Normalerweise lernt man in der Schule, Reihen fortzuschreiben und Kurven zu berechnen, wenn man die Ausgangsparameter besitzt. Ein paar Mathematiker sind in einer Regierung nicht wirklich fehl am Platz. Aber wahrscheinlich ist das Gefühl so falsch nicht, dass diese Leute in deutschen Regierungskanzleien eher unerwünscht sind. Politik wird immer noch gern nach dem Muster ausprobiert: Was kümmern uns die Sorgen künftiger Legislaturperioden?

Und die Grundlagen für die immer mehr sichtbaren finanziellen Verschiebungen im Land wurden alle schon vor Jahren gelegt. Dass sich Entscheidungen wie die zur “Flexibilisierung des Arbeitsmarktes” genauso auf die Einkommenssituation vieler späterer Ruheständler auswirken würden wie jene zu den diversen Rentenberechnungen, wissen die “Macher” eigentlich. Nur ist ihnen der kurzfristige Effekt meist wichtiger als die möglichen dramatischen und teuren Folgen.

Die in der Regel da sichtbar werden, wo eine Gesellschaft sowieso keine Netze mehr hat. Ganz unten. Der sozialpolitische Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Dr. Dietmar Pellmann, hat die Landesregierung gefragt, wie es um die Versorgung der ganz Armen mit Wohngeld und Grundsicherung steht. Sozialministerin Christine Clauß und Innenminister Markus Ulbig haben ihm geantwortet, die eine zur Grundsicherung, der andre zum Wohngeld. Und was Pellmann die ganze Zeit kommen sah, kommt auch: Die Zahl der Bedürftigen steigt. Jahrelang verzwickte Berufskarrieren und miese Entlohnungen zeigen ihre Wirkung. Immer mehr Sachsen sind auch im Alter auf gnädige Hilfe des Staates angewiesen.

“Gründe dafür, dass die allgemeine Armutsquote in Sachsen auf 19,6 Prozent gestiegen ist und damit sogar leicht über dem Durchschnitt der neuen Bundesländer liegt, werden nunmehr durch statistische Teildaten für Ende 2011 erhellt”, stellt Pellmann nach den beiden Antworten fest. “So stieg die Zahl der auf allgemeines Wohngeld angewiesenen sächsischen Haushalte von 2010 zu 2011 um 4.342 auf 84.530, was nunmehr einem Anteil von 3,8 Prozent aller Haushalte entspricht. Hierbei handelt es sich in der Regel um Haushalte mit einem Einkommen weit unter der Armutsgrenze, aber geringfügig über der offiziellen Bedarfsgrenze des Arbeitslosengeldes II oder der Altersgrundsicherung.”Ebenfalls gestiegen ist die Zahl derjenigen Personen, die Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung erhalten. Waren das 2010 noch 24.682, so Ende 2011 bereits 25.638. “Gegenüber 2005 bedeutet das eine Steigerung um 16 Prozent”, stellt Pellmann fest. “Im gleichen Zeitraum haben sich die Ausgaben für diese Grundsicherungsleistung auf Sozialhilfeniveau sogar um 34,5 Prozent auf mehr als 110 Millionen Euro erhöht, was nicht allein an der gewachsenen Zahl der Bedürftigen, sondern auch an generell gesunkenem Rentenniveau liegt.”

Und damit hat die Entwicklung eigentlich erst begonnen, denn mit jedem neuen Jahrgang, der in Ruhestand geht, wird sich die Zahl derjenigen, die sich niemals einen auch nur knappen Rentenstandard erarbeiten konnten, zunehmen. Die Sozialkosten werden deutlich steigen.

“Bei alledem handelt es sich nicht etwa nur um Vorboten zu erwartender massenhafter Altersarmut, wie Vertreter der Regierungskoalition während der jüngsten Debatte im Landtag schüchtern einräumten, sondern diese Altersarmut ist heute bereits deutlich spürbar”, sagt Pellmann. “Hinzu kommt ein großer Personenkreis älterer Menschen, der aus Unwissenheit oder Scham keine Sozialhilfeleistungen beantragt.”

Und der Anteil der Betroffenen ist nach all den Verwerfungen der letzten Jahre in Leipzig natürlich am größten. Hier bekamen 2011 gesamt 4.038 Einwohner die Grundsicherung, 2.211 davon waren älter als 65 Jahre, zum Vergleich Dresden: Da waren es 3.305 bzw. 1.647.

Wohngeld wurde 2011 an 12.847 Haushalte in Leipzig gezahlt. In Dresden waren es zum Vergleich 10.190. Zwar ist Leipzig in diesen Statistiken etwas mehr betroffen als andere sächsische Regionen. Doch die Antworten der Staatsregierung zeigen auch, dass die Altersarmut in allen Teilen des Freistaats zu einem ernst zu nehmenden Problem wird.

Die Auskünfte von Innenminister Markus Ulbig zum Wohngeld: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=10056&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2

Auskünfte von Christine Clauß zur Grundsicherung: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=10015&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2

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