Bei Umfragen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ist immer Vorsicht geboten. Es steckt immer eine Absicht dahinter. Auch wenn ein renommiertes Institut wie TNS Emnid mit der Umfrage betraut wird. Und es war ganz gewiss kein Zufall, dass die Umfrageergebnisse drei Tage nach Veröffentlichung der Campact-Umfrage zur Vermögenssteuer veröffentlicht wurden.
Befragt hatte TNS Emnid die für belastbare Zahlen notwendigen 1.002 Bundesbürger schon vom 10. bis 13. April. Die Forsa-Umfrage im Auftrag von Campact fand sogar später statt – vom 20. bis 25 April. Was in der Meldung der INSM dann wie eine frohe Botschaft klingt, ist eigentlich keine: “Bundesbürger zu Einschnitten bereit”.
Tatsächlich geht es auch in Deutschland um die zentrale Frage: Wie kommt das Land aus seinen gigantischen Schuldenbergen heraus?
Und um die eigentlich dahinter liegende Frage: Wer bezahlt dafür? Die Armen oder die Vermögenden? Die einen mit dem Verlust ihrer sozialen Existenz, die anderen mit einer Abgabe auf ihr Vermögen.
Die Vermögenssteuer wurde in Deutschland 1997 abgeschafft. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Bundesrepublik auch in Zeiten der Hochkonjunktur immer noch neue Schulden macht.
Deswegen versteckt sich die Frage nach der Steuer auch wieder im Fragenkatalog der INSM.
Denn bei einem sind mittlerweile die meisten Bundesbürger alarmiert. Das bestätigt auch diese Umfrage: Auf die Frage, wie wichtig es sei, dass die weitere Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen gestoppt wird, antworten 90 Prozent mit “eher wichtig” (35 %) bzw. “sehr wichtig” (55 %).
Die Frage, wie man das schafft, ist eine politische.
Und die INSM wird politisch, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: “Eine deutliche Mehrheit (59 %) ist zudem bereit, persönlich bei staatlichen Leistungen Einschnitte hinzunehmen, damit Bund, Länder und Kommunen keine neuen Schulden aufnehmen müssen. Politiker, die sich für einen Schuldenstopp einsetzen und dazu staatliche Leistungen kürzen, können sich einer breiten Zustimmung sicher sein. Mehr als jeder Zweite würde wahrscheinlich (49 %) oder sogar sicher (5 %), eine Partei wählen, die ein Sparprogramm auflegt, das persönliche Einschnitte bedeuten würde. Nur 40 % würden eine solche Partei wahrscheinlich (23 %) bzw. sicher nicht (16 %) wählen.”
Die Umfrage wird an keiner Stelle konkret. Sie erklärt nicht, welche Steuererhöhungen gemeint sein könnten, sie erklärt nicht, um welche Einschnitte es sich handeln könnte. Sie suggeriert dadurch, dass sie lediglich nach einer “Partei mit striktem Sparprogramm” fragt, dass es sogar nur einen einzigen gangbaren Weg aus der Schuldenkrise gibt.
Und: dass Steuererhöhungen – egal für wen und in welcher Art – Gift für die Entschuldung seien.
“Steuererhöhungen zur Verbesserung der staatlichen Kassenlage sind für mehr als drei Viertel der Wählerinnen und Wähler dagegen keine akzeptable Lösung. Auf die Frage, ob sie bereit wären Steuererhöhungen zu akzeptieren, damit die Einnahmen des Staates erhöht werden können, sagen 72 Prozent Nein (“eher nein”: 23 %, “nein” 49 %).”
Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der INSM, ist sich, nachdem er auf die gestellten Fragen die erwartbaren Antworten bekommen hat, ganz sicher: “Die Ergebnisse der Umfrage sind eine klare Botschaft an die Politik: Sparen hat eine Mehrheit, Steuererhöhungen nicht! Wer das Problem der Neuverschuldung ernsthaft anpackt, kann die Mehrheit bei den Wählern hinter sich wissen. Damit der Staat solide und nachhaltig finanziert werden kann, sind die Bürger sogar zu persönlichen Einschnitten bereit. Demokratie und solide Staatsfinanzen sind kein Widerspruch.”
Die Umfrage ist natürlich alles andere als eine “klare Botschaft”. Es ist eine politische Wortmeldung aus interessierten Kreisen.
Denn auch bei der INSM hat man sehr genau registriert, um welche Art Steuererhöhungen im Land mittlerweile diskutiert wird. Und da geht es nicht um die von der OECD wieder einmal frech lancierte Forderung, die Mehrwertsteuer weiter zu erhöhen – was tatsächlich alle Bundesbürger treffen würde. Und zwar die Geringverdiener um ein Vielfaches härter als die Vermögenden. So hat sich die letzte Große Koalition aus dem Dilemma geschlichen, als sie die ausufernde Neuverschuldung irgendwie in Griff bekommen wollte.
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Tatsächlich ernsthaft wird die (Wieder-)Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf Einkommen von derzeit 42 auf 49 % diskutiert. Den Vorschlag hat die SPD in die Diskussion gebracht. Und das würde genau jene Gutverdienenden betreffen, die von den tatsächlichen Steuersenkungen der letzten 20 Jahre stets profitiert haben.
Genauso, wie die Vermögenssteuer nur die Betuchten im Land treffen würde. Hier ist sogar eine Grenze ab 1 Million Euro im Gespräch.
Das sind die “Steuererhöhungen”, die die INSM eigentlich meint, wenn sie die Bundesbürger am Telefon fragen lässt: “Um die Einnahmen des Staates zu erhöhen, wären Sie persönlich bereit Steuererhöhungen zu akzeptieren?”
Wenn das so ist, kann man den Leuten doch ganz gut einreden, sie bräuchten eine “Sparpartei”.
Dass das Rezept der drastischen Sparverdikte beim Staat auch die Wirtschaftsleistung des gesamten Landes in Mitleidenschaft zieht, scheint die Spezialisten für die Neue Soziale Marktwirtschaft nicht zu interessieren. Derzeit sauber zu beobachten in Griechenland und Spanien.
Das ist der große blinde Fleck der neoliberalen Markt-Theoretiker: Sie begreifen nicht, welchen immensen Anteil “der Staat” am Funktionieren einer hochkomplexen Wirtschaft hat.
Sie suggerieren den verblüfften Bürgern Jahr um Jahr aufs Neue die These, der Staat sei ausgeufert, kümmere sich um Dinge, die ihn nichts angingen, behindere Wettbewerb und gebe zu viel Geld aus.
Die Wahrheit ist in fast allen Kommunen des Landes sichtbar: Der “Staat” gibt viel zu wenig Geld aus – für Straßen, Brücken, Schulen, ÖPNV, Kindertagesstätten, energetische Sanierung, Lehrer, Hochschulen … Da wird überall schon seit Jahren “gespart”.
Aber frech wie Atze lässt die INSM die TNS Emnid fragen: “In welchen Bereichen sollten Bund und Länder Ihrer Meinung nach ihre Ausgaben kürzen?”
Die INSM in ihrer Auswertung: “Wenn es darum geht, staatliche Ausgaben zu kürzen, haben die Bundesbürger eine klare Vorstellung, wo ihrer Meinung nach der Schwerpunkt liegen sollte. 80 % geben an, dass in der Verwaltung gespart werden solle, gefolgt von Subventionen (65 %), Kulturförderung (31 %), Sozialleistungen (27 %), Infrastruktur (25 %) sowie Bildung und Forschung (12%).”
Der Michel ist also – in dieser Version der Weltbetrachtung mit der Brille der INSM – zwischen Scylla und Charibdis gefangen, hat nur die Wahl, entweder draufzuzahlen (Steuererhöhung) oder draufzuzahlen (Ausgabenkürzung).
Dass er dabei von interessierten Kreisen, die sich an der solidarischen Finanzierung dessen immer weniger beteiligen wollen, was soziale Marktwirtschaft sein könnte, wie ein Bär am Nasenring durch die Manege geführt wird, hat er möglicherweise bei dieser forschen Telefonbefragung gar nicht gemerkt.
Die Auswertung der Umfrage findet man hier:
www.insm.de/insm/Presse/Pressemeldungen/Schuldenstopp-Umfrage.html
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