Der Leipziger an sich ist ein schizophrenes Wesen. Und so leicht beeinflussbar wie ein Affe, den man mit Zucker aus dem Bau lockt. Über Gott und die Welt debattiert er mit, dass sich die Tischbalken biegen, stimmt mit breiter Brust ins große Gepolter ein, wenn es um Ordnung, Sicherheit und Jugendliche geht. Wird er aber gefragt, was er wirklich weiß und gesehen hat, verwandelt sich das Gepolter in ein "Pffff." Denn eigentlich weiß er nichts.

So finden sich im jüngsten Schnellbericht zur Bürgerumfrage 2011 zwar die schönen Listen zu den Problemfeldern, die die Leipziger in der Stadt sehen und den Vorschlägen zu “Sparen oder Nicht-Sparen”. Auch mehrere Tabellen mit den “größten Problemen” der Leipziger. Aber das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen wäre unterschätzt, wenn man dort nicht ein paar Leute vermuten dürfte, die in ihrem Studium etwas darüber gehört haben, wie das so ist mit dem Wissen und Meinen der Bürger.

Auch wenn man 16.000 befragt und 8.731 antworten, heißt das nicht, dass sie wissen, was sie zu wissen glauben. Die meisten meinen nur und plappern nach, was alle nachplappern. Und die, die am wenigsten wissen, plappern am überzeugendsten nach. Ist dann eben so. Und die Zeitungen, die ihnen vorher eingeredet haben, es sei so, drucken ihre Es-ist-so-Zahlen wieder ab und schreiben breit und fett drüber: “So isses!”

Die Straßen sind schlecht (69 %).

Die Kriminalität ist schrecklich, die Sicherheit hat drastisch abgenommen (51 %).

Das Angebot an Kindertageseinrichtungen ist miserabel (44 %).

Das Angebot an Jugendfreizeiteinrichtungen ist auch nicht genügend (41 %).

Die Sauberkeit von Straßen und Plätzen ist schrecklich (32 %).

Steht ja so in der Zeitung. Muss ja stimmen. Aber bei den großen Themen, die alle aufregen, ist es meist so wie beim Einkaufs-Center am Connewitzer Kreuz. Da gab’s eine Umfrage vor fünf Jahren oder so. Die Connewitzer sagten zu 90 Prozent: Brauchen wir nicht. Die große Zeitung der gebildeten Leipziger fragte aber alle Leipziger – und die stimmten in einer Umfrage im September 2007 mit satten 90 Prozent dafür: Klar, die Connewitzer brauchen so ein Ding.

Aus der Ferne lässt sich das doch gut beurteilen. Oder etwa nicht?Deswegen ließen sich Leipzigs Statistiker auch nicht nur auf die Global-Frage ein, wo die Leipziger die größten Probleme sehen. Sie fragten genauer nach. Nämlich nach dem, was sie vor der eigenen Nase und Haustür sehen. “Also die Gegend, in der Sie wohnen.” Was müsste die Stadt da unbedingt sofort investieren?

Da haben es dann wohl die meisten Teilnehmer der Umfrage begriffen. Haben mal aus dem Fenster geschaut und festgestellt: Ein paar Sachen in der Liste sind Kokolores. Die passieren hier gar nicht so. Oder sind nicht ganz so schlimm.

Das mit den Straßen – ja. Das kann man sehen. 34 Prozent sagten, da muss was passieren. Im eigenen Ortsteil. Bei Fuß- und Radwegen auch: 12 Prozent. Und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche gibt es auch nicht genug: 10 Prozent.

Nur als Anmerkung an der Stelle: 45 Prozent der Bürger meinten, in ihrem Ortsteil müsse aktuell gar nichts Dringendes geschehen. Was da also mit den “größten Problemen der Stadt” aufgebauscht wurde, entpuppt sich im Detail als ein wesentlich ruhigeres Wasser. Vielleicht liegt’s auch an der Frage. Wenn man die Leute nach Problemen fragt, fallen ihnen lauter Zipperlein ein.

Wenn es aber um konkrete Taten geht, dann fängt das Drucksen an. Das ist das Schizophrene an der Politik: Die Probleme, über die jeden Tag mit aller Emotion geschimpft und debattiert wird, sind oft gar keine. Oder viel kleiner, als sie an die Wand gemalt wurden.

Andere sind augenscheinlich: Parkplätze zum Beispiel, von 8 Prozent der Befragten genannt. Und eben noch regten sich 44 Prozent über Kita-Plätze auf. Konkret vermissen aber 6 Prozent welche im eigenen Ortsteil. Das sind die direkt Betroffenen.

Und was ist mit den Zeter-und-Mordio-Themen? Ordnung, Sicherheit, Disziplin … – Sorry. Da sind jetzt die sächsischen Kopfnoten dazwischen gerutscht. Muss natürlich Sauberkeit heißen.

Kriminalität und Sicherheit hatten (siehe oben) 51 Prozent der Befragten als Problem genannt, weil’s so in ihrer Zeitung stand oder der geschwätzige Radiosender ins selbe Horn getutet hat. Die meisten fürchten sich ja nicht beim Spazierengehen auf der Straße sondern beim Zeitunglesen zu Haus in der Küche.

Und in Ihrem Ortsteil bitte?

2 Prozent.

In Buchstaben: zwei Prozent. Das ist weniger als bei Lärm (5 %), ÖPNV (4 %) oder Nahversorgung (5 %). Man hört so Manches über Kriminalität. Anderswo. Aber wirklich vorm eigenen Haus scheint es so schlimm nicht zu sein. Angstmache nennt man das. Oder Manipulation, wenn man alle Nase lang Leipzig zur “Kriminalitätshochburg” macht.

Und wie ist das mit der Sauberkeit? Tut die Stadtreinigung ihre Arbeit nicht? Muss man ja denken, wenn 32 Prozent sagen, der Zustand sei nicht zufriedenstellend.

Aber irgendwie auch wieder nur anderswo.

Im Ortsteil ist es nicht ganz so schlimm. 5 Prozent meinen, für Ordnung und Sauberkeit müsste mal was getan werden. Oft würde es ja schon ausreichen, wenn jeder seinen Müll aus dem Park wieder mit nach Hause nimmt oder das Beutelchen für den Hundehaufen nicht vergisst.

Bleibt noch die Sache mit den Ausländern, die schon im Vorfeld der Bürgerumfrage für Furore sorgte. Sind die Leipziger ein bisschen fremdenfeindlich, nationalistisch und ignorant? – Damit beschäftigen wir uns morgen an dieser Stelle.

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