. Wie im Waldstraßenviertel, wo 2011 auf 103 Sterbefälle 170 Geburten kamen. Oder Neustadt-Neuschönefeld, wo es auf 70 Sterbefälle 135 Geburten gab.
Muss man die Südvorstadt (wo ein paar genervte Architekten gegen eine Kita-Erweiterung kämpfen) noch extra erwähnen? – 2011 kamen hier auf 143 Todesfälle 394 Geburten. Dasselbe Bild in Schleußig: Auf 52 Sterbefälle kamen 224 Geburten. Im Ortsteilkatalog gibt es auf Seite 309 eine Karte, die das Ganze in Rot und Grün gemalt zeigt – Rot für ein Minus, wenn man die Sterbefälle von den Geburten abzieht, Grün für ein Plus. Je dunkler, umso stärker. Man sieht hier sehr genau, wo das Kita-Platz-Problem am größten ist. In der Mitte natürlich, rechts und links von Auwald und Elster. Unübersehbar hat Lindenau mittlerweile aufgeschlossen zu Schleußig, Südvorstadt & Co. In Altlindenau kamen z.B. 190 Geburten auf 110 Sterbefälle. Man könnte auch groß dranschreiben: Das Viertel ist im Kommen.
Im Osten ist Anger-Crottendorf so ein neuer Hot Spot: 126 Geburten auf 71 Sterbefälle. Man sieht: Es ist überfällig, dass die Wurzner Straße endlich erneuert wird. Solche Prozesse kann man nicht künstlich initiieren – aber man kann sie unterstützen, indem man die Infrastrukturen stärkt.
Und wie sieht es im Norden aus, wo die Georg-Schumann-Straße sich als EU-Förderprojekt mausern soll? – Die Entwicklung ist längst im Gang. Neben Gohlis-Süd ist auch Gohlis-Mitte mittlerweile zu einem Ortsteil mit echtem Geburtenplus geworden. Auf 99 Sterbefälle kamen hier 2011 immerhin 206 Geburten, in Gohlis-Süd übrigens 271 Geburten auf 104 Todesfälle.
Wenn dann auch noch die Bewegung aus Zu- und Wegzügen drübergelegt wird, weitet sich der “Grüngürtel” im Herzen der Stadt natürlich aus. Aber – und das gibt den Stadtplanern durchaus zu denken – er erfasst die Großwohnsiedlung Grünau noch immer nicht. Die Bewegung endet wie abgeschnitten in Neulindenau. Vielleicht ist das der Grund, warum OBM Burkhard Jung so beharrlich daran festhält, um den Lindenauer Hafen herum ein neues Wohngebiet aus dem Boden zu stampfen. Vielleicht hofft er darauf, dass die Welle dann überschwappt auf Grünau.
Aber die Frage ist – wie oben: Kann man so eine gewünschte Entwicklung initiieren? Kann verstärkte Bautätigkeit helfen, die Bevölkerungsentwicklung in bestimmte Stadtgebiete zu lenken?
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Karten zum Baugeschehen gibt es auch im Ortsteilkatalog. Es wird noch gebaut in Leipzig. Aber tatsächlich nicht viel. Und praktisch kaum im inneren Stadtgebiet. Was nach wie vor den selben Grund hat: Es gibt noch genug Gründerzeitbausubstanz, die noch saniert werden kann und muss. Und wer in die oben genannten Geburten-Boom-Viertel schaut, sieht die Sanierungsgerüste stehen. Nicht so viel wie vor zehn Jahren. Aber es lohnt sich jetzt auch mit eher problematischen Gebäuden, sie wieder instand zu setzen. Neu gebaut wird nur an wenigen Punkten – und dann in der Regel kleine Stadthäuser. Gohlis-Süd ist so ein Brennpunkt der Stadthaus-Bauer geworden. Die Südvorstadt ein bisschen, etwas mehr in Connewitz.
Doch die meisten Einfamilienhäuser werden nach wie vor am Stadtrand gebaut. Selbst in Wohnlagen wie Wiederitzsch und Seehausen, die längst ein massives Fluglärmproblem haben.
Das ist einer der Trends, der noch nachwirkt aus der Suburbanisierungs-Phase. Er wirkt auch deshalb nach, weil diese Baugebiete vor 15 Jahren alle erschlossen wurden und wesentlich preiswerter sind als Baugrundstücke im Stadtkern. Wer den Traum vom Eigenheim immernoch träumt, steht vor einer simplen finanziellen Entscheidung. Aber da geht es ihm wie dem Leipziger als Konsumenten. Denn auch im Einzelhandel überlagern sich die alten Trends mit den neuen. Mit dem Manko: Die alten dominieren das Geschehen. Mit erheblichen Folgen.
Also morgen mehr zur Leipziger Center-Politik. Hier an dieser Stelle.
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