Ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf sorgt seit dem 14. November für Furore: Der 3. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hatte an diesem Tag festgestellt, dass die Befreiung stromintensiver Unternehmen von den Netzkosten in der aktuellen Form möglicherweise nicht gesetzeskonform ist. Der Senat hat im Rahmen der Begründung zu erkennen gegeben, dass es an einer ausreichenden Rechtsgrundlage für die Befreiung stromintensiver Unternehmen von den Netzentgelten fehlen könnte.
Heißt: Der am 4. August 2011 in Kraft getretene § 19 Abs. 2 der Stromnetzentgeltverordnung könnte vor Gericht keinen Bestand haben. Eigentlich regelt er, dass stromintensive Unternehmen von der Zahlung der Netzentgelte befreit werden können. Aber irgendwie nicht nur die.
Das Gericht erläutert in seiner Mitteilung auch noch einmal genau, was dann passiert: “Netzkosten im deutschen Stromnetz geben die Netzbetreiber an die Stromversorger und diese über den Strompreis an den Endnutzer, Verbraucher oder Unternehmen, weiter. Das Nettonetzentgelt macht etwa 20 % des Haushaltskundenstrompreises aus (Jahresbericht 2011 der Bundesnetzagentur). Auf Antrag – nach Auffassung der Bundesnetzagentur auch rückwirkend ab dem 01.01.2011 – können sich Unternehmen von den Netzentgelten befreien lassen, wenn sie mehr als 7.000 Arbeitsstunden und 10 Gigawatt Strom pro Jahr abnehmen. Die für die Netzbetreiber entstehenden Einnahmeausfälle werden ab dem Jahr 2012 dadurch ausgeglichen, dass die an sich von den stromintensiven Betrieben zu zahlenden Netzentgelte bundesweit auf die übrigen Endkunden umgelegt werden.”
Heißt im Klartext: Die Kleinverbraucher, die diese Stromabnahmen nicht erreichen, zahlen die Netzentgelte der “Großen” mit.
Insbesondere den ab 2012 geltenden Regelungen gegenüber hatte das Gericht erhebliche Bedenken. “Anders als ab dem Jahr 2012 werden für das Jahr 2011 die Netzkosten aber nicht bundesweit umgelegt. Vielmehr werden die Einnahmeausfälle von den Endverbrauchern desjenigen Netzbetreibers getragen, über den das jeweilige stromintensive Unternehmen seinen ‘netzkostenfreien’ Strom bezogen hat”, so das Gericht. Was genau das Gericht entscheiden wird, steht noch nicht fest. Die mündliche Verhandlung dazu ist am 6. März 2013.Aber schon die Aufweichung der Regeln für eine Befreiung von den Netzentgelten hat 2011 zu einem sprunghaften Anstieg der Antragsverfahren geführt. “Mit der Befreiungsmöglichkeit von den Netzentgelten und den diffusen Kriterien hat die Regierung Merkel die Scheunentore weit geöffnet”, kritisierte die Grünen-Bundestagsfraktion noch am 14. November. “Die Umlage für die privaten Verbraucher ist explodiert und so wird das in den nächsten Jahren weiter gehen. 1.300 weitere Firmen haben bereits Anträge gestellt und warten darauf, dass die privaten Haushalte für sie mit bezahlen. Unter anderem Golfplätze, die Deutsche Börse in Frankfurt oder mehr als 100 industrielle Mastbetriebe. Bereits befreit sind aktuell ALDI, Allianz, 1&1 oder Pharmaunternehmen.”
Genauer: Nach der Gesetzesänderung im August 2011 ist die Zahl der Antragsteller explodiert. Nach 68 Anträgen im Jahr 2010, die tatsächlich vorrangig von energieintensiven Betrieben kamen, schwoll die Zahl der Anträge 2011 auf 1.553 an. 2012 kamen noch einmal 1.277 zusätzliche Anträge dazu. Die Kosten für die Verbraucher summieren sich für die Anträge aus dem Jahr 2011 allein auf 805 Millionen Euro. Die Steigerung durch die 2012er Anträge wird erst im Oktober 2013 bekannt gegeben. Aber der Kostenblock, der auf die kleinen und mittleren Verbraucher umgelegt wird, wird deutlich über 1 Milliarde Euro liegen.
Schon 2011 nutzten zahlreichen Ladenketten die Möglichkeit, ihre Stromkosten auf diese Weise zu drücken – unter den Antragstellern findet man Aldi und Netto, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber auch der Freizeitpark Ferropolis nutzte die Gelegenheit, für sich eine Stromkostenminderung zu beantragen.
Auch zwei Leipziger Antragsteller findet man in diesem Jahr. Beide machen durchaus Sinn. Das Gießereiunternehmen Georg Fischer GmbH in Großzschocher ist tatsächlich der größte Stromabnehmer in Leipzig und exemplarisch das, was man sich unter einem stromintensiven Unternehmen tatsächlich vorstellt.
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Beantragt hat auch das Universitätsklinikum Leipzig eine Befreiung von den Netzentgelten. Auf die 7.000 Stunden am Netz kommt das Klinikum natürlich locker. Beide haben ihre Befreiung von den Netzentgelten noch bei der Stadtwerke Leipzig Netz GmbH beantragt, daraus ist mittlerweile die Netz Leipzig GmbH geworden.
Schon 2010 hat ein bekanntes Zeitungshaus die Chance für sich entdeckt, dass man sich von den Netzentgelten (zum Teil) befreien kann: die Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG. Das ist die Muttergesellschaft der Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft mbH & Co. KG. Die findet man dann in der 2012er Antragsliste, die die Bundesnetzagentur veröffentlicht hat. In trauter Gesellschaft mit der “Ostthüringer Zeitung” (OTZ) und der Rhein-Zeitung.
Womit dann wohl eher nicht die Stromkosten im Verlagshaus gedämpft werden sollen, sondern die in der verlagseigenen Druckerei in Stahmeln. Aber steht die im internationelen Wettbewerb?
www.swl-netz.de
Die Pressemitteilung des OLG Düsseldorf: www.olg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/presse/Presse_aktuell/2012-11-14_pm_netzentgelte_eilverfahren/index.php
Die Stellungnahme der Grünen: www.gruene-bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2012/november/netzentgelte-bundesregierung-muss-subventionen-rueckgaengig-machen_ID_4386290.html
Die Liste der Anträge auf individuelle Netzentgelte findet man auf der Seite der Bundesnetzagentur: www.bundesnetzagentur.de/cln_1931/DE/DieBundesnetzagentur/Beschlusskammern/BK4/Pargra_19Abs2Satz2/NetzentgelteParagr19Abs2_Satz2_bkv_node.html
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