Bei dieser Nachricht wurden auch überregionale Medien wach, die sich mit den Sanktionen in den deutschen Jobcentern noch nie beschäftigt hatten: Erstmals wurden von den Jobcentern innerhalb von 12 Monaten mehr als eine Million Sanktionen verhängt und statistisch erfasst, stellte das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) am 12. November fest.

Die Bundesagentur für Arbeit hatte die neuesten Zahlen veröffentlicht. Danach wurden von August 2011 bis Juli 2012 insgesamt 1,017 Millionen Sanktionen “neu festgestellt” – 38,4 Prozent (282.145) mehr als im Jahr 2009. Der scheinbar unaufhaltsame Anstieg von Kürzungen des “menschenwürdigen Existenzminimums” (Bundesverfassungsgericht) begann mit dem Amtsantritt von Ursula von der Leyen (CDU) als Bundesministerin für Arbeit und Soziales am 30. November 2009, stellt Paul M. Schröder vom BIAJ fest und zitiert eine Schlagzeile, die ein Interview mit der “Bild” am 10. Januar 2010 zierte: “Faule Arbeitslose härter anpacken!”

In diesem “Bild”-Interview wurde Bundesministerin Ursula von der Leyen unter anderem gefragt: “Muss es härtere Sanktionen für Hartz IV-Empfänger geben?” Die Antwort der für die Umsetzung des SGB II (Hartz IV) zuständigen Bundesministerin: “Es gibt schon genügend Sanktionsmöglichkeiten. Das Problem ist eher, dass diese unterschiedlich konsequent angewendet werden. In einigen Kommunen funktioniert das gut, in anderen nicht. Hier werden wir bei der Reform der Jobcenter darauf hinwirken, dass die Sanktionen, die wir haben, auch überall genutzt werden.”

In den Jahren vor ihrem Amtsantritt als Bundesministerin für Arbeit und Soziales war die Zahl der statistisch erfassten “neu festgestellten Sanktionen” von 777.479 im Jahr 2007 auf 735.342 im Jahr 2009 gesunken. Seitdem stieg die Zahl der statistisch erfassten “neu festgestellten Sanktionen” scheinbar unaufhaltsam: auf 829.375 im Jahr 2010, auf 912.185 im Jahr 2011 und auf 1.017.487 in den 12 Monaten von August 2011 bis Juli 2012.

Schröder betont zwar: Die Zahl der “neu festgestellten Sanktionen” gibt keinen Hinweis auf die Zahl der von den Sanktionen betroffenen Menschen. Aber der Blick ins Zahlenwerk zeigt: Auch der Anteil derjenigen, die vom Jobcenter sanktioniert werden, hat sich erhöht.

Und das, obwohl der Bestand an registrierten Arbeitslosen in ALG II seitdem permanent gesunken ist. Auch in Sachsen und Leipzig.In Sachsen sank die Zahl der erwerbslosen ALG-II-Bezieher von 387.669 im Jahr 2009 auf 326.376 im Juli 2012, der Anteil der sanktionierten Personen stieg von 12 auf 21,6 Prozent.

Leipzig war bei den Sanktionen in letzter Zeit immer ganz vorn dabei. Darüber hat die L-IZ mehrfach berichtet. Während die Zahl der erwerbslosen ALG-II-Bezieher im genannten Zeitraum von 62.738 auf 56.944 sank, stieg die Zahl der Sanktionen von 10.879 auf 18.732. Lag die Sanktionsquote 2009 “nur” bei 17,3 Prozent, erreichte sie im Sommer 2012 schon 33 Prozent.

Die meisten Sanktionen wurden wegen “Meldeversäumnissen beim Träger” (66,9 %) ausgesprochen.

Mit einer Sanktionsquote von 33 Prozent liegt Leipzig unangefochten an der Spitze aller Großstädte. Zeichen wohl auch dafür, dass auch der zusätzliche Druck der Stadt selbst, die Kosten zu minimieren, hier eine Rolle spielt und eine eigene – auf das ursprünglich mal so gern postulierte “Fördern” ausgerichtete Politik gar nicht mehr stattfindet. Der Boom der Billigarbeitsplätze in Leipzig ist auch Ergebnis der Sanktionspolitik: Wer sich weigert, eine unzumutbare Arbeit aufzunehmen, wird sanktioniert. Wer sich weigert, eine sinnlose Schulung zu absolvieren (oder die dritte oder vierte sinnlose Schulung), wird sanktioniert. Wer sich nicht richtig, nicht pünktlich oder unvorbereitet beim Maßnahmeträger meldet – und wenn es nur der städtische Eigenbetrieb in Engelsdorf ist, wird sanktioniert, wer nicht genug Bewerbungen vorweisen kann, egal, wie sinnlos sie sind, wird sanktioniert …

Und Paul M. Schröder sieht schwarze Wolken am Horizont: “Es ist zu befürchten, dass die Bundesministerin bei vielen Jobcentern noch einen erheblichen Spielraum nach oben sieht.” Dass die Bundesarbeitsagentur, die quasi der verlängerte Arm der Arbeitsministerin in den diversen Jobcentern ist, nur Tage später alle Ressourcen bündelt, um rechnerisch nachzuweisen, wie irrsinnig teuer die Forderung der Grünen nach einer Aufstockung des ALG II auf 420 Euro wäre, spricht Bände.

374 Euro im Monat sind es derzeit, ab 1. Januar sollen es 382 Euro sein. Das ist bestenfalls die Inflationsrate, die damit ausgeglichen wird.

Der Beitrag der “Süddeutschen” zu den Rechenkünsten der Bundesarbeitsagentur: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/forderung-nach-erhoehung-der-hartz-iv-saetze-milliarden-fuer-die-menschenwuerde-1.1529831

Die BIAJ-Statistik: http://biaj.de/images/stories/2012-11-12_eine-million-sanktionen-hartz-iv-bmas-von-der-leyen.pdf

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