1999 und 2000 wurde ja ein Teil des in den 1990er Jahren entstandenen Leipziger Speckgürtels eingemeindet. Es waren nicht nur stille Dörfer, die damals der geschrumpften Großstadt zugeschlagen wurden. Es waren auch ganze Wohnparks, die vorher im Rausch der bundesdeutschen Fördermillionen aus wertvollem Ackerboden gestampft worden waren. Draußen vor der Stadt. Im Grünen, wie die Werbeannoncen in der Zeitung versprachen. Einige dieser Wohnlandschaften fallen bis heute auf im Stadtbild.

Unter anderem durch ihre Mietpreise. Denn Neubau wurde in und um Leipzig von Anfang an teurer vermietet. Und er ist noch heute teurer als die durchschnittlichen 5 Euro Nettokaltmiete, die in Leipzig auch 2011 wieder ermittelt wurden. Oder ein wenig anders formuliert: Im Verein mit den wirklich begehrten zentrumsnahen Wohnquartieren sorgt der Neubau dafür, dass in Leipzig überhaupt ein Mietdurchschnitt von 5 Euro erreicht wird.

In den meisten – auch den sanierten – Gründerzeitquartieren liegt die Nettokaltmiete pro Quadratmeter weiterhin zwischen 4 und 5 Euro. Ausnahmen sind im Zentrum mittlerweile Gohlis-Süd, das Waldstraßenviertel, Zentrum Süd, sogar Zentrum Nord und – willkommen im Klub: das Grafische Viertel. Hier liegt der Mietpreisdurchschnitt mittlerweile über 5,50 Euro. Was dann auf einer Karte, die Andrea Schultz ihrem Beitrag “Attraktivität des Wohnviertels” im neuen “Quartalsbericht II / 2012” beigefügt hat, knallrot aussieht.

Knallrot aber sind auch der große Wohnpark Lindenthal (1999 eingemeindet) und die große Wohnanlage in Rückmarsdorf (eingemeindet 2000). Beide Teil des alten Speckgürtels, der bis 1999 recht chaotisch vor sich hinwirtschaftete, Wohnparks genehmigte und Einkaufscenter, die der großen Nachbarstadt Bewohner und Kaufkraft abziehen sollten. Einige Gemeinden im Leipziger Umland machen diese Politik bis heute. Ein Konzept, das auf kurzfristige Zuwächse setzt, aber nicht nachhaltig trägt.

Lindenthal gewinnt zwar weiter Einwohner, während die Einwohnerzahl in Burghausen-Rückmarsdorf schon wieder rückläufig ist. Aber das liegt lediglich daran, dass in Lindenthal weiter gebaut wird. Dafür hat sich das Image des Ortsteils im Leipziger Norden seit 2008 verschlechtert. Woran das liegt, kann die einfache Bürgerumfrage nach der Attraktivität des Stadtteils zwar nicht erhellen. Es kann der Fluglärm sein, es kann die schlechtere Ausstattung mit Infrastrukturen sein.

Zwei auf Leipziger Gebiet gelegene größere Neubaugebiete der 1990er Jahre – Heiterblick und Probstheida – haben auch 2011 noch durchaus hohe Zufriedenheitswerte von über 75 Prozent – verbunden mit hohen Mietpreisen. Plus höheren Altersdurchschnitt. Ein kleines Phänomen. Denn damit nehmen sie eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Neubaugebiete aus der DDR-Zeit, die bei ihren Bewohnern teilweise noch hohe Zufriedenheitswerte haben – doch die Bewohner sind immer mehr älteren Jahrgangs. Man fühlt sich wohl und bleibt da auch im Ruhestand.

Nur die jungen Leute ziehen weg. Am liebsten in jene Quartiere direkt am Auwald, die in Leipzig durchgängig die höchsten Attraktivitätsbewertungen bekommen – von Gohlis bis Schleußig. Was dann wieder mit dem Mietpreisen korrelliert und die Tabelle bestätigt, die Andrea Schultz gezeichnet hat: Wer gut verdient, erwerbstätig ist und einen Hochschulabschluss hat, wohnt häufiger als andere in einem Wohnquartier, dass sie oder er als attraktiv empfindet.

Wer hingegen arbeitslos ist und mit weniger als 1.000 Euro auskommen muss, landet öfter in nicht als attraktiv empfundenen Quartieren. Der Prozess der Entmischung ist im Gang, wenn auch noch recht gemächlich. Und vor allem Dingen: akzeptiert. Die Diskussionen um Gentrifizierung wurden in Leipzig erst im letzten Jahr richtig laut, als innerhalb von Ortsteilen, die längst auf dem Weg der Gentrifizierung sind, einige attraktive Wohnquartiere recht unsanft freigelenkt und zur Sanierung freigegeben wurden.

Was beim in Leipzig gültigen Mietniveau eigentlich kein Thema sein dürfte. Dass es dennoch zu heftigen sozialen Konflikten kam, hat schlicht damit zu tun, dass das Lohnniveau gerade bei jüngeren Leipzigern noch deutlich unter den Möglichkeiten liegt, irgendwo 5 Euro pro Quadratmeter zahlen zu können. Es werden zwangsläufig jüngere und sozial schwächere Bewohner verdrängt. Was gerade in attraktiven Wohnquartieren wie der Südvorstadt dazu führt, dass sich gerade ein junges, kreatives und nicht betuchtes Klientel vertrieben und verdrängt fühlt.Noch ist die Südvorstadt ein ganz besonderes Viertel mit vielen Ein-Personen-Haushalten und auch vielen Patchwork-Gemeinschaften. Das fällt sogar auf, wenn das Leibniz-Institut für Länderkunde das Quartier mit Wohnstandorten in Halle (Heide-Süd), Naunhof, Baalsdorf oder gar Großkugel-Gröbers vergleicht. Während dort recht homogene Strukturen an Haushaltstypen zu finden sind mit auch recht gemischten Einkommenssituationen, fällt die Südvorstadt gleich mehrfach aus dem Rahmen. Nicht nur bei Haushaltstypen, die voller Übergänge und Veränderungen stecken, sondern auch bei Einkommen (geprägt von der eher prekären Situation von Studierenden) und natürlich erst recht bei der Bildung. Nur 17 Prozent der in der Südvorstadt Lebenden haben kein Abitur.

Das eigentliche Problem, wie die drei Leibniz-Autoren in diesem Beitrag zeigen, ist weder die Multilokalität (Wohnort ist nicht gleich Arbeitsort usw.) oder die Kunst, in der (Klein-)Familie die Erwerbsarbeit zu (ver-)teilen, sondern die mögliche Umzugsperspektive. Während man etwa im neugebauten Heide-Süd durchaus mehrere Alternativquartiere in Betracht zieht (auch außerhalb der Stadt Halle), wenn man denn umziehen solle, haben Menschen, die in der Leipziger Südvorstadt wohnen, geradezu Panik, auch nur überlegen zu müssen, dieses Wohnquartier zu verlassen.

Logischerweise sind ganze Wohngegenden in Leipzig für die meisten Südvorstädter tabu – der Leipziger Osten genauso wie Grünau und zum Teil der Leipziger Norden. Aber auch irgendeine Wohnung außerhalb der Stadt. Was zumindest darauf hindeutet, dass die Südvorstadt über Qualitäten verfügt, die sie auch für andere Stadtquartiere zum Vorbild machen könnte.

Die Leibniz-Forscher haben die Bewohner der fünf Wohnstandorte 2011 auch nach ihrer Wahrnehmung der Quartiersqualitäten gefragt. Natürlich fällt da die Südvorstadt auf. Sie wird als besonders fortschrittlich erlebt, als anziehend, jung, grün, reich und sogar als besser gepflegt als die anderen Wohnorte. Der Gegenentwurf ist eigentlich die Schlafgemeinde Gröbers, wo es den Architekten tatsächlich gelungen ist, auf goldener Ackerkrume einen besonders monotonen, abstoßenden (ja, auch das war ein Kriterium, das die Bewohner bewerten mussten), grauen und armen Ort zu schaffen. Man denkt unwillkürlich an Bettina Baltschews Buch “Last exit Schkeuditz West”.

Schkeuditz West, das ist die S-Bahnstation praktisch mitten auf dem Feld, die dem “Globana Trade Center” am nächsten liegt. Die nächste Haltestelle Richtung Halle ist dann Großkugel, die übernächste Gröbers.

Zwei Beiträge im “Quartalsbericht” beschäftigen sich explizit mit dem Thema Gentrifizierung – am Beispiel eines Ortsteils, wo die eher schleichende Gentrifizierung Leipzigs eher keine Rolle spielt. 2011 kam er trotzdem wieder in die Schlagzeilen, weil ein paar Neubauprojekte in Connewitz von nächtlichen Farbbeutel- und Teerwerfern angegriffen wurden und zwei Leipziger Medien sofort einstiegen in eine Gentrifizierungsdebatte, die in diesem Fall völlig am Thema vorbei ging.

Was die Infrastrukturdaten betrifft, ist Connewitz ein regelrecht durchschnittlicher Leipziger Stadtteil. Aus jüngeren historischen Gründen heraus ist er etwas jünger als der Stadtdurchschnitt, was auch einen positiven Wanderungssaldo ergibt. Das ist das “Dumme” an attraktiven Stadtteilen: Da ziehen gern viele Leute hin. Und da man sich im Altbau nicht stapeln kann, wird neu gebaut – praktisch alles Einfamilienhäuser. Die “Alt-Connewitzer” werden also nicht verdrängt – sie bekommen nur neue Nachbarschaft. Etlichen gefällt auch das nicht – und sie provozieren Konflikte, die nicht wirklich Sinn ergeben.

Die etwas anderen Erwartungshaltungen in diesem Ortsteil schlagen sich auch seit Langem im Wahlverhalten nieder: Holten hier 1990 noch SPD und CDU die meisten Stimmen, sortieren sich diese beiden Parteien in Connewitz mittlerweile auf Rang 3 und 4 ein. Die meisten Stimmen bei der letzten Stadtratswahl holten hier die Grünen – gefolgt von der Linken. Auch das Zeichen für eine jüngere Bevölkerung, der vor Ort mittlerweile dringendst die Kita-Plätze fehlen.

Womit wir bei der Demografie wären. Und dem erstaunlich steigenden Bedarf an Arbeitskräften in Methusalems Alter. Dazu morgen mehr.

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