Das Besondere am "Ortsteilkatalog 2012" ist der neue Kartenteil, der viele der für Leipzig wichtigen Themen noch einmal in der Übersicht präsentiert - von der Erwerbslosigkeit über den Autobesitz bis zur Verteilung der Kindertagesstätten und Einkaufsflächen. Ein Merkmal aber vermisst man in diesem Kartenteil: das Durchschnittseinkommen in den Ortsteilen. Auch wenn es mancher nicht wahr haben will: die Segregation in Leipzig ist längst im Gang.
Nicht so ausgeprägt wie andernorts – das Gefälle zwischen Reich und Arm ist nicht so stark wie etwa in westdeutschen Kommunen. Aber spätestens ab 1998 ging auch in Leipzigs Stadtgebiet die Entmischung los. Nicht im oft so verstandenen negativen Sinn als “Ghettoisierung” der armen und sozial schwachen Bevölkerungsteile. Dagegen arbeitet die Stadtverwaltung seit den 1990er Jahren intensiv an – und hat sich auch entsprechend deutlich geäußert, als die schwarzgelbe Bundesregierung ausgerechnet das Programm “Soziale Stadt” zusammenstrich, mit dem nicht nur ostdeutsche Städte bislang erfolgreich Gegenstrategien in problembehafteten Stadtteilen entwickeln konnten.
Aber Segregation heißt eben auch: Menschen ziehen – wenn sie es sich leisten können – in Wohnviertel mit besonderen Qualitäten. Das markanteste Beispiel dafür ist in Leipzig traditionell das Waldstraßenviertel, von der Statistik als Zentrum-Nordwest einsortiert. Hier kommt zur seit 1998 vorbildlich sanierten großbürgerlichen Gründerzeitarchitektur (mit entsprechend opulenter Ausstattung der Wohnungen) die direkte Nachbarschaft zum Rosental und zum Leipziger Gewässersystem, verbunden mit kürzester Entfernung zur City.
Hier wurden Straßenzüge schon frühzeitig von Investoren aufgekauft und saniert, weil sich der Weiterverkauf der Wohnungen als Geldanlage lohnte. Eine Wohnung im Waldstraßenviertel konnte man auch in München oder Düsseldorf zum Kauf anbieten. Der Käufer tat einen guten Kauf. Im Ergebnis waren die Mieten im Waldstraßenviertel schon vor zehn Jahren etwas höher als im Stadtdurchschnitt. Und es zogen bevorzugt jene zehn Prozent der Leipziger hin, die gut und besser verdienten.Und so kann das Amt für Statistik und Wahlen zum “Ortsteilkatalog 2012” auch verkünden: “Die am besten verdienenden Leipzigerinnen und Leipziger sind in Zentrum-Nordwest zu Hause, wo das persönliche monatliche Nettoeinkommen durchschnittlich 1.460 Euro beträgt.”
Das durchschnittliche, wohlgemerkt. Es leben auch noch etliche Leipziger dort, die 1989/1990 dafür kämpften, das vom Verfall bedrohte Quartier zu retten.
Zum Vergleich: Das durchschnittliche Nettoeinkommen der Leipziger lag 2011 bei 1.066 Euro. So ergab es die damalige Bürgerumfrage. Und der Prozess, der um 1998 begann, ist noch lange nicht beendet. Im Waldstraßenviertel geht die Entmischung weiter. Allein von 2008 bis 2011 stieg das Durchschnittseinkommen hier von 1.080 auf besagte 1.406 Euro, das Haushaltseinkommen sogar von 1.512 auf 2.131 Euro.
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Damit hebt sich das Waldstraßenviertel deutlich vom Stadtgebiet ab. In den meisten innerstädtischen Quartieren bewegen sich die Durchschnittseinkommen zwischen 900 und 1.100 Euro. Wirklich drüber kommen nur Stadtquartiere, die sich mittlerweile auf einem ganz ähnlichen Weg befinden wie das Waldstraßenviertel. Im Zentrum-Ost (mit dem Grafischen Viertel) stieg das Durchschnittseinkommen seit 2008 von 1.078 Euro auf 1.266 an. Und so ganz klammheimlich hat sich das noch bis 2000 in einem katastrophalen Zustand befindliche Plagwitz zu einem Wohnort für Besserbetuchte entwickelt, die hier natürlich direkt an den attraktiven Gewässern leben können. Ihr Durchschnittseinkommen stieg in den drei Jahren von 1.023 Euro auf 1.225 Euro. Eine ähnliche Entwicklung hat Gohlis-Mitte genommen, Zentrum-Süd und Südvorstadt sind auf dem Weg dahin, genauso wie Gohlis-Süd.
Fast hätte man in dieser Reihe auch Schleußig vermutet. Aber in Schleußig ist ein erstaunlicher Trend zu beobachten: Das 2008 noch stolze Nettodurchschnittseinkommen von 1.328 ist auf 1.165 Euro gesunken. Dafür gibt es beim Haushaltseinkommen das Phänomen: Es ist von 1.538 auf 2.020 gestiegen. Was ja dann wohl irgendwie mit der Geburtenfreude im Ortsteil zu tun hat: Die vorher nicht schlecht verdienenden Singles haben geheiratet und Familien gegründet. Und weil man die Familienlogistik irgendwie abwickeln muss, auch wenn Kitas und Schulen auf der Insel fehlen, haben sich viele noch ein Auto angeschafft. Allein seit 2011 stieg der Pkw-Bestand in Schleußig von 4.293 auf 4.376. Die Schleußiger wissen, wo diese zusätzlichen 83 Autos herumstehen.
Aber auch die Leute im Waldstraßenviertel, wo es mit Stellplätzen genauso mau aussieht, haben 2011 weitere Autos angeschafft – der Bestand stieg hier binnen eines Jahres von 3.591 auf 3.751. Was natürlich auch hier die Stellplatz-Debatte in ein etwas anderes Licht rückt. Das Waldstraßenviertel lag damit bei 314 Pkw auf 1.000 Einwohner, Schleußig bei 319.
Womit man bei der Frage wäre: Die reichen Viertel hat man nun gesehen – aber wie sieht es in den armen Vierteln aus? Denn Segregation hat ja auch dann, wenn nur die Reicheren in bestimmte Viertel wegziehen, ihre zwei Seiten.
Die zweite Seite beleuchten wir morgen an dieser Stelle.
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