Man hat ja immer die Hoffnung, dass die Leute, die man in hohe Ämter wählt, wissen, was sie tun. Dass sie auch die Folgen ihrer Entscheidungen zumindest abschätzen können und in der Lage sind, sich zu korrigieren. Aber irgendwie scheint das nicht der Fall zu sein. Zwei Meldungen, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben.

“Konjunktur in Sachsen: Umsatzwachstum der Industrie verliert im ersten Quartal 2012 an Schwung”, meldete das Sächsische Landesamt für Statistik am Donnerstag, 7. Juni. Wenn Wachstum an Schwung verliert ist das ja noch nicht schlimm, wenn man vorher ein schwungvolles Wachstum hatte und nun die Kapazitäten ausgelastet sind.

Doch in Sachen Wirtschaft hängt ja bekanntlich alles mit allem zusammen. Und seit die Auguren das Wort “Globalisierung” entdeckt haben, hat es sich auch in die hohen Kreise der “Wirtschaftslenker” (ja, so bezeichnen sie sich ja gern) herumgesprochen, dass der Sack Reis in China durchaus seine Rolle spielt für den Erfolg der Wirtschaft. Zum Beispiel in Sachsen.

Die zweite Meldung war ein Protest: Am Samstag, 9. Juni, veröffentlichte Attac Deutschland seine Kritik: “Deutsche Regierung verschärft Krise durch massiven Druck auf Spanien”.

Attac, das ist die Bewegung, die seit 1998 für die Einführung der Finanzmarkttransaktionssteuer kämpft, genau das Instrument, zu dessen Einführung sich jetzt – 14 Jahre später – endlich auch die deutsche Bundesregierung durchgerungen hat. Samt der ein oder anderen Einsicht in die Richtigkeit dessen, was das globalisierungskritische Netzwerk zur Finanz- und Weltwirtschaft zu sagen hat. Außer im Fall von Spanien. Und Griechenland. Und so weiter.

Denn die Regeln, mit denen Bundesregierung, IWF & Co. versuchen, überschuldete Staaten wie Griechenland wieder auf Kurs zu bringen, führen tatsächlich dazu, die Krise weiter zuzuspitzen.

“Die deutsche Regierung macht massiven Druck auf Spanien, Kredite aus dem so genannten Rettungsschirm zu beantragen, und macht zugleich klar, dass sie keine Ausnahmen bei den Auflagen akzeptiert. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel Griechenlands: in eine jahrelange, tiefe Rezession, eine Verschärfung der Schuldenkrise und soziale Probleme in einem Ausmaß, in dem sie Europa seit Jahrzehnten nicht erlebt hat”, sagt dazu Steffen Stierle von Attac Deutschland. Am Samstag meldete Spanien an, dass es unter den “Rettungsschirm” kriechen wolle. Offen sind nur noch die Auflagen, die Spanien dafür akzeptieren muss.

Aber es sind in der Regel die selben. Das Ding heißt zwar “Rettungsschirm”. Aber geschenkt wird da nichts. Und wo “Spiegel Online” am Samstag 16 europäische Finanzminister sah, die “aufatmeten”, sollte er eigentlich auch den ein oder anderen Finanzminister so langsam erschrecken lassen. Denn mit jedem Land, dass den drastischen Sparkurs einschlägt, der mit diesen “Rettungsschirmen” einher geht, verliert die deutsche Wirtschaft einen weiteren Absatzmarkt. Das spüren die Unternehmen schon. Dazu gleich.

Cristina Asensi von Attac Spanien: “Die Kürzungsmaßnahmen der Troika sind nicht nur ökonomisch falsch und sozialpolitisch fatal, sie gehen auch vollkommen an den spanischen Problemen vorbei. Spanien hat kein Staatsschuldenproblem.” Ähnlich wie in den USA sei die spanische Krise vor allem eine Folge exzessiver Hypothekenspekulation und des Platzens einer gigantischen Immobilienblase. Die spanischen Banken hätten Schrottpapiere im Umfang von etwa 70 Milliarden Euro in den Bilanzen, weil sie sich verzockt hätten.Die Wirtschaftskrise in Spanien sei nur eine Folge, weil durch die Bankenkrise der Kreditmarkt zusammengebrochen sei und die Regierung bei der Aufgabe versagt habe, ihn wieder in Gang zu bringen. “Durch Kürzungspolitik verschärft man das Problem nur. Statt eines Rettungsschirms für die Banken braucht Spanien einen Rettungsschirm für Arbeitnehmer, Empfänger staatlicher Transferleistungen sowie kleine und mittlere Unternehmen”, sagte Cristina Asensi.

Womit sie auch den Mechanismus beschrieben hat, der die Subprime-Krise von 2007/2008, die anfangs genau so eine Immobilien-Schrottpapier-Krise war, in die Staatsschuldenkrise der Gegenwart verwandelt hat. Die meisten Medien-Nutzer sind ja vergesslich und erinnern sich längst nicht mehr daran, wie sich die europäischen Regierungen 2008/2009 gegenseitig lobten und feierten und voranpeitschten bei der Rettung der Banken, die mit genau diesen Schrottpapieren gehandelt hatten.

Doch der Schrott ist ja nicht vom Markt verschwunden. Er steht jetzt als Forderung in den Schuldenpaketen der Länder. Oder als Zahlungskeule über dem sächsischen Haushalt (Sachsen LB). Oder als Damokles-Schwert über den Leipziger Wasserwerken, wo der Prozess mit den Banken noch läuft.

Attac warnte noch am Samstag, die von der Bundesregierung forcierte Spanien-Rettung drohe, die Krise insgesamt in eine ganz neue Dimension zu heben. Spanien sei schließlich die viertgrößte Volkswirtschaft der EU. Steffen Stierle: “Wenn sich Spanien so wie Griechenland entwickelt, kann das ganz Europa in den Abgrund reißen und eine soziale Erosion verursachen, die nicht auf einzelne Länder beschränkt bleiben wird.”

Attac forderte die deutsche Regierung auf, ihren Kamikaze-Kurs aufzugeben und sich auf der europäischen Ebene für das einzusetzen, was nötig sei: ein massiver Anleihekauf durch die Zentralbank, um in die Zinsentwicklung zu intervenieren, eine Vermögensabgabe und -steuer, um die Einnahmen der Staaten zu erhöhen, sowie eine Entmachtung der Finanzmärkte durch Steuern wie die Finanztransaktionssteuer sowie strenge Regeln.

Und was hat das mit Sachsen zu tun?

Immerhin erwirtschaftete die sächsische Industrie im ersten Quartal einen Umsatz von 13,1 Milliarden Euro, gut 2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Für die Statistiker trotzdem ein Grund zum Mäkeln. Wachstum ist ja eine heilige Kuh: “Gegenüber den dynamischen Zuwachsraten der beiden Vorjahre war somit zu Beginn 2012 eine deutliche Abschwächung zu verzeichnen.”

Wie denn auch anders? Sachsen produziert ja nicht für einen fiktiven Markt jenseits der Erde. Gerade die so wichtige Technologieproduktion ist für die Märkte Europas, Asiens, Amerikas gedacht. Wenn dort die Kassen klamm sind oder rigide Staatssparprogramme den Konsum zum Erliegen bringen, merken das die sächsischen Industrieunternehmen. Früher oder später.

Das wird manchmal über eine positive Entwicklung im Inland noch ein wenig gedämpft. So berichten Sachsens Statistiker: “Auf dem Binnenmarkt betrug der Zuwachs 3,3 Prozent und beim Export 0,7 Prozent.” Beides noch positive Entwicklungen. Aber im Detail blinken schon die Warnlampen: “Die Hersteller von Kraftwagen und Kraftwagenteilen als umsatzstärkste Branche mussten Umsatzeinbußen von knapp 9 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro hinnehmen. Sowohl das Inlands- als auch das Auslandsgeschäft gingen hier in dieser Dimension zurück.”

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Wobei beim Inlandgeschäft wohl die Vermutung berechtigt ist, dass nach der durch das Konjunkturpaket I 2008 entfachten Kauforgie der Automarkt in Deutschland gesättigt ist. Jetzt brauchen viele Leute auf Jahre hinaus kein neues Auto. Insbesondere dann, wenn sie wirklich in ein sparsames Modell investiert haben.

Mit der Kraftwagenindustrie hat Sachsen ja einen sehr feinen Gradmesser für die Entwicklung in der nationalen und internationalen Konsumtion. Zwar berechnen die Statistiker fürs I. Quartal einen Rückgang von 8,7 Prozent, im März speziell waren es aber schon 12,0 Prozent Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Auftragseingänge im März lagen sogar 13,5 Prozent unter denen des Vorjahresmonats. Und das, wo das gesamte Verarbeitende Gewerbe sogar noch ein Auftragsplus von 10,6 Prozent gegenüber dem März 2011 hat.

Die Warnzeichen sind gesetzt. Und lernfähige Regierungen würden bei solchen Zeichen sehr vorsichtig sein und sehr gründlich darüber nachdenken, ob das Heruntersparen von Volkswirtschaften tatsächlich der richtige Weg ist, das Gesamtsystem am Laufen zu halten. Man vergisst ja dabei beinah, dass andere Länder ebenfalls rigide Sparprogramme umgesetzt haben, ohne dafür unter diverse “Rettungsschirme” zu kriechen. Irland und Großbritannien seien genannt. Auch die fallen in großen Teilen als Nachfragemärkte aus.

Je mehr Länder hinzukommen, umso knapper werden die Absatzmärkte. Auch für sächsische Unternehmen.

ATTAC zur Eurokrise: www.attac.de/eurokrise

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