Wenn man wissen will, wie die Leipziger ticken, fragt man sie. Am besten direkt und anonym. Wenn man die richtige Fragen stellt, bekommt man dann auch Antworten, mit denen man etwas anfangen kann. Die Kommunale Bürgerumfrage präsentiert jedes Jahr solche Fragen und Antworten. Die Auswertung der Kommunalen Bürgerumfrage von 2011 liegt nun vor. 130 Seiten dick. Für 15 Euro auch in der gedruckten Variante.

Den Schnellbericht in wesentlich schlankerer Form gab es schon im April. Die großen Kapitel, die die Stadt bei jeder größeren Bürgerumfrage abfragt, sind jetzt hier aufbereitet. Beginnend mit der Lebenszufriedenheit, die gegenüber 2010 leicht zurückgegangen ist. 73 Prozent der Leipziger äußerten sich 2010 zufrieden bis sehr zufrieden mit ihrem Leben. 2011 sackte dieser Anteil auf 69 Prozent.

“Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Leipzig eine sehr hohe Lebenszufriedenheit hat im Vergleich mit anderen Städten”, betont Dr. Ruth Schmidt, Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen. “Leipzig liegt deutlich über den Werten für andere ostdeutsche Städte und auch über denen für Westdeutschland.”

Der Grund ist simpel: Geld allein macht nicht glücklich. Es gehört mehr dazu, die Bewohner einer Stadt glücklich zu machen. Eine Familie zum Beispiel, ein Beruf, der ausfüllt, ein lebenswertes Wohnquartier, Gesundheit, Freundschaften, eine funktionierende Infrastruktur …
Ein wenig hängt die Zufriedenheit auch mit der Zukunftssicht zusammen. Auch da ist der Optimismus nach 57 Prozent im Jahr 2010 etwas gedämpft: 55 Prozent. Vielleicht hängt es mit den Krisenfackeln am Horizont zusammen. 2011 ist das Zockerspiel der Börsenspieler gegen Griechenland & Co. ja erst richtig losgegangen. Wer seitdem gegen die kleinen und größeren Staaten Europas wettet, macht richtig Kohle.

Dass er damit Absatzmärkte, Volkswirtschaften und Existenzen bedroht, interessiert den gierigen Daddler, der da wettet, nicht die Bohne. Das macht Angst. Das macht auch der Büromaus und dem Kleinunternehmer in Leipzig Angst. Das dämpft auch die Zufriedenheit. Wäre eine Interpretation.
Dass Lebenszufriedenheit noch tiefer sitzt, zeigt eine schöne blaue Karte auf Seite 17. Da sind die Ortsteile einmal nach Zufriedenheit eingefärbt – von blassblau (weniger als 60 Prozent) bis dunkelblau (über 75 Prozent). Und der Leipziger sieht, was er immer sieht: Das Glück liegt mehr oder weniger in der Mitte – in den jungen, auewald-nahen Ortsteilen, die in den letzten zwölf Jahren das Hauptzuzugsgebiet für junge Familien waren. Ob Connewitz, Schleußig oder Waldstraßenviertel – die Zufriedenheitswerte liegen deutlich überm Stadtdurchschnitt – und im Waldstraßenviertel steigen sie sogar noch an. Und das, obwohl hier überall Kita-Plätze rar sind, Schulen fehlen und die Parksituation oft geradezu katastrophal ist.

Heißt dann wohl auch: Kinder sind eine der stärksten Quellen von erlebtem Glück. Und vielleicht spielt auch die Nähe von Grün und Wasser eine Rolle, vielleicht auch das Geld.

Denn die Umfrage zeigt auch, dass der Zukunftsoptimismus mit dem Einkommen steigt. Bei all denen, die sich mit unter 800 Euro durch den Monat krepeln müssen, liegt der Optimismus bei 47 Prozent. Schon bei denen, die zwischen 800 und 1.400 Euro zur Verfügung haben (und das sind in Leipzig die meisten), steigt der Wert auf 52 Prozent, zwischen 1.400 und 2.000 Euro (mit denen man in Leipzig dann tatsächlich auskömmlich leben kann) sind es schon 64 Prozent. Nur zur Erinnerung: der Stadtdurchschnitt liegt bei 55 Prozent! – Heißt im Klartext: Je besser das monatliche Einkommen, umso zuversichtlicher schaut der Mensch in die Zukunft. Bei denen, die mit 2.000 Euro und mehr nach Hause gehen, liegt die Zuversichtsquote bei 79 Prozent.

Und auch dazu gibt es eine Karte nach Ortsteilen. Und hier ist es nicht die berühmte Nord-Süd-Achse der auwald-nahen Wohnviertel, die auffällt, sondern die knalldunkle Mitte, wo die Werte allesamt über 60 Prozent liegen. Was natürlich auch zeigt, dass sich hier die Bewohner sammeln, die noch Pläne haben, die jung sind und die Zukunft für bewältigbar halten. Hier pocht das Herz von Leipzig. Und weil auch Quartiere wie Schönefeld, Lindenau und Reudnitz dazu gehören, heißt das auch: Der Optimismus hängt nicht nur vom guten Gehalt ab. Er hat auch was mit der Aufbruchstimmung im Quartier zu tun, die ein etwas verträumter Ex-Kreuzer-Redakteur ja jüngst nicht mehr zu finden vermochte.

Vielleicht hätte er einfach mal das Quartier wechseln sollen, wie es die meisten Leipziger alle paar Jahre machen. Natürlich werden einstige Aufbruch-Quartiere irgendwann ruhiger, bürgerlicher, manchmal auch teurer. Aber in der Regel liegt das an den Bewohnern selbst, die endlich eine feste Anstellung finden, Kinder bekommen und sich – jaja, die Südvorstadt – ein dickes Motorrad zulegen.

Dabei steigen die Mieten in Leipzig noch immer nicht. Auch die Zahlen findet man in der Auswertung wieder. Der Grund ist nach wie vor: Auch wenn OBM Burkhard Jung am Lindenauer Hafen schon die 600.000 Einwohner dämmern sieht, liegt der Leerstand noch irgendwo jenseits der 30.000 Wohnungen. Da ist noch Luft drin. Und einige Quartiere – wie die Neubauviertel Grünau, Mockau-Nord oder Schönefeld-Ost – stehen unschlüssig an einer Schwelle: Die Wohnzufriedenheit ist hoch, das Durchschnittsalter der Bevölkerung aber auch. Und die jungen Leute wollen da gar nicht hinziehen, die drängt es noch immer in die Gründerzeitquartiere der Innenstadt.

Könnte man stadtpolitisch richtig viel draus machen, wenn man eine Ahnung hätte, was das denn sein könnte. Aber so langsam kommen Fragen in die Bürgerumfragen hinein, die ahnen lassen, dass nach und nach der ein und der andere munter wird in der Stadtverwaltung. Da gewinnt eine andere Stadt vorsichtig Konturen – eine Stadt, in der es um Radwege und fußläufiges Einkaufen geht, um genügend Kindertagesstätten und ein barrierefreies Leben.

Mehr zum Wohnen, Umziehen und kaputtem Straßenpflaster morgen an dieser Stelle.

Der Bericht ist für 15 Euro (bei Versand zuzüglich Versandgebühr) erhältlich beim Amt für Statistik und Wahlen.

Postbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig.
Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zi. 228.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar